Russische und belarussische Spieler in Wimbledon:Eher toleriert als willkommen

Lesezeit: 4 min

Aryna Sabalenka steht in der zweiten Runde von Wimbledon. (Foto: Mike Hewitt/Getty Images)

Vor einem Jahr untersagte das Rasenturnier in London die Teilnahme von Spielern und Spielerinnen aus Russland und Belarus. Nun sind Profis wie Aryna Sabalenka wieder dabei - unter strengen Auflagen.

Von Barbara Klimke, London

Ein Tennisplatz kann ein einsamer Ort sein. Wenn zehntausend Zuschauer auf den Rängen sitzen, schließt das nicht aus, dass sich ein schmaler Mensch mit einem Racket in der Hand trotzdem verloren fühlt im weiten Rund. Elena Rybakina, 24, hat etwas gefremdelt, als sie in dieser Woche wieder den Centre Court betrat, den sie vor Jahresfrist, für viele überraschend, mit der großen Silberschüssel, der Venus Rosewater Dish, unterm Arm verlassen hatte. Das Gras ist zwar so grün wie gewohnt, das Netz exakt gespannt, die blütenweißen Handtücher liegen akkurat auf Kante gefaltet auf dem Bänkchen. Und doch empfindet sie alles größer, einschüchternder als zuvor.

Denn damals hatte sie sich auf der weitläufigen Anlage im Süden Londons langsam in Zentrum vorgearbeitet: Match für Match, Schritt für Schritt, von einem abseits gelegenen Außenplatz über einen mittleren Showcourt bis in die Riesenarena. So konnte sie sich "einfühlen" in das Turnier im Sommer 2022, erzählte sie dieser Tage. Jetzt sind vom ersten Ballwurf alle Kameras auf sie gerichtet. Und wenn sie an diesem Samstag in der dritten Runde gegen die Britin Katie Boulter antritt, dann muss sie sich wieder arrangieren mit ihrer Nervosität, mit der "Atmosphäre und enormen Aufmerksamkeit".

Wimbledon
:Fluchender Zverev weiter

Einen Tag nach ihrer starken Vorstellung scheidet Jule Niemeier in der zweiten Runde von Wimbledon aus. Auch Tamara Korpatsch lässt zu viele Chancen aus. Besser macht es Alexander Zverev. Andy Murray verliert.

Von Barbara Klimke

Der All England Lawn Tennis Club (AELTC) stellt seine Wimbledon-Sieger und -Siegerinnen gern auf die größtmögliche Bühne, sobald sich das Tor im Sommer öffnet. Anders als etwa die Australian Open: Dort wurde Rybakina, immerhin eine Grand-Slam-Gewinnerin, im Januar von den Organisatoren zum Auftakt hinter den Kulissen, auf Platz 13, versteckt. Sie nahm es mit Humor - und hat sich dann auch in Melbourne ins Finale durchgeschlagen, das sie gegen die Weißrussin Aryna Sabalenka verlor.

Anders als die extrovertierte, temperamentvolle Sabalenka aus Minsk sucht Rybakina, die für Kasachstan spielt, noch immer ihre Rolle im globalen Tenniszirkel. So offensiv sie auf dem Platz angreift, so zurückhaltend agiert sie in der Öffentlichkeit. Sie bietet kaum Angriffsflächen, weder athletisch hinterm Netz noch rhetorisch auf dem Podium bei ihren Pressekonferenzen, die sie in ausgezeichnetem Englisch abhält. "Ich bin eher ruhig verlangt", sagte sie diese Woche. "Ich zeige meine Gefühle eigentlich nicht. Manchmal ist das gut, manchmal vielleicht weniger."

Es passiert immer noch, dass das Publikum ihr mit Misstrauen begegnet, so wie im vergangenen Jahr bei ihrem Wimbledonsieg: Denn Elena Rybakina ist in Moskau geboren. Sie trainierte als Juniorin bei Spartak zeitweise unter dem früheren russischen Tennisprofi Andrej Tschesnokow. Seit 2018 startet sie für Kasachstan, sie hatte sich dort mehr Förderung erhofft, die sie auch erhielt. Dennoch musste sie ihre Herkunft und die Eroberung der Silberschale voriges Jahr in einer Weise rechtfertigen, die sie an den Rand der Tränen brachte: 2022 hatte der All England Club im Alleingang und in Konfrontation zu den Tennistouren ATP und WTA wegen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine alle russischen und belarussischen Athleten ausgeschlossen. Auf entsprechende Fragen erwidert Rybakina heute regelmäßig, dass sie sich erstens nicht ausgesucht habe, wo sie geboren wurde; und dass sie zweitens eine "Befürworterin des Friedens" sei.

Die Anwesenheit der russischen und belarussischen Sportler wird eher toleriert

Die Ukraine wird weiter bombardiert, Menschen sterben durch die Angriffe des russischen Kriegstreibers Putin. Doch russische und belarussische Tennisprofis sind nun zurück auf Wimbledons gepflegten Rasencourts. Dass der AELTC die Athleten der beiden Länder, 17 an der Zahl, willkommen geheißen hätte nach einem sportpolitischen Machtspiel mit ATP und WTA, die 2022 aus Protest gegen die Wimbledon-Politik keine Weltranglistenpunkte vergaben, wäre die diplomatisch falsche Umschreibung. Ihre Anwesenheit wird eher toleriert.

Der Club ist immer noch der Meinung, dass der Ausschluss "der richtige Kurs" war, und hat die Zulassung an strenge Anforderungen gekoppelt. Die Spieler dürfen keine Landessymbole tragen, keine Unterstützung der Invasion Russlands äußern, zudem muss eine schriftliche Erklärung vorliegen, dass sie keine Empfänger finanzieller Unterstützung der Kriegstreiberstaaten sind, das betrifft auch Sponsorengaben. Das Fernsehsignal nach Russland und Belarus, so sagte ein AELTC-Sprecher, ist blockiert. Ukrainische Tennisspieler dürfen in der Rasensaison kostenlos in den Klubs in Wimbledon, im nahen Raynes Park und auf der Verbandsanlage in Roehampton trainieren, und der AELTC hilft finanziell bei den Wohnkosten.

"Ich zeige meine Gefühle nicht": Elena Rybakina, Wimbledonsiegerin 2022, geboren in Moskau, spielt für Kasachstan. (Foto: Mike Hewitt/Getty)

Die 17 Russen und Belarussen wurden von den Zuschauern bislang mit höflichem, neutralem Applaus empfangen, sodass Veronika Kudermetowa, 26, aus Kasan, die gegen die Tschechin Marketa Vondrousova verlor, bereits vermutete, "für das Publikum spielt es keine Rolle, woher wir kommen". Ihr Kollege Andrej Rublew, der sich früh gegen den Krieg ausgesprochen hatte, hielt die Verbannung im vergangenen Jahr für falsch: "Ich glaube, es hätte bessere Optionen gegeben", sagte er diese Woche, letztendlich habe Wimbledon "nur sich selbst" geschadet. Die Weißrussin Aryna Sabalenka, die sich vor einem Monat in Paris zweimal außerstande sah, zu den Pressekonferenzen zu erscheinen, weil sie die Fragen nach dem Krieg als emotionale Belastung empfand, äußert sich nicht. Sie hat von vornherein in Wimbledon erklärt: keine politischen Kommentare!

Verständnis für die Maßnahmen hingegen äußerte Russlands beste Tennisspielerin, Daria Kasatkina, Nummer elf der Welt. Sie hat den Krieg früh so offen verurteilt wie keine andere Spielerin und ist seit 2022 nicht mehr in ihr Land gereist: "Ich möchte mich selbst respektieren und in den Spiegel schauen können", sagte sie vergangene Woche der Sunday Times, das bedeute für sie, dass sie nicht nach Hause zurückkehren könne. "Als lesbische Frau, die den Krieg ablehnt", sei eine Rückkehr nicht möglich.

Die Sympathie Kasatkinas, die am Freitag der Belarussin Wiktoria Asarenka unterlag, gehört den ukrainischen Kolleginnen. Zwei sind in Wimbledon angemeldet. Keine Männer. Denn das ist die Realität, auch im Tennis: In der Ukraine herrscht Krieg.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusErste Gespräche mit dem Königreich
:Auch die Tennis-Branche schaut nach Saudi-Arabien

Frauen haben kaum Rechte, und Homosexualität steht unter Strafe: Trotzdem reist der Chef der Frauen-Tour WTA zu Gesprächen in die Wüste. Bedenken hört man kaum - sogar Billie Jean King äußert Verständnis.

Von Barbara Klimke

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: