Werder Bremen in der Bundesliga:Füllkrug ist die erste und die letzte Instanz

Lesezeit: 4 min

Torjubel Nummer zwölf und 13 in dieser Saison: Niclas Füllkrug beim Werder-Sieg gegen Wolfsburg. (Foto: Carmen Jaspersen/dpa)

Ihm hat die WM nicht geschadet: Der aktuell beste Torjäger der Bundesliga will in Bremen bleiben. Vorerst. Für seinen Verein ist er aus mehreren Gründen Risiko- und Kapitallebensversicherung in einem.

Von Ralf Wiegand, Bremen

Bezeichnend ist es schon, dass Niclas Füllkrug im Kreise der Fußballnationalmannschaft nicht nur deshalb besonders aufgefallen ist, weil er als Mittelstürmer der einzige seiner Art im Kader des Bundestrainers Hansi Flick war, sondern weil er im Verhältnis zum Rest des Kaders auf geradezu extrovertierte Art normal ist. Witzig, locker, bescheiden, bodenständig, begeistert, unerschrocken und dankbar - mit einem verbrannten Wort: authentisch - zu sein, das genügt anscheinend schon, um als Exot im Erste-Klasse-Abteil des Fußballs zu reisen. Wie ein Stipendiat aus einfachen Verhältnissen im Elite-Internat: Füllkrug, so schien es manchmal, ist so geblieben, wie manche im Kreise der DFB-Elf gerne noch wären.

Nicht nur seine Tore, sondern seine auf diesem Level verstörend unbeschwerte Art haben dem spätberufenen Neu-Internationalen zu unerwartetem Ruhm verholfen. Es gab unter Kritikern und Fans der Nationalmannschaft kaum noch jemanden, der ihn im Laufe des aus deutscher Sicht unglückseligen Turniers nicht irgendwann in Flicks Startelf sehen wollte. Außer Hansi Flick selbst.

SZ PlusErgebniskrise in der Bundesliga
:Der Wutmotor des FC Bayern stottert bedrohlich

Bayern-Chef Oliver Kahn umschreibt die Krise des Klubs als gefährlicher als die im vergangenen Herbst. So wie es derzeit läuft, ist das System von Trainer Nagelsmann dechiffriert.

Von Philipp Schneider

Die WM in Katar hat bei dem Angreifer offenkundig keine bleibenden Schäden verursacht. Er trifft nach dem Turnier für seinen Verein Werder Bremen genauso zuverlässig wie vorher, die Treffer beim überraschenden 2:1 des Aufsteigers gegen den VfL Wolfsburg waren bereits die Saisontore zwölf und 13 für Niclas Füllkrug. Beim 1:0 in der 24. Minute legte er neben dem Ball auch sein gesamtes Selbstbewusstsein auf den Elfmeterpunkt, verwandelte mit Zwischenschritt à la Lewandowski sehr sicher. Beim 2:0 blieb er aufmerksam, obwohl ihm der Ball erst nach einem aufreizend breit ausgespielten Bremer Angriff irgendwann vor die Füße fiel. Wie viele Tore es am Ende werden könnten? Egal, sagte Füllkrug, "jetzt konzentriere ich mich erst mal aufs vierzehnte".

Auf unübersehbare Weise hat Füllkrug am Samstag erneut seine Rolle im prekären Jetzt seines Vereins untermauert. Er ist, wie man das so sagt, die sportliche Risikolebensversicherung für Werder Bremen, Füllkrugs Tore sind fast immer die entscheidenden auf dem Weg durch eine sportlich womöglich sorgenfreie Saison. Dummerweise ist er für die finanziell schwer angeschlagene norddeutsche Fußballfirma aber gleichzeitig auch die Kapitallebensversicherung: Mit einem Verkauf des 29-jährigen Publikumslieblings würden die Schulden des Klubs sinken und das Wohlwollen der Banken steigen. Nie genug Geld zu haben, teilt der Verein zwar mutmaßlich mit den meisten Klubs der Liga, aber nur wenige gehen so offen damit um.

Dass es seit geraumer Zeit im Presseraum des Weserstadions aus Budgetgründen nicht einmal mehr Butterkuchen zum Halbzeit-Kaffee gibt, ist der zwar kulinarisch schmerzhafte, aber unbedeutende Ausdruck einer Finanzkrise, die sich viel markanter in den Aktivitäten auf dem Wintertransfermarkt abbildet. Es gab einfach keine. Werder sei kein Verein, sagte Sportdirektor Clemens Fritz vor Kurzem, der es sich erlauben könne, im Sommer Geld für den Winter zurückzuhalten. Nur zwei Vereine haben sich keinen einzigen Spieler im aktuellen Transferfenster gegönnt. Bei den gut bestückten Freiburgern ist das nachvollziehbar; bei den Bremern, deren Kaderbreite hinter der ersten Elf fast ausschließlich aus Jugend, Talent und Zukunftsversprechen besteht, ist es der pure Verzicht. "Kein finanzieller Spielraum", sagte denn auch Trainer Ole Werner am Samstag, "selbst wenn ich etwas wollen würde, würde es schwierig werden."

Die einzige Extravaganz nach Katar: Füllkrug ist zu einer großen Berater-Agentur gewechselt.

So drücken sich die Bremer also seufzend die Nase am Transferfenster platt und schauen dabei zu, wie sich die anderen draußen mal verzweifelt, mal hoffnungsvoll neues Personal ins Haus holen. Die Bremer folgen stattdessen trotz zwischenzeitlichen sportlichen Schluckaufs (vier Niederlagen, 4:17 Tore) zwangsläufig dem Credo ihres Trainers, der gerne "bei sich bleibt", persönlich wie überhaupt. Nicht auf die anderen schauen, nicht nervös machen lassen, den eigenen Stärken vertrauen: Gegen Wolfsburg hat das in einer kämpferisch und spielerisch von Werder formidabel geführten Partie wieder mal ganz hervorragend geklappt.

Auch natürlich dank Niclas Füllkrug. Bis Dienstag noch könnte der aktuell wieder beste Torschütze der Bundesliga den Verein wechseln, mit jeder Stunde, die verrinnt, wird es aber unwahrscheinlicher. Füllkrug hat als womöglich einzige der neuen Berühmtheit geschuldete Extravaganz nach der WM sein Management gewechselt. Nun vertritt ihn nicht mehr der Hannoveraner Gunther Neuhaus, dessen mit Abstand berühmtester Klient Füllkrug zuletzt war, sondern die Agentur Roof. Auf deren Begrüßungsvideo im Internet springen einem gleich mal Kai Havertz, Serge Gnabry, Sadio Mané und Marc-André ter Stegen entgegen. "Ich wollte einfach mal etwas anderes ausprobieren", sagte Füllkrug. Ein Transfer noch in diesem Januar ist demnach nicht das Ziel gewesen.

Die Aussage des Vereins, man gehe wie Füllkrug davon aus, dass er die Rückrunde bei Werder bleiben werde, "war mit mir abgesprochen", sagte der Spieler, "ich war die ganze Zeit total entspannt". Alles, was dennoch an ihn herangetragen worden sei an Angeboten, "habe ich in erster Instanz abgelehnt und gar nicht erst an Werder rangelassen". Der Spieler als erste Instanz seiner eigenen Zukunft und als letzte Instanz auf dem Platz, die den Ball ins Tor wuppt - es dreht sich viel bis alles um Niclas Füllkrug in Bremen.

Möglicherweise wird der neue Makler dabei helfen, dass sich Füllkrug ab Sommer an anderer Stelle ein paar Jahre seiner Karriere, die er durch die zweite Liga tingelte, auf dem Gehaltszettel zurückholt. Bei Werder spielt er seit seiner Vertragsverlängerung (bis 2025) zu geringeren Bezügen - um 30 Prozent, so die nie dementierte Marge, ist sein Gehalt reduziert worden. "Den Tod muss ich sterben, wenn ich hier bleiben will", sagte er im vergangenen Sommer. Man kann sich die Gesichter von Havertz, Gnabry oder ter Stegen vorstellen, wenn er denen das im WM-Quartier erzählt hat.

Aber eilig hat er es eben nicht. Falls bis Dienstag nicht noch ein "unmoralisches Angebot" ins Haus flattere, bei dem der Verein nicht Nein sagen könne ("Werder ist ja ein Wirtschaftsunternehmen"), dann bleibt er zunächst mal bis zum Sommer. Es zeige Charakter, sagte Füllkrug, wenn man Dinge auch da anpackt, wo man vor Ort ist, anstatt den "leichten Schritt" woanders hin zu machen. Was Werder-Fans eben gerne hören, ehe sie in den Fanshop laufen und sich ein lachsfarbenes Leibchen für 89,95 Euro bestellen und mit acht Buchstaben beflocken lassen. Den Schriftzug "Füllkrug" gibt's dort übrigens gerade gratis dazu.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusWerder-Trainer Ole Werner
:"Ich weiß, wie es ist, wenn man seine Miete nicht zahlen kann"

Ole Werner ist mit 34 Jahren der jüngste Trainer der Bundesliga. Im Interview spricht er über schwierige Zeiten, seinen ungewöhnlichen Karriereweg - und wirbt für WM-Kandidat Niclas Füllkrug.

Interview von Thomas Hürner

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: