Wasserball-Nationalmannschaft der Frauen:Sammeln für die EM-Teilnahme

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Rührte selbst die Werbetrommel für die Spendenaktion: DSV-Kapitänin Gesa Deike. (Foto: Andrea Staccioli/Insidefoto/Imago)

Die deutschen Wasserballerinnen sichern sich ihren Turnierauftritt nur dank einer groß angelegten Spendenaktion. Grund für ihre leeren Kassen ist auch ein Sportfördersystem, das zuvorderst auf Medaillenerfolge baut.

Von Sebastian Winter

Vor ein paar Tagen hat der Deutsche Schwimm-Verband eine Mitteilung in die Welt geschickt, deren Titel auf den ersten Blick wenig spektakulär aussah, jedenfalls vor dem Doppelpunkt. Wer nach dem Doppelpunkt weiterlas, war dann doch etwas erstaunt: "Erfolgreiche Spendenaktion: DSV-Wasserballerinnen können an der EM teilnehmen." Ist es nun also schon so weit gekommen, dass Nationalmannschaften bestimmter Sportarten aus Geldmangel auf spendable Gönnerinnen und Gönner angewiesen sind, um zu ihren Höhepunkten des Jahres reisen zu können? Genauso ist es offensichtlich, jedenfalls im Falle des DSV.

Als sich die Wasserballerinnen um Belen Vosseberg und Kapitänin Gesa Deike im Februar für die Europameisterschaften in Split qualifiziert hatten und der Verband die Kosten überschlug, kam ein Betrag von "insgesamt knapp 100 000 Euro heraus", wie DSV-Sportdirektor Christian Hansmann der SZ sagt: "Es ist ja nicht nur die EM, sondern auch die Vorbereitung, die finanziert werden muss, samt einem internationalen Turnier in Budapest." Und das für eine komplette Mannschaft plus Betreuerstab. Außerdem seien seit der Corona-Pandemie die Hotelpreise und Flugkosten exorbitant gestiegen - was ein Problem gerade für die Verbände darstellt, die ohnehin kaum Medienpräsenz und auch dadurch wenig Werbeeinnahmen haben.

Deswegen hat der DSV in diesem Jahr schon auf die U-20-WM in Griechenland verzichtet, um zumindest die beiden anderen Höhepunkte im Frauen-Wasserball besetzen zu können: die U-19-Europameisterschaft in Israel und eben die Erwachsenen-EM in Split. In Israel erwischte die Deutschen dann das Coronavirus: Von 13 Spielerinnen wurden sechs positiv getestet, das Turnier war für die Juniorinnen nach dem zweiten Spiel beendet. Gelohnt hat sich die Reise also nicht wirklich, weder in sportlicher und schon gar nicht in monetärer Hinsicht.

Das Grundproblem für die Wasserballerinnen ist aber ein anderes: Seit 2019 bestimmt das Potenzialanalysesystem, kurz Potas, über die Verteilung der staatlichen Gelder an die olympischen Sommersportverbände. Eine Kommission erstellt eine auf komplizierten mathematischen Formeln basierende Rangliste, in die auch Kriterien wie Erfolg, Kaderpotenzial und Leistungsentwicklung der einzelnen Sportarten einfließen. Kritiker bemängeln, dass dieses System ungerecht sei, weil es sich zu einseitig auf gewonnene Medaillen bei Olympischen Spielen fokussiert, weiche Faktoren eine zu geringe Rolle spielten und eine Vergleichbarkeit zwischen Individual- und Mannschaftssportarten ohnehin kaum möglich sei.

Frauen-Wasserball steht im Potas-Bericht auf Rang 94 von 103 - direkt hinter Frauen-Rugby

Grundsätzlich falsch findet aber auch DSV-Sportdirektor Hansmann das System nicht: "Potas zielt auf Medaillen bei Olympia und auf Potenziale, wir müssen also unsere Hausaufgaben machen, in die Jugend investieren und um die Olympia-Qualifikation für 2028 kämpfen", sagt der Funktionär auch im Hinblick auf die Wasserballerinnen. Sie sind zwar Randsportlerinnen hierzulande, haben aber riesige Konkurrenz in Europa - und ein U16-Nachwuchsteam, das sich erst im Aufbau befindet.

Frauen-Wasserball steht im Potas-Bericht für die Jahre 2019 bis 2021 in der Disziplinen-Wertung auf Rang 94 von 103, direkt hinter Frauen-Rugby und Männer-BMX - ist also quasi nicht förderungswürdig. Im Gegensatz zum Freiwasserschwimmen der Männer, also einer weiteren DSV-Disziplin, die auch dank Florian Wellbrocks WM- und Olympia-Erfolgen auf Platz eins steht. Hansmann zufolge erhalten die Wasserballerinnen "eine niedrige sechsstellige Summe" über die Bundesmittel - für Erwachsene und Junioren, Wettkämpfe und Lehrgänge zusammen. So erschließt sich recht schnell, warum die Frauen-Nationalmannschaft neue Wege der Finanzierung gehen musste.

Mit dem extra für diesen Zweck gegründeten "Förderverein Wasserball Nationalmannschaft Deutschland e.V." wurde im vergangenen Frühjahr dann die Spendenaktion ins Leben gerufen, eifrig beworben auch von Kapitänin Deike und Vosseberg, die in einem fast schon rührenden Hilferuf per Video sagten: "Aktuell stehen wir vor der Herausforderung, dass wir keine öffentlichen Mittel bekommen. Das bedeutet, dass wir uns nicht nur nicht optimal auf die Europameisterschaft vorbereiten können, sondern vielleicht gar nicht erst hinfahren."

12 000 Euro von einem Reinigungsunternehmen

42 000 Euro kamen schließlich zusammen; ein Reinigungsunternehmen steuerte allein 12 000 Euro bei, der Rest der benötigten knapp 100 000 Euro wird über Eigenmittel des DSV und weitere Sponsoren finanziert. Das Team darf bei der EM in Split vom 27. August nun also mitwirken, samt Unterbringung in einer alternativen, günstigeren Unterkunft. "Für die Spielerinnen geht mit der EM-Teilnahme ein Traum in Erfüllung", sagt Bundestrainer Sven Schulz erleichtert.

Vielleicht ist dieser spendenbasierte, privatwirtschaftliche Weg tatsächlich auch eine Chance, das recht darwinistisch anmutende Survival-of-the-fittest-Modell von Potas zu umgehen. Aber solches Sponsoring hat gerade in Sportarten wie Wasserball, die zwar olympisch sind, aber doch eher im Abseits stehen, auch seine Grenzen. Gerade hat der DSV übrigens mitgeteilt, dass er im September zwölf Aktive zu den Junioren-Weltmeisterschaften im Freiwasserschwimmen, seiner erfolgreichsten Sparte, entsendet. Mit vier Trainern und einem Physiotherapeuten fliegen sie auf die Seychellen - aber ohne Arzt. Auch hier heißt es sparen für die Reise zur Traumdestination. Die digitale Sprechstunde muss reichen.

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