Volleyball:Blockerin mit Weitblick

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Überragender Wert für eine Mittelblockerin: Camilla Weitzel hat gegen Thailand 18 Punkte beigetragen. (Foto: Mariusz Palczynski/Newspix/Imago)

Camilla Weitzel, 22, hält die deutschen Volleyballerinnen im WM-Turnier. Über eine junge Frau, die ihren Platz im Team gefunden hat - obwohl ihre Karriere vor fünf Jahren eigentlich schon beendet war.

Von Sebastian Winter, München

Die Statistik sprach eindeutig für Camilla Weitzel am Mittwoch, aber nicht nur sie. "Wir haben gut punkten können durch die Mitte, vor allem durch Cami", sagte Jennifer Janiska, die Kapitänin der deutschen Volleyballerinnen, nach dem 3:1-Erfolg in der Weltmeisterschafts-Zwischenrunde über Thailand. Wäre Weitzel nicht gewesen, hätten sie womöglich einen Satz oder gar das ganze Spiel verloren - und die wohl letzte Chance aufs Viertelfinale. So aber bleibt die Mannschaft von Trainer Vital Heynen im Rennen. Auch wenn sie dafür ihre letzten Zwischenrunden-Spiele gegen die Dominikanische Republik am Freitag und Co-Gastgeber Polen am Samstag gewinnen und auch noch auf für sie günstige Resultate der Konkurrenz hoffen müssen.

Zurück zur Statistik: Weitzel, 22, hatte gegen Thailand 18 Punkte gemacht, zwölf Angriffe, sechs Blocks, schlicht ein überragender Wert für eine Mittelblockerin. Weitzel spielt ja auf einer Position, in der man nicht unbedingt im Rampenlicht steht. "Normalerweise sind wir zum Blocken da und kriegen dann halt ab und zu noch ein Bällchen im Angriff", sagte sie am Donnerstag der SZ am Telefon: "Aber uns zeichnet hier unsere Ausgewogenheit aus, und unsere Zuspielerin bindet wirklich alle ein." Der neue Coach Heynen hatte dieses System nach dem Wechsel der dominanten Angreiferin Louisa Lippmann im vergangenen Frühjahr zum Beachvolleyball implementiert, um taktisch weniger berechenbar zu sein. Es war auch ein psychologischer Kniff: Wenn sich alle wichtig fühlen, stärkt das auch wieder die Gemeinschaft.

Die junge, 1,95 Meter lange Weitzel ist inzwischen ein fester Anker dieser Gemeinschaft, mehr noch: Sie ist nicht mehr wegzudenken im Spiel der deutschen Frauen. Wie sie gegen Thailand die Bälle mal hart auf die gegnerische Drei-Meter-Linie schlug, wie flexibel sie kurze Winkel schlagen kann, aber auch mal über den Block lang in die Abwehrlücken, das ist besonders. Eine kaum zu überwindende Mauer war Weitzel gegen Thailand sowieso.

Dabei war ihre Karriere vor fünf Jahren schon fast vorbei. Die gebürtige Hamburgerin , die in der Pfalz beim ASV Landau Volleyball lernte, hatte das Elternhaus sehr früh verlassen und war als 13-Jährige zum Volleyball-Stützpunkt nach Dresden gewechselt. Die Kombination dort von Leistungssport und Schule gilt als vorbildlich, samt kürzester Wege zwischen Schule, Verein und Internat. Weitzel stieg auf, nach drei Jahren hatte sie ein Doppelspielrecht für die erste und zweite Bundesliga. Parallel spielte sie in zwei Juniorinnen-Nationalmannschaften - und Beachvolleyball. 2015 wurde sie im Sand deutsche U17-Meisterin. "Ich habe alles dem Volleyball verschrieben", sagt sie. Und dann konnte sie nicht mehr.

"Man sollte stärker individuell auf die Spielerinnen achten. Die Gefahr ist so groß, dass man ausbrennt."

Im Sommer 2017, kurz vor der Junioren-WM, brach sie mental zusammen. Sie hatte ein Formtief, und alles kam hoch: das Heimweh, die fehlende Zeit, auch für Freunde und Familie, das ständige Reisen, die körperliche Belastung, der Druck. Und das Gefühl, die eigene Jugend zu verpassen, während die Gleichaltrigen auf Partys gehen. Weitzel zog die Reißleine. Sie machte fünf Wochen komplette Pause von ihrem Sport - und verpasste ihren WM-Traum.

Rückblickend, sagt sie nun, war das "die beste Entscheidung, die ich hätte treffen können". Denn durch die Auszeit und die vielen Gespräche fand sie neuen Mut. Nur Monate später stand sie in der Startformation von Dresdens Erstliga-Mannschaft, die zu den besten in Deutschland zählt. Ihr Trainer Alexander Waibl bestärkte sie weiter, bis sie im vergangenen Jahr den Sprung ins Ausland wagte, nach Chieri, Italien, in die stärkste Liga Europas. "Ein Schritt aus meiner Komfortzone raus", nennt sie den Wechsel. Und der nächste Sprung in ihrer Entwicklung. Sie bleibt dort weiterhin, Heimweh? "Ich bin da inzwischen auch ein bisschen abgestumpft."

Was sie dem deutschen Nachwuchssystem, in dem sie ihr ganzes Leben verbrachte, oft mit viel Freude, noch mitgeben möchte, ist eine kleine Empfehlung: "Man sollte stärker individuell auf die Spielerinnen achten. Die Gefahr ist so groß, dass man ausbrennt." Bei zwei Vereinen mit Doppelspielrecht und gleichzeitig noch in zwei Junioren-Nationalmannschaften zu spielen - ist das nötig? "Der Fokus auf jeweils eine Mannschaft reicht doch."

Der Fokus von Camilla Weitzel liegt bald wieder auf Chieri, aber zuerst auf der Frauen-Nationalmannschaft, in der sie sich so wohl fühlt. Sie spielt nun, wenn man so will, auch deswegen eine WM, weil sie vor fünf Jahren den Mut hatte, genau darauf zu verzichten.

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