Videobeweis in Wolfsburg:Rot, Aufregung, Kopfschütteln

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Schiedsrichter Patrick Ittrich entscheidet sich für Rot gegen Matija Nastasic (r.) nach Ansicht des Videobeweises. (Foto: Peter Steffen/dpa)
  • Die Partie Wolfsburg gegen Schalke war eigentlich eine der Gegensätze - doch am Ende bezwingen die Wolfsburger die Gäste mit 2:1.
  • Der Verlauf des Spiels macht deutlich: Es kann in dieser Saison alles wieder ganz anders sein als in der vorherigen.
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Von Thomas Hahn, Wolfsburg

"Sechs Minuten Nachspielzeit", sagte der Stadionsprecher in der Wolfsburger Arena, und auf den Rängen flammte die Hoffnung auf. Der VfL Wolfsburg hatte sich gerade den Ausgleich eingefangen gegen Schalke 04. Manche Fans unter den 26 100 Zuschauern fühlten sich erinnert an die schlechte vergangene Saison, als ihr Team immer wieder Führungen verspielte. Sechs Minuten. Der großzügige Nachschlag war berechtigt nach all den Debatten und Videobeweisen, die dem Spiel zusätzliche Würze gegeben hatten. Es konnte noch was passieren. Der VfL drängte nach vorne, prallte zurück. Weiter ging es, weiter. Und dann brachte ein langer Pass von Ignacio Camacho in die Spitze Yannick Gerhardt in gute Schussposition. Schalke-Torwart Ralf Fährmann reagierte gut, aber den Abpraller nahm Daniel Ginczek auf, der eingewechselte Torjäger. Er zielte. Er traf. 2:1. Wolfsburg jubelte und fühlte sich zurückversetzt in bessere Zeiten.

Wolfsburg. Schalke. Zwei Teams, zwei Enden der Tabelle. Der VfL war in der vergangenen Saison die schlechteste Bundesliga-Mannschaft, die nicht abstieg. Schalke war die beste Mannschaft, die nicht Meister wurde. Und das erste Spiel der neuen Saison hat gleich einen Hinweis darauf gegeben, dass in dieser Saison wieder alles ganz anders sein kann. Der VfL, Meister von 2009, Pokalsieger von 2015, führte keineswegs einen ungefährdeten Triumphzug vor zum Saisonauftakt im eigenen Stadion. Aber immerhin eine beherzte Mannschaftsleistung, nach der die Wolfsburger Fans guter Hoffnung sein dürfen, nach zwei Jahren mit Relegations-Teilnahme endlich mal wieder eine erfreuliche Spielzeit zu erleben.

Die Mannschaft von Trainer Bruno Labbadia strahlte den Willen zum neuen Anfang aus, war kampfstark und agil. Schalke wirkte auch nicht schlecht sortiert, scheiterte aber letztlich an ein paar leichten Fehlern, die man sich gegen einen neu aufgestellten Ex-Meister nicht erlauben darf - und ein bisschen auch am Videobeweis.

Wolfsburgs Laufwege verwirren die Deckung

Domenico Tedesco, der Schalker Trainer, ist ein Meister im Positiv-Denken. Er hält nicht viel davon, seine Leute mit pointierter Kritik wachzurütteln, schon gar nicht nach einem Saisonauftakt, der erst in der Nachspielzeit verloren ging. Er fand sein Team nicht schlecht, lobte Moral und Zweikampfverhalten gerade nach der roten Karte für Matija Nastasic in der 65. Minute. "Die Jungs sind marschiert, sie haben dran geglaubt, wir schießen das Eins-eins", lobte Tedesco. Er hielt es deshalb auch für folgerichtig, dass der eingewechselte, viel gescholtene Algerier Nabil Bentaleb einen Elfmeter zum Ausgleich (85.) nutzte.

Aber am Ende fehlte seiner Mannschaft eben doch die letzte Konzentration zum Erfolg. Sie nutzte die wenigen zwingenden Torchancen nicht, die sich ihr boten. Und vor der Wolfsburger Führung leistete sie sich einen schweren Deckungsfehler. Es war in der 33. Minute. Maximilian Arnold brachte einen Eckstoß in den Strafraum. Die Schalker Abwehr ließ sich von den Wolfsburger Laufwegen verwirren, und plötzlich stand Innenverteidiger John Anthony Brooks in ihrem Rücken frei. Kopfball. 1:0.

Lange wirkte die Partie wie das gepflegte, aber auch etwas ereignisarme Aufeinandertreffen zweier gut geführter Mannschaften. Das änderte sich, als Nastasic Wolfsburgs neuen Stürmer Wout Weghorst mit ausgefahrener Stollensohle am Oberschenkel traf, nachdem der Schalker den Ball weggespitzelt hatte. Schiedsrichter Patrick Ittrich bestrafte den Einsatz mit einer gelben Karte. Dann betrachtete er den Videobeweis und änderte das Strafmaß: Rot. Aufregung, Kopfschütteln, Nastasic trollte sich fluchend. Wenige Minuten später reckte Ittrich schon wieder seine rote Karte in die Höhe. Diesmal gegen den Niederländer Weghorst, der seinen Widersacher Guido Burgstaller im Schalker Strafraum mit einem Revanche-Rempler zu Boden gebracht hatte. Wieder Aufregung und Kopfschütteln. Wieder betrachtete Ittrich die Videoaufzeichnung, wieder korrigierte er sich. Gelb statt Rot. Weghorst wurde begnadigt und kurz darauf gegen Daniel Ginczek ausgewechselt.

Dass dann ausgerechnet der in der Nachspielzeit den Wolfsburger Siegtreffer erzielte, fanden die Schalker keine gelungene Wendung. Wobei Domenico Tedesco diese noch mit Gleichmut hinnehmen konnte. Entscheidungen könne man akzeptieren, Fehlentscheidungen auch. "Kein Problem", sagte Tedesco: "Was ein Problem ist, wie wir kommunizieren. Ich bin sehr respektvoll, das wünsche ich mir auch vom Gegenüber." Der Ton des Schiedsrichters Ittrich gefiel ihm nicht. "Ich glaube, die Message ist angekommen." Ittrich antwortete bei Sky: "Ich habe ihn nicht beleidigt. Man kann sonst auch alles hören über Funk. Ich habe ihn nicht 'durchbeleidigt', ich war ein bisschen lauter und emotionaler. Aber wenn er denkt, ich hätte ihn beleidigt, dann in aller Form: Entschuldigung."

Bruno Labbadia wiederum hätte sich an diesem Tag wahrscheinlich sogar aufs Wüsteste beschimpfen lassen vom Unparteiischen, ohne sich zu beschweren. "Ich freue mich extrem für unsere Mannschaft", sagte er. Labbadia hat sich in den vergangenen Jahren einen Ruf als Nothelfer im Abstiegskampf erworben, der dann aber über die akute Rettung hinaus wenig bewegt. Das würde er gerne ändern. Deshalb gefiel es ihm sehr, dass der VfL Wolfsburg am ersten Spieltag der neuen Saison ganz anders aussah als an den meisten Spieltagen in der vergangenen.

© SZ vom 26.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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