Der Tag auf dem Testgelände Ehra-Lessien war fast gelaufen, die "autofahrerischen Grenzerfahrungen" nahezu vergessen, als das Blut doch noch mal erkennbar durch den Kopf von Kevin De Bruyne pumpte. ". . . und dann hoffen wir natürlich, euch auch im kommenden Jahr wiederzusehen", charmierte die Dame, die den Vertretern des VfL Wolfsburg - und damit auch De Bruyne, dem belgischen Nationalspieler - eine überaus freundliche Gastgeberin gewesen war beim gemeinsamen Fahrsicherheitstraining. "Nächstes Jahr" - das ist eine Zeitangabe, die bei De Bruyne im Moment nachgerade körperliche Reaktionen auslöst.
Als er sie diesmal hörte, schien sein Kopf zu erröten, spielte er nervös mit den Händen. Seit Monaten wird er nahezu täglich mit der Frage konfrontiert, was denn nun sei im kommenden Jahr. Und nun stellt sich überdies die Frage, ob das Thema auch auf den Rücken ausstrahlt.
Auch Gegner Bayern würde De Bruyne gerne bei sich sehen
Am Donnerstag musste Kevin De Bruyne in Wolfsburg das Training abbrechen: Zwei Tage vor dem Supercup-Finale gegen den Deutschen Meister FC Bayern München (20.30 Uhr/ZDF) bewertete Wolfsburgs Trainer Dieter Hecking die Chancen auf ein Mitwirken des Mittelfeldspielers am Samstag eher skeptisch. "So, wie er sich gerade bewegt hat, macht es wenig Sinn", erklärte der Coach; De Bruyne selbst wurde nach Braunschweig zu einer ärztlichen Untersuchung gefahren. Weil er aber bereits am Mittwoch hatte erkennen lassen, dass der Rücken zwickt, galt in Wolfsburg als ausgeschlossen, dass die Unpässlichkeit De Bruynes Anlass für Verschwörungstheorien bieten könnte.
Verschwörungstheorien? Nun ja: Auch Supercup-Gegner FC Bayern ist schließlich unter den Klubs, die De Bruyne gerne in ihren Reihen sehen würden. Vielleicht auch schon früher als nächstes Jahr.
Nachvollziehbar ist das allemal. In der vergangenen Spielzeit war De Bruyne, 24, die dominanteste Figur der Bundesliga. Für Wolfsburg erzielte er 16 Pflichtspieltore und bereitete jede Menge weitere vor, er führte den Verein zum Pokalsieg und zur direkten Champions-League-Qualifikation. Seit Monaten wird er nun mit Europas Top-Klubs in Verbindung gebracht, zuletzt war von abstrusen Offerten des englischen Premier-League-Klubs Manchester City die Rede. De Bruyne wiederum hat die Spekulationen durchaus befeuert - mit Äußerungen, die sich mal unbeholfen, mal kryptisch, mal ehrlich ausnahmen.
Ob er nun bleibe, wurde De Bruyne dieser Tage wieder gefragt, und er sagte einerseits, dass "das davon abhängt, was passiert zwischen den Klubs". Er sagte aber auch, dass die Kriterien für einen Wechsel ("alle Faktoren müssen stimmen") nicht erfüllt seien. De Bruynes Vertrag läuft bis 2019, und Wolfsburgs Manager Klaus Allofs beteuert, dass kein Angebot für ihn auf dem Tisch liege. Erst recht keins, bei dem man überlegen müsse, ob man es aus wirtschaftlichen Erwägungen annimmt: "Wir sind in der glücklichen Lage, nicht gezwungen zu sein, einen Spieler abzugeben."
Jenseits dessen müsse man lernen, mit Gerüchten zu leben. Nicht nur De Bruyne wurde zuletzt umschwärmt, die kroatische Offensivkraft Ivan Perisic sowie Linksverteidiger Ricardo Rodríguez weckten ebenfalls Interesse. Immerhin dürfte der Druck, über Transfers Geld einzunehmen, aus dem Mutterkonzern VW überschaubar sein. Für eine Firma, die in Deutschland einen Bekanntheitsgrad von fast einhundert Prozent hat, wird Sponsoring auch dann sinnvoll, wenn es international wahrgenommen wird - über Erfolge in der Champions League, die sich nur über die Qualität des Spielermaterials erzielen lassen. Über Spieler wie: Kevin De Bruyne.
Wie sehr der Verein an der Konsolidierung der Erfolge aus der vergangenen Spielzeit arbeitet, lässt sich nicht zuletzt an der Personalpolitik ablesen. Es wurden lediglich weniger prominente Spieler abgegeben (Drewes, Kutschke, Thoelke, Chang, Ochs). Nach dem Winterpausen-Einkauf André Schürrle wurde dafür mit dem deutschen Nationalspieler Max Kruse (Borussia Mönchengladbach) und der peruanischen Copa-América-Entdeckung Carlos Ascues (FC Melgar/Peru) der Konkurrenzdruck in Sturm und Abwehr erhöht, ohne die Statik der Mannschaft zu verändern.
Schön, wenn man präsent wäre, falls Bayern stolpert
Der französische Nationalspieler Josuha Guilavogui lobt die Zugänge, sagt aber gleichzeitig, dass "die personelle Kontinuität wichtig ist, weil wir auf diese Weise auch längst verinnerlichte Automatismen fortführen können". Das schaffe die Sicherheit, um den nächsten Schritt zu tun, fügt er hinzu. Die Frage ist nur: wohin?
Liga-Zweiter ist der VfL Wolfsburg ja schon. Doch der Branchenprimus FC Bayern scheint vor möglichen Wolfsburger Angriffen wie durch ein Dach aus Glas geschützt zu sein, Guilavogui nennt die Münchner gar "das Monster der Liga". Das hat weniger mit Ehrfurcht als mit Realismus zu tun. "Die Bayern sind halt seit Jahren da oben", sagt Luiz Gustavo, brasilianischer Nationalspieler mit Bayern-Erfahrung. "Unser Ziel muss es sein, uns wieder für die Champions League zu qualifizieren", sagt Verteidiger Naldo. Alles andere sei nur bedingt in den eigenen Händen.
Aber es wäre schön, wenn man präsent wäre für den Fall, dass die Bayern doch mal stolpern sollten, formuliert es Manager Allofs, und das klingt, als bleibe Wolfsburg vorerst ein Bayern-Jäger im Konditionalis. De Bruyne hin oder her.