Die Titanic taugt fast immer als Metapher, das war auch dem Trainer Ralph Hasenhüttl bekannt. Hasenhüttl hatte vor fünf Jahren gerade eine komplizierte Mission angetreten; deshalb sprach er bei seiner Präsentation als Coach des FC Southampton ein paar Sätze, die den Ernst der Lage verdeutlichen sollten: Beim ersten Kontakt mit dem englischen Klub, erzählte der Österreicher, habe er sofort an den gesunkenen Stahlkoloss denken müssen. Seine Hoffnung sei deshalb, dass er "nicht auf einen Eisberg" pralle. Die Titanic, das machte die Metapher so toll, war seinerzeit von Southampton aus in See gestochen. Und der FC Southampton, bei dem Hasenhüttl daraufhin vier Jahre seinen Dienst verrichten sollte, war damals mittendrin im Kampf um den Klassenverbleib.
Nun, auf dem Mittellandkanal wurden zwar noch keine Passagierdampfer gesichtet, weil sie die schmale Wasserstraße unter Garantie verstopfen würden. Vergleichbar ist die Ausgangslage an Hasenhüttls neuer Wirkungsstätte aber schon: Beim VfL Wolfsburg, wie immer in die Saison gestartet mit Europapokalambitionen, fehlt nach einer langen Phase des sportlichen Siechtums nicht mehr viel, um sich noch ernsthaft ins tabellarische Gefahrengebiet zu stürzen. Hasenhüttl soll das jetzt verhindern. Um im Bild zu bleiben: Er soll das Steuer noch mal herumreißen, wie das im Fußball gerne heißt, ehe der Kahn leckschlägt.
Mit geradezu weltmännischer Abgeklärtheit saß Hasenhüttl, 56, am Montag auf dem Podium und strahlte vor allem diese Botschaft aus: Wer Premier League kann, wird auch dieses zuletzt so konfuse Team hinbiegen können, das in den vergangenen Monaten auf bemerkenswerte Weise seinen Kompass verloren hat. "Die Lage ist klar", sagte Hasenhüttl und skizzierte einen aus seiner Sicht erforderlichen Vier-Punkte-Plan: Spiele gewinnen, Liga halten, Stabilität erreichen - dann könne der selbst ernannte "Träumer" Hasenhüttl vorsichtige Überlegungen anstellen, was mit dem VfL Wolfsburg noch so zu bewerkstelligen sein könnte.
Was er meinte, dürfte klar sein: Mit diesem Team, das mit den Millionensubventionen eines örtlichen Autokonzerns zusammengebaut wurde, dürfte mehr drin sein als das, was die Auswahl unter seinem Vorgänger Niko Kovac zuletzt präsentierte.
Für dieses Vorhaben hat Hasenhüttl einen "langfristigen Vertrag" unterschrieben; präziser sind weder der Trainer noch der neben ihm auf dem Podium sitzende VfL-Sportdirektor Sebastian Schindzielorz geworden. Je nachdem, ob er diese Vereinbarung vollends erfüllen wird oder nicht, muss er nun mit dazugehörigen Begleiterscheinungen klarkommen: Hasenhüttl berichtete, dass ihn hierzulande bei Restaurantbesuchen zuletzt keiner mehr erkannt habe; das habe wohl an seiner Umsiedlung nach England gelegen und dem Rückzug aus der deutschen Öffentlichkeit.
In der Premier League habe er von den "besten Trainern" gelernt
Die Bundesliga vergessen habe er aber nicht, sagte Hasenhüttl, immerhin habe er sich dort einiges von seinem "Wissen angeeignet". Und erfolgreich war er auch: Unter anderem hat er mit dem FC Ingolstadt den Sprung in die Erstklassigkeit geschafft und RB Leipzig als Spitzenteam in der Liga etabliert. Daraufhin ging es für Hasenhüttl in die "beste Liga der Welt", die Premier League, wo er wiederum unter "besten Bedingungen" von den "besten Trainern" gelernt habe. Er habe dort auch seinen vom RB-Kosmos inspirierten Gegen-den-Ball-Stil um ein paar Elemente erweitern können: Der Coach sagte, er habe sich ein wenig "losgelöst" von der damaligen "Eindimensionalität" des Fußballs - das war aber keineswegs abschätzig gemeint, sondern ein weiterer, wenig subtiler Hinweis darauf, wie inspirierend die vier Jahre in England für ihn waren.
Dass er sich jetzt, ausgestattet mit all diesen Erfahrungen, just den Abstiegskampf in Wolfsburg aufbürdet, war jedenfalls vor Kurzem kaum zu erwarten gewesen: Hasenhüttl hatte nach seiner Entlassung in Southampton recht offen mit dem Ende seiner Trainerkarriere kokettiert. Nun aber habe er sich "genug erholt", sagte der 56-Jährige. Und nachts "von Fußball geträumt" habe er übrigens auch.