VfL Wolfsburg:Sinnsuche in der Autostadt

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Mittendrin im grauen Mittelmaß: Wolfsburgs Trainer Niko Kovac (links) und Sportdirektor Marcel Schäfer. (Foto: Swen Pförtner/dpa)

Der nächste Trainer, der Topspieler suspendiert, in der Tabelle nur noch Mittelklasse: Es holpert beim Werksklub Wolfsburg. Dem Mutterkonzern kann das nicht gefallen, zudem stellt sich die Frage: Wer entscheidet eigentlich gerade beim VfL?

Von Thomas Hürner, Wolfsburg

Freunde des VfL Wolfsburg sollten sich immer dafür interessieren, wie es Josuha Guilavogui gerade so geht. Ist der Mittelfeldmann mit Freude bei der Sache? Hadert er mit irgendwas? Und, noch wichtiger: Ist Guilavogui gerade überhaupt beim VfL Wolfsburg?

Guilavogui, 31, ist so etwas wie die graue Eminenz des Werksklubs, eines Vereins, bei dem man sich traditionell schwertut, Gesichter zu finden, die vom Publikum richtig gemocht werden. Vorweg: Guilavogui hat das wohl freundlichste Gesicht der Welt. Und obwohl er ein 1,90-Meter-Hüne ist, der sich auf dem Rasen ums Rustikale kümmert, hat er obendrein eine sanfte Stimme, die zu diesem Gesicht passt.

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Dieses Gesamtpaket macht Guilavogui in der Theorie zu einem Fußballer, der sich nach dem Karriereende um einen Ehrenplatz im VfL-Pantheon bewerben könnte. Aus zwei Gründen wird das allerdings nichts. Erstens: Die Wolfsburger müssten eine konzerneigene Ruhmeshalle erst eröffnen, was derzeit nicht geplant ist. Zweitens: Auf der Gedenktafel unter Guilavoguis Porträtbild stünde eine Kurzbiographie geschrieben, die bei der Nachwelt so einige Fragen aufwerfen würde - und die deshalb eine Menge darüber verrät, warum die Wolfsburger an diesem Sonntag beim Bundesliga-Tabellenführer Union Berlin als klarer Außenseiter antreten, obwohl das laut der anerkannten Erfolgsfaktoren im Fußball (Geld, Geld, Geld) eigentlich gar nicht so sein dürfte.

VW zahlt jährlich 70 Millionen Euro an den VfL - und erwartet sich mehr von den Inventionen

Das Praktische an der Personalie Guilavogui ist, dass man an ihr auch die etwas verwirrende Wolfsburger Trainerhistorie der jüngeren Vergangenheit skizzieren kann. Denn in den vier Jahren, in denen es bei Spitzenreiter Union mit dem Dauercoach Urs Fischer kontinuierlich vorwärts ging, dürfte der Mittelfeldmann beim VfL eher eine Art Schleudertrauma erlitten haben: Guilavogui spielte in dieser Zeit unter den erfolgreichen Disziplinfanatikern Bruno Labbadia und Oliver Glasner sowie unter den erfolglosen Offensivdenkern Mark van Bommel und Florian Kohfeldt, die ihm jeweils unterschiedliche Rollen zuwiesen. Mal war Guilavogui Stammkraft und Kapitän, mal Bankdrücker, mal zentrale Autorität ohne Kapitänsbinde - und in der vergangenen Rückrunde war Guilavogui auf einmal Leihspieler in Bordeaux.

In dieser Saison ist Guilavogui nun plötzlich zurück in Wolfsburg, wobei nicht ganz klar ist, was der aktuelle VfL-Coach Niko Kovac davon hält. Denn in der kurzen Zeit unter dem Disziplinfanatiker Kovac war Guilavogui bereits Innenverteidiger, Mittelfeldabräumer und für eine Viertelstunde Interims-Kapitän, ehe er erneut zum Ersatzspieler herabgestuft wurde.

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Wer sich jetzt nicht mehr auskennt, muss sich keine Sorgen machen: Josuha Guilavogui versteht das alles auch nicht wirklich. Er hat nur den unschlagbaren Vorteil, dass er sein Unverständnis charmant weglächeln kann.

Dem VfL Wolfsburg haftet seit jeher das Klischee an, ein Fußballunternehmen auf permanenter Suche nach Identität zu sein. Das ist prinzipiell auch gar nicht schlimm für die Entscheider im Mutterkonzern VW, wenn da nicht eine enorme Diskrepanz wäre zwischen dem, was sportlich mit dem Werksklub möglich wäre, und dem, was seit mehr als einem Jahr aus diesen Möglichkeiten gemacht wird. 70 Millionen Euro zahlt der VW jährlich in die Klubkassen ein, weshalb man in der Konzernzentrale des Autobauers etwas anderes sehen will als die jüngste Rückwärtsentwicklung des VfL - vom Champions-League-Teilnehmer zum grauen Mittelklasseteam: Nach dem enttäuschenden zwölften Platz in der Vorsaison ist Wolfsburg auch in die aktuelle Spielzeit holprig gestartet, den ersten Liga-Sieg unter Kovac gab es erst am vergangenen Samstag in Frankfurt zu feiern (1:0).

Der Mutterkonzern will für Nachhaltigkeit und Vernunft stehen

"Unser Verein gehört zu denen, die in Deutschland mit am besten ausgestattet sind. Und dafür sind die Leistungen, finde ich, zu schwach", lautete vor wenigen Monaten das Urteil des Ex-VW-Konzernchefs Herbert Diess. Wie dessen Nachfolger Oliver Blume das sieht, ist nicht bekannt, da dieser sich zum Dienstantritt mit wichtigeren Dingen beschäftigen muss als mit der hauseigenen Werbeplattform auf 22 Fußballerbeinen.

Zu wenige Siege sind aber nur das Eine. Woran sich einige Entscheider in der VW-Zentrale genauso stören, ist, dass sich der kesse Imagewechsel bei den Automarken nur partiell im Fußball widerspiegelt. Nachhaltigkeit und Vernunft sind jetzt en vogue, da sieht es nun mal schräg aus, wenn - wie neulich - der Starspieler der Fußballer, Max Kruse, auf die Tribüne verbannt oder eine Dauerrochade auf der Trainerbank vollzogen wird.

Diese Themen betreffen den Kompetenzbereich des VfL-Sportchefs Jörg Schmadtke, der neulich stolz verkündete, die aktuelle Saison "nur mit den vorhandenen Bordmitteln" zu absolvieren. An anderen Bundesliga-Standorten dürften bei solchen Sätzen reihenweise Augenbrauen nach oben zucken, doch in der kleinen Parallelwelt der privilegierten Werksklubs hat Schmadtke damit sogar Recht: Im vergangenen Geschäftsjahr konnte der VfL erstmals seit Jahren eine schwarze Null in der Bilanz ausweisen, was bedeutet, dass VW ausnahmsweise keine Extra-Millionen zum Ausgleich der Defizite nachschießen musste. Das ist zwar noch lange nicht nachhaltig. Aus Konzernsicht ist das aber eine deutlich bessere Geschichte als verbrannte Kruse-Millionen oder Abfindungen an Trainer, die man sich auch als VfL Wolfsburg erst mal leisten muss.

Wobei das zu einer Frage führt, die nur schwer beantwortet werden kann: Wer entscheidet eigentlich gerade beim VfL Wolfsburg? Schmadtke, 58, wird im Januar in den Ruhestand gehen und war immer stolz darauf, dass in Sportdirektor Marcel Schäfer, 38, ein Nachfolger bereitsteht, den er während seiner vier Jahre in der Autostadt ausgebildet und aufgebaut hat. Mittlerweile ist die Rangordnung aber nicht mehr so klar: Schäfer sei der "starke Mann" im Klub, heißt es im Umfeld, weshalb es ihm gelang, den Disziplinfanatiker Kovac vor der Saison als Trainer zu installieren. Schmadtke hätte lieber mit dem Offensivdenker Kohfeldt weitergemacht, kann sich mit dieser Personalie inzwischen aber gut arrangieren.

Einig dürften sich Schäfer und Schmadtke sein, dass Kovac auf der Pressekonferenz am Freitag keinen Unsinn behauptet hat. Es sei immer erfolgversprechend, sagte der Kroate, "wenn man einen kontinuierlichen Weg geht" und das Bestmögliche aus den "finanziellen Möglichkeiten ausschöpft". Kovac sprach freilich nicht von seinem Arbeitgeber Wolfsburg, sondern vom Gegner am Wochenende: vom vergleichsweise armen 1. FC Union Berlin.

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