Die Conference League ist der Europacup der kleinen Leute. Vereine wie die Shamrock Rovers aus Irland oder Ballkani Suhareka aus Kosovo finden hier ihr internationales Spielfeld, das sie in der Champions und Europa League niemals erreichen würden. Dass am späten Donnerstagabend knapp 48 000 Menschen die Mühe des Stadiongangs auf sich nahmen, um dem 1. FC Köln bei der Begegnung mit 1. FC Slovácko beizustehen, lässt erkennen, dass der Wettbewerb auch hierzulande Interesse erzeugt.
Das mag vor allem damit zu tun haben, dass in Köln grundsätzlich alles Neugier hervorruft, was beim FC passiert - selbst wenn es nur ein platter Reifen an Steffen Baumgarts Dienstfahrrad ist. Doch ein bisschen liegt es auch an dem Charme des Gestrigen, den die Conference League ausstrahlt: Hier treten Klubs an, die auf besseren Bezirkssportanlagen mit fahler Beleuchtung zuhause sind, und es gibt Spieler zu entdecken, deren Namen man sich merken möchte, aber wegen ihres fremden Klangs nicht zu speichern vermag. Außerdem hat Europas dritte Liga keinen Video Assistant Referee (VAR).
Der Verzicht auf das Fernsehgericht verrät, dass die Conference League als volkstümlich preisgünstige Variante konzipiert wurde, eben eher Aldi als KaDeWe oder Harrod's. Der Einsatz eines VAR-Teams ist der Uefa zu teuer, erst ab dem Halbfinale ist der Verband bereit, die Kosten zu tragen.
Ein Fußball-Abend ohne VAR hat etwas Befreiendes. Fällt ein Tor, und weder der Aufseher noch sein Assistent erheben Einwände, zählt der Treffer. Es gilt das gesprochene Wort des Schiedsrichters. Darauf ist Verlass, selbst wenn es Blödsinn ist. Das Wissen um die Abwesenheit einer Revision und um die unmittelbare Wirkung der Entscheidung ist eine Wohltat. Man muss nicht minutenlang unsicher ausharren, ob ein Assistent des Assistenten plötzlich Bedenken anmeldet, die dann zu weiteren minutenlangen Prüfungen führen - und zu einem neuen Beschluss, der dann womöglich auch noch grundverkehrt ist.
Der erste DFB-Fachmann findet die Entscheidung richtig, der zweite korrigiert: Sie war falsch!
Auch nach fünf Jahren, die der VAR nun seinen Dienst versieht, wird über Sinn oder Unsinn des Video-Schiris gestritten, und zwar nicht weniger als am ersten Tag seiner Amtseinführung. Der Grund dafür liegt in der chronischen Fehlbarkeit des vermeintlich unfehlbaren Systems. Am Donnerstag hat der Schiedsrichter-Funktionär Peter Sippel im Namen des DFB drei gravierende Fälle bekanntgemacht, bei denen am vorigen Wochenende die Kooperation von Feld- und Teleschiedsrichter nicht funktionierte.
Darunter waren Vorkommnisse von lachhafter Eindeutigkeit, etwa der Handelfmeter für Union Berlin im Spiel beim 1. FC Köln: Alle hatten gesehen, dass der Elfmeter auf einem groben Irrtum beruhte, bloß die zuständigen Fachleute nicht. Nun bekannte Sippel, die Entscheidung sei "klar und offensichtlich falsch" gewesen, "der Videoassistent hätte eingreifen müssen".
Es ist ehrenwert, wenn der DFB Fehler einräumt, allerdings sind diesem Eingeständnis schon zahlreiche ähnliche Eingeständnisse vorausgegangen, und man kann sicher sein: Auch an diesem Wochenende wird es wieder Fälle geben, wo der eine Schiedsrichter dieselbe Sache ganz anders beurteilt als der andere. Nachdem am vergangenen Wochenende Leverkusens Verteidiger Kossonou den Ball vor der Torlinie zufällig an die Hand bekam (und dadurch einen Hertha-Treffer verhinderte), verkündete DFB-Lehrwart Lutz Wagner anderntags im Doppelpass, es sei richtig gewesen, keinen Elfmeter zu verhängen.
Nun urteilte Wagners Kollege Sippel, der Beschluss sei falsch gewesen und der VAR hätte Einspruch einlegen müssen. Das Problem ist vermutlich der Fußball an sich: Er ist in seiner Wildheit zu kompliziert für die Regeln, die ihm die Funktionäre ständig aufs Neue auferlegen. Mit jeder weiteren Instanz wird es anscheinend nur noch komplizierter.