VfB Stuttgart:Die drei Musketierle

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Drei für den Aufstieg? Sven Mislintat (Sportdirektor), Tim Walter (Trainer) und Thomas Hitzlsperger (Sportvorstand) (v.l.n.r.). (Foto: imago images / Sportfoto Rudel)
  • Der VfB Stuttgart startet an diesem Freitagabend gegen Hannover 96 in die Zweitliga-Saison.
  • Beim Absteiger, der sich zuletzt als Zerkleinerer der Spitzenklasse erwies, arbeitet nun ein junges Spitzentrio mit Thomas Hitzlsperger, Sven Mislintat und Tim Walter.
  • Die drei haben sich vorgenommen, den Teufelskreis eines Traditionsklubs zu durchbrechen.

Von Christof Kneer, Stuttgart

Sven Mislintat hat offenbar ein stabiles Wlan im kleinen Besprechungsraum im Erdgeschoss. Jedenfalls erreicht ihn zuverlässig die Mail, die Thomas Hitzlsperger ein Stockwerk höher losgeschickt hat. Der Chef ruft, Mislintat muss los, wichtige Dinge besprechen. Nein, ein neuer Stürmer sei nicht zu erwarten, sagt der Sportdirektor noch, obwohl sich der auch noch recht neue Stürmer Sasa Kalajdzic gerade schwer verletzt hat. So stolz waren sie beim VfB auf die Akquise dieses zwei Meter großen österreichischen Sturmtalents, und dann: ein blöder Sturz in einem Testkick, Kreuzband-, Außenband- und Meniskusriss. Halbes Jahr Pause, mindestens.

Aber doch, gute Nachrichten gibt es schon auch noch aus dem Stuttgarter Talkessel, zum Beispiel jene, dass die Wlan-Affäre lückenlos aufgeklärt ist. Ein bisschen rufschädigend war die Affäre ja schon, der große Verein aus der reichen Stadt will auf der Mitgliederversammlung über seinen Präsidenten abstimmen lassen, und dann kommt der Verein nicht ins Netz. Erstklassigen Spott musste der VfB über sich ergehen lassen, es wurden auch Grenzen des guten Geschmacks überschritten, etwa beim Vergleich mit dem HSV. Der VfB hatte sowieso schwere Wochen hinter sich, unter anderem, weil der Ball auch auf dem Spielfeld viel zu selten ins Netz gekommen war, was den Abstieg zur Folge hatte.

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:Witzle mit Fritzle

Die VfB-Mitgliederversammlung wird abgebrochen, weil das WLAN versagt, dann tritt der Präsident zurück: Der Abend in Stuttgart zeigt, wie kabarettistisch es bei dem Verein zugeht - und wie gespalten er ist.

Von Christof Kneer

Jetzt aber, pünktlich zum Zweitliga-Auftakt gegen Hannover 96 am Freitagabend, diese ermutigende Nachricht: Die Ermittlungen in der Koi-Netz-Affäre sind abgeschlossen. Die Ursache des Wlan-Ausfalls liege "in einem identifizierten Teilsystem eines Dienstleisters", heißt es. Gut auch, dass ein Cyberangriff ausgeschlossen wurde, es gab definitiv keine Manipulation von außen, auch nicht vom HSV.

Der Teufelskreis eines Traditionsklubs

Thomas Hitzlsperger weiß, auf wen er sich da eingelassen hat. Er kennt den VfB wirklich gut genug, er kennt auch die gefährlichste Eigenschaft dieses Klubs. Der VfB ist ein Zerkleinerer der Spitzenklasse, Spieler wurden dort schlechter, Talente entwickelten sich erst, wenn sie weg waren, und aus manchmal sogar fähigen Funktionären holte der VfB nur das Schlechteste heraus. Irgendein identifiziertes Teilsystem ist immer ausgefallen.

Er wolle "den Teufelskreis eines Traditionsklubs durchbrechen", sagte mal der Sportchef des VfB. Es war Robin Dutt, der das sagte, das ist erst vier Jahre her. Er ist Hitzlspergers Vor-vor-Vorgänger.

Unter Dutts Regie ist der VfB im Mai 2016 auch abgestiegen, und immerhin hat man damals gesehen, was dieser Verein eben auch kann. Er kann faszinierend und voller Dynamik sein, die Leute haben sich solidarisiert, es gab Zuschauer- und Mitgliederrekorde, es gab ungefähr 100 Terodde-Tore und am Ende den Wiederaufstieg.

Man wolle "etwas Neues anfangen", sagt Sven Mislintat, 46. Der neue Sportdirektor war der Wunschkandidat des Sportvorstands Hitzlsperger. Mislintat hat jahrelang die Kader von Borussia Dortmund geplant, "eine Granate" sei der Sven, sagt Hitzlsperger und muss selber lachen. Granate, das ist eher ein Begriff aus der Amtszeit seines Vorgängers Michael Reschke, der Spieler gerne als aaabsolute Volljranate ankündigte. Reschke ist ja auch so ein Beispiel: Der Mann kann wirklich was, in seiner Zeit beim FC Bayern hat er dem Klub die Zukunft organisiert, die Verpflichtungen von Kimmich, Süle, Coman, Tolisso und Gnabry gehen auf sein Konto.

Reschke hat natürlich gedacht, er könne auch den VfB. Aber der VfB war stärker.

Hitzlsperger, 37, hat genau hingeschaut in dieser Zeit, er war damals noch fürs Nachwuchsinternat zuständig. Seine Schlussfolgerung war, dass der moderne Fußball mit all seinen Anforderungen viel zu groß geworden ist, um nur von einem starken Präsidenten (dem zurückgetretenen Wolfgang Dietrich) und einem starken Sportchef (Reschke) verantwortet zu werden. Er wolle ein Team von starken Leuten mit Mut zum Widerspruch an seiner Seite haben, hat Hitzlsperger gesagt, als er im Februar die Position des entlassenen Reschke übernahm, und man muss sagen: Ja, das ist auf sehr spezielle Art gelungen.

Mislintat hat eine sehr eigene Meinung und kein Problem, sie zu vertreten. Und Tim Walter, der neue Trainer, hat eine sehr, sehr eigene Meinung und wirklich überhaupt gar kein Problem, sie zu vertreten.

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Der Schritt erfolgt nur wenige Stunden nach der denkwürdigen Mitgliederversammlung. Beim Afrika Cup erlebt Nigeria mit Trainer Gernot Rohr ein bitteres Ende.

Meldungen im Überblick

Hitzlsperger, Mislintat, Walter: Dieses Trio hat sich nun vorgenommen, den Teufelskreis eines Traditionsklubs zu durchbrechen. Noch kann niemand diese 2. Liga wirklich einschätzen, aber die drei Musketierle bringen immerhin ein paar nützliche Voraussetzungen mit. Hitzlsperger gilt als sehr seriös, und er ist so beliebt, als stamme er nicht aus dem oberbayerischen Forstinning, sondern wie sein Vor-vor-vor-Vorgänger Fredi Bobic aus Stuttgart-Bad Cannstatt. Mislintat genießt einen exzellenten Ruf. Und Walter lehrt einen radikalen Offensivfußball, der sich markant von jenem Umschaltfußball unterscheidet, der gerade so in Mode ist. Walter gibt einen riskanten Ballbesitzfußball in Auftrag, mit weit aufgerückten Verteidigern und einem Trommelfeuer an Pässen, Pässen, Pässen. Tatsächlich wirken Spieler wie Daniel Didavi, 29, massiv erfrischt von diesem Stil, der Technikern wie auch dem aus Paderborn gekommenen Zugang Philipp Klement, 26, extremen Spaß macht.

Beim VfB kennen sie das Risiko

Mislintat hat um verbliebene Leistungsträger wie Didavi, Mario Gomez, 34, oder Marc-Oliver Kempf, 24, ein interessant gemischtes Team gebaut, mit Zweitligaspielern wie dem Stürmer Hamadi Al Ghaddioui, 28, aus Regensburg oder Talenten wie Tanguy Coulibaly, 18, von Paris St.-Germain. Am Donnerstag haben sie noch den Verteidiger Timo Baumgartl, 23, nach Eindhoven verkauft und dafür zwölf Millionen Euro kassiert.

Sie starten voller Hoffnung beim VfB, aber sie kennen auch das Risiko. Sie brauchen einerseits einen guten Start, um das kritische Publikum gleich mitzunehmen; andererseits ahnen sie, dass es Zeit brauchen könnte, bis die Spieler den anspruchsvollen Stil des neuen Trainers intus haben. Und Hitzlsperger kennt ja seinen Traditionsklub: Ein schlechter Start würde den Talkessel gleich wieder zum Brodeln bringen, Spielerberater würden gleich wieder bei Reportern anrufen, und die Reporter würden gleich wieder bei meinungsstarken Ex-Profis des VfB anrufen, und am Ende würde sich die ganze Stadt wieder Jürgen Klinsmann herbeiwünschen.

Hitzlsperger geht aber davon aus, dass er und sein Team im Fall der Fälle etwas mehr Zeit bekämen als Dutt oder Reschke. Der Volleyschuss, mit dem er den VfB 2007 zum Meister machte, ist in diesem Emotionsgewerbe sein stärkstes Argument.

© SZ vom 26.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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