VfB Stuttgart - FC Bayern:Danke für die Wut

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Beim VfB Stuttgart heizt sich die Stimmung bedenklich auf, auch Spieler und der neue Trainer Labbadia werden beschimpft. Der FC Bayern hingegegen glaubt nach dem 5:3 wieder an eine große Serie.

Thomas Hummel

Bruno Labbadia sprach später von einer Prüfung, die er, seine Spieler und auch der Verein meistern müssten. Das sei eben der Unterschied zu den Klubs, die ohnehin glauben, gegen den Abstieg zu spielen.

Absurde Szene: Spieler und Trainer des VfB bedanken sich klatschend bei den Fans, diese beschimpfen sie. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Labbadia meinte nach dem Spiel nicht die hanebüchenen Aktionen seiner Verteidiger oder die Tollpatschigkeit seines Torwarts. Er meinte die Reaktion der Fans. Und die bekam Bruno Labbadia fast hautnah zu spüren, so hautnah und lange wie kaum ein Trainer bei seinem ersten Bundesliga-Heimspiel für einen Verein zuvor.

Nach dem 3:5 gegen den FC Bayern klatschte der neue Übungsleiter des VfB Stuttgart zuerst das gesamte Personal der Ersatzbank ab, dann alle Spieler auf dem Rasen. Um anschließend seine Spieler aufzufordern, mit ihm in die Fankurve zu gehen und sich artig bei den vermeintlichen Unterstützern zu bedanken. Als die Fans das bemerkten, riefen sie zuerst hektisch alle zurück, die sich schon aus dem Block verabschiedeten, dann drehten sie Labbadia und den Spielern demonstrativ den Rücken zu und gaben lautstark kund, die Schnauze voll zu haben.

Labbadia und Spieler trotteten dennoch bis zur Werbebande. Sie standen nun nur ein paar Meter vor der Tribüne, wo sich nach und nach die aufgebrachten Menschen umdrehten. Die Fäuste schwangen durch die Luft, Schimpfwörter flogen, die Kurve vibrierte vor Aggression und Wut. Man hätte diesen Leuten jetzt alles zugetraut. Während ein paar Meter vor ihnen Labbadia und Spieler standen. Und sich klatschend bedankten.

Fliegende Fäuste

Labbadia sagte später zu dieser absurden Szenerie, die Spieler wollten dort stehen bleiben. Und so standen er und die Mannschaft wirklich lange vor den fliegenden Fäusten, vor wutverzerrten Gesichtern. Und klatschten und klatschten. Vielleicht aus Mitleid klatschte dann wenigstens die Haupttribüne artig zurück.

Es hat sich was aufgeladen in Stuttgart. Die Stimmung schon während dieser turbulenten Partie und auch danach verheißt nichts Gutes für das neue VfB-Jahr. "Vorstand raus!" hallte es noch fast zwei Stunden nach dem Schlusspfiff vor dem Stadion, die Vereinsbusse mussten warten, weil der Weg nach draußen von einer Fanschar versperrt war. Als sie sich dann doch hinaus in die kalte Nacht trauten, waren Hunderte aufgebrachte Fans immer noch da und protestierten lautstark. Klubchef Erwin Staudt versuchte, die Menge per Megaphon-Ansprache zu besänftigen, Polizisten sicherten den Eingang am Business Center der Arena - die Szenen erinnerten stark an die Geschehnisse vor einem Jahr, als dem damaligen Trainer Markus Babbel ein ähnlicher Mob richtig Angst machte.

Drinnen konnte Bayern-Trainer Louis van Gaal unterdessen weiterhin die Tabelle der Fußball-Bundesliga studieren. So wie er das schon im Stadionbauch im Raum der Pressekonferenz getan hatte. Der Niederländer musste recht lange warten, bis Kollege Labbadia mit dem Klatschen und Reden und Aufmuntern fertig war, deshalb vertiefte sich van Gaal mit einer randlosen Brille in die Statistik. Was er da sah, freute ihn. "Wir haben nicht die 30 Punkte geholt, die ich wollte, aber die Konkurrenz hat weniger als ich dachte", referierte er. Nur: Wer ist für van Gaal die Konkurrenz? "Ich meinte Mainz und Leverkusen", präzisierte er, also die Plätze zwei und drei, die nur noch vier Punkte entfernt sind. Außerdem führte er in seinem unnachahmlichen Deutsch aus: "Und an Freiburg haben wir vorbei." Dortmund? "Das können wir später überlegen, wenn wir eine Serie gemacht haben."

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alle Tore

Die Münchner haben nun seit langem mal wieder zwei Partien in Folge gewonnen, für die Rückrunde denken sie aber in ganz anderen Dimensionen. Denn noch wollen sie es nicht wahrhaben, dass die auf 14 Punkte enteilten Dortmunder nicht mehr einzuholen sind. "Die einzige Mannschaft, die nach oben wirklich Druck machen kann, sind wir. Wir sind der Rekordmeister, wir werden Gas geben und dann mal schauen", tönte Thomas Müller.

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Er setzte damit verbal seinen fulminanten Auftritt zuvor auf dem Platz fort. Thomas Müller bildete mit Franck Ribéry und Mario Gomez ein offensives Bayern-Trio, das an die schönsten Zeiten der Vorsaison erinnerte. Gab ihnen die Stuttgarter Abwehr Platz, sausten sie in die Räume, dribbelten im Zickzack an den Gegenspielern vorbei, waren in Gedanken- und Handlungsschnelle immer zwei Schritte voraus.

1:0: Müller auf Gomez. 2:0: Gomez auf Müller. 3:0: Solo plus Traumschuss Ribéry. 4:1: Gomez nach Ribéry-Flanke (plus schlimmer Fehler von VfB-Torwart Ulreich). 5:1: Müller auf Gomez (trotz sechs Stuttgartern um sie herum). Wenn bald Arjen Robben in alter Stärke zurückkommt, dürften die Abwehrspieler der Bundesliga wieder schaudern.

Die Gala im Angriff war allerdings nötig, denn hinten passte wieder einmal vieles nicht bei den Münchnern. Vor dem 1:0 nach 30 Minuten hatten die Stuttgarter bereits zwei gute Chancen und waren die bessere Mannschaft, nach dem 5:1 (54.) zählte Labbadia nicht ganz zu Unrecht genug Möglichkeiten für seine Mannschaft, um auch auf fünf Tore zu kommen. Doch nur der eingewechselte Marin Harnik (zwei) und Christian Gentner trafen.

"Wir haben heute nicht unser bestes Spiel gespielt", gab Louis van Gaal zu. Er wird es mit Sorge gesehen haben, dass sich der zunächst sehr eifrige Diego Contento nach der Pause vom eingewechselten Harnik fast überrollen ließ. Dass Anatoli Timoschtschuk und Breno in der Innenverteidigung wieder Löcher offenbarten. Und dass Mark van Bommel vor der Abwehr mit den Gedanken nicht ganz da war.

Ohne den grippekranken Bastian Schweinsteiger sollte van Bommel das Zentrum der Bayern anleiten. Doch der Niederländer erwies sich zunehmend als Sicherheitsrisiko. Die vielen Ballverluste und Fehlpässe erzeugten den Eindruck, als wäre hier einer mit anderen Dingen belastet. Längst ist bekannt, dass der Verein den am Saisonende auslaufenden Vertrag mit dem 33-Jährigen nicht verlängern will, dass lieber Luiz Gustavo aus Hoffenheim kommen soll. Dass das Geschäft vielleicht nicht erst im Sommer, sondern schon an Weihnachten über die Bühne gehen soll.

Was wird aus van Bommel?

Van Bommel sagte dazu: "Ich habe noch sechs Monate Vertrag. Es ist kurios, wenn im Winter der Kapitän geht. Aber im Fußball ist nichts auszuschließen." Nach Dementi und große Lust auf weitere Monate im Bayern-Trikot hörte sich das nicht an.

Statt mit dem FC Bayern Jagd auf die Champions-League-Trophäe zu machen, könnte er im Frühling mit Wolfsburg um den Klassenerhalt kämpfen. Der dortige VfL hat aber immerhin sieben Punkte mehr als der Vorletzte VfB Stuttgart.

Dass dort Timo Gebhart mit einem Bänderriss im Sprunggelenk wohl länger ausfällt, passt ins trübe Bild. Schwerer als gerissene Bänder könnten in Stuttgart allerdings die verletzten Seelen wiegen. Die Fans, die ein Ventil für ihre aufgestaute Wut brauchten. Die Spieler, die von den Fans wüst beschimpft wurden. Der Vorstand, der unmissverständlich zum Vereinsaustritt aufgefordert wurde. Nur Bruno Labbadia versuchte, Haltung bewahren. Und bot allen eine Schulter zum Anlehnen an, indem er sagte: "Ich bin auf alles eingestellt."

Mal sehen, was er am Mittwoch sagt. Nach dem Spiel im Achtelfinale des DFB-Pokal, zu Hause gegen den FC Bayern.

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