Vettel vor der Titelverteidigung:Bloß nicht nachdenken!

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Die Formel-1-Saison verlief für Sebastian Vettel so gut, dass es fast schon spielerisch wirkte. Am Sonntag wird er seinen WM-Titel verteidigen, das steht für die Konkurrenten fest. Die meisten gönnen ihm den Erfolg - im Gegensatz zur vergangenen Saison.

Elmar Brümmer

Die Wahrheit liegt auf dem Couchtisch. Im schicken Pavillon von Red Bull Racing entsteht im Kampf gegen die Langweile der Nacht ein Rennfahrer-Puzzle. Zum Schluss wird dabei, das ist schon anfangs gut zu erkennen, ein Portraitbild von Sebastian Vettel herauskommen. Mit einem hoch konzentrierten, aber auch strahlenden Gesichtsausdruck. Ein paar Teilchen noch, dann ist es so weit. Mit dem Spielchen ist auch die sportliche Situation des Heppenheimers bildhaft erklärt.

Vom permanenten Drängler zum großen Verdränger: Sebastian Vettel. (Foto: AFP)

So einfach ist das: Erhöht sich der Vorsprung des einsamen WM-Spitzenreiters im Nacht-Grand-Prix am Sonntag (Start ist um 14 Uhr deutscher Zeit) noch einmal um 13 auf 125 Punkte, dann ist die Saison für ihn gelaufen, dann wäre Fernando Alonso als jüngster Titelverteidiger der Formel-1-Geschichte abgelöst. Eine andere, beliebte Möglichkeit sich im taghell erleuchteten Fahrerlager beim Großen Preis von Singapur wach zu halten, ist das Kopfrechnen. Die Renn-Mathematik kennt der amtierende Champion schon aus dem vergangenen Jahr, als seine eigenen Chancen rein rechnerisch ziemlich gering erschienen.

Genauso wenig hält Vettel jetzt von entsprechenden Triumph-Rechnungen. Er schafft es dabei sogar, in allen offiziellen Interviews jede Erwähnung einer Zahlenkombination zu vermeiden. Mit seinem verschmitzten jugendlichen Charme, der sich nicht abzunutzen scheint, beschert Vettel allen Hochrechnern: "Könnte, würde, sollte - noch haben wir nichts gewonnen. Die Kunst liegt jetzt darin, nicht darüber nachzudenken, was passieren kann."

Leben und Rasen im Konjunktiv - wie lange noch? Der permanente Drängler ist zum großen Verdränger gereift. Diese Fokussierung gehört zu seinen größten Stärken, und sie markiert auch die frappierende Persönlichkeitsspaltung zwischen dem Privatmann und dem Rennfahrer Vettel. Der eine Vettel ist einer der entspanntesten und witzigsten Gesprächspartner, die man sich vorstellen kann, der andere ist ein konzentrierter, beinahe stoischer Perfektionist. Und weil er in diesen Tagen vor der Krönung kaum öffentlich über seine Gefühle, sein Umfeld, schon gar nicht seine Geheimnisse oder Befürchtungen sprechen will, können das die Rivalen um so häufiger tun. Denn es gibt unter dem großen Riesenrad am Marina Bay Circuit wirklich kein anderes Thema.

Kollege Mark Webber ist trotz aller offiziellen Friedensbekundungen wenig überraschend derjenige, der am meisten genervt ist vom Vettel-Rummel. Der 35 Jahre alte Australier, der noch ein weiteres Jahr den Adjudanten spielen darf, fühlt sich in der Form seines Lebens - aber er hat in dieser Saison eine Demütigung nach der anderen erfahren müssen. Er hat einfach den falschen Teamkollegen als Maßstab.

Nach 13 von 19 Rennen ist Webber immer noch sieglos, und auf die ewige Fragerei nach seinen Gefühlen weiß er sich nicht mehr anders zu helfen als mit Zynismus: "Ich werde mich wohl aufhängen . . ." Der hohe Frustfaktor sorgt noch dafür, dass der sonst so höfliche Webber dem Journalisten auch noch eine unflätige Beleidigung hinterher ruft, die in Singapur garantiert unter Strafe steht.

Dann kommt er wieder, der Gegenschnitt zu Vettel, und der lässt den 24-Jährigen noch größer, noch gelassener erscheinen: "Ich spüre keinen Extra-Druck dadurch, dass ich die WM schon hier gewinnen kann", sagt Vettel. Das Zen eines Fast-Weltmeisters.

Die Saison ist keineswegs langweilig, aber sie verliert natürlich gegenüber den Dramen des Vorjahres, als zum gleichen Zeitpunkt noch fünf Fahrer innerhalb von 24 Punkten lagen. Selbst die Nachfrage bei demjenigen, der am meisten enttäuscht sein müsste, Fernando Alonso, ergibt wenig Reibungspunkte. Der Spanier, der im Vorjahres-Finale so tragisch gegen Vettel unterlegen war, bündelt immerhin einen Rest-Optimismus. Alonso, 30, war der letzte Formel-1-Pilot, der zweimal nacheinander die WM einfahren konnte (2005 und 2006 mit Renault), er betrachtet den Rest der Saison für sich und Ferrari als eine Art Radrennen: "Wir können einzelne Etappen gewinnen, aber nicht mehr die ganze Tour."

Michael Schumacher, Vettels Vertrauter in der Formel 1, ist derzeit ein gefragter Analytiker. Im Spaß sagt er: "Ich habe Sebastian alle guten Sachen beigebracht." Ernsthafter fügt der Rekord-Weltmeister an: "Ja, man lernt aus dem, was andere machen, und er war sicher clever genug, sich die Dinge abzuschauen, die für ihn gut sind. Darin sind wir sicher ähnlich. In manchen Dingen war ich ihm sicher ein Vorbild. Auf jeden Fall bin ich sehr stolz auf seine Leistungen. Dort hinzukommen, und dann dort zu bleiben, erfordert einen sehr hohen Aufwand. Um solche Ergebnisse zu erzielen, das gilt auch für das Team, muss man schon eine Menge richtig machen. Fest steht, dass Sebastian einfach seine Möglichkeiten fixiert."

Der zweite Titelgewinn, befindet Schumacher aus seiner Erfahrung, sei ohnehin der wesentlich schwerere: "Weil jeder vorgewarnt ist." Wozu das Lob von McLaren-Pilot Jenson Button passt, dem Vorgänger von Vettel als Champion: "2010 hätte ich nicht gedacht, dass er den Titel holt. Er hat damals zu viele Fehler gemacht. Jetzt aber hat er einen richtig guten Job abgeliefert."

Bei aller an den Tag gelegten gelassenen Geschäftsmäßigkeit wird es Sebastian Vettel schon aus einem Grund kaum gelingen, am Sonntag unauffällig davonzukommen. Wie schon bei seinem ersten Titelgewinn, der ihm in Abu Dhabi glückte, hat er sich für die Nachtfahrt in Singapur einen besonderen Helm anfertigen lassen, mit reichlich Glitter. Dominierende Farbe: Gold.

© SZ vom 24.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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