Sieg in jedem Saisonrennen:Red Bulls Superhirn dominiert die Formel 1

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Selten im Rampenlicht: Adrian Newey zeigt sich in Montreal ausnahmsweise auf dem Siegerpodest. Doch sein Anteil am Erfolg von Red Bull ist gewaltig. (Foto: Evan Buhler/Reuters)

Dank des außerordentlichen Rennwagen-Konstrukteurs Adrian Newey ist Red Bull der Konkurrenz so weit voraus, dass die Rennserie sich fragt: Kann der Rennstall alle Saisonrennen gewinnen?

Von Elmar Brümmer, Montreal

Es gibt sie tatsächlich noch, jene Momente, in denen sich Adrian Newey verrechnet. Mit der Aerodynamik, die eine überschäumende Magnumflasche Schaumwein entwickeln kann, tut er sich jedenfalls schwer. Und so steht einer der Helden der Formel 1 nun wie der sprichwörtlich begossene Pudel da.

Zur Ehrenrettung des britischen Rennwagen-Konstrukteurs mit der Berufsbezeichnung Superhirn sei erwähnt, dass Newey ein höchst seltener Gast auf dem Podium nach einem Formel-1-Rennen ist. Die Ehre überlässt er traditionell gern anderen, Mechanikern oder Ingenieuren. Doch nach dem Großen Preis von Kanada, den Max Verstappen souverän vor Fernando Alonso und Lewis Hamilton gewonnen hatte, hätte es niemand anderen geben können, der für Red Bull Racing den Teampokal entgegennimmt. Es war der 100. Grand-Prix-Sieg für den britischen Rennstall mit österreichischer Bezahlung, und das ganze Hundert erfolgreicher Rennwagen ist von Newey erdacht worden. Die in Milton Keynes - zwischen London und Birmingham - ansässige Truppe hat für die Siegesserie, die derzeit mehr einem Raubzug gleichkommt, keine zwei Jahrzehnte gebraucht.

Red Bull ist erst das fünfte Team seit 1950, das in den Hunderter-Klub vorstoßen konnte. Die Dinosaurier Ferrari (242) und McLaren (183) liegen weit vorn. Aber Mercedes ist mit 125 Einzelsiegen ebenso in Reichweite wie die Traditionalisten von Williams (114). So frohlockt Helmut Marko, Ex-Rennfahrer aus Graz und seit Beginn der Erfolgssaga das Bindeglied zum Getränkekonzern, im Fahrerlager von Montréal: "Nur noch 14!"

Plötzlich wirken die sieben WM-Titel von Lewis Hamilton gar nicht so unerreichbar

Das entspricht, der Zufall will es so, exakt der Anzahl der noch ausstehenden Rennen in dieser Saison - und es erscheint zwar unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich, dass die Titelverteidiger alle gewinnen könnten. "Der Lauf ist da", sagt Marko, gibt aber zu, dass sich niemand eine Erfolgsserie wie diese erträumt habe. Der 80-Jährige bedauert bloß, dass sein Freund Dietrich Mateschitz den Triumph nicht mehr miterleben kann: Der Konzerngründer, der Milliarden in den Motorsport gepumpt hat, starb im vergangenen Oktober - genau an dem Wochenende, als Red Bull die Teamwertung von 2022 gewinnen konnte.

Der Stammesälteste erzählt: Fernando Alonso (links) fährt eine starke Saison, aber gegen Max Verstappen (mitte) und dessen Boliden ist er ebenso machtlos wie Rekordweltmeister Lewis Hamilton. (Foto: Nordphoto / Bratic/Imago)

Insgesamt sechs Einzel- und fünf Fahrertitel stehen seit dem Frühjahr 2009 zu Buche, als Sebastian Vettel im regnerischen Schanghai den ersten Sieg für Red Bull Racing einfahren konnte. Max Verstappen fuhr nun in Montréal zu seinem 41. Grand-Prix-Sieg. Damit schiebt er sich bei den Fahrern ebenfalls auf Rang fünf der ewigen Bestenliste, gleichauf mit Ayrton Senna. Der 25-jährige Niederländer wird immer gelöster, er ahnt schon, dass er in diesem Jahr dem Titel-Hattrick entgegenfährt. Zwar rücken Aston Martin und Mercedes näher, aber der Abstand ist immer noch respektabel. Den achten WM-Lauf der Saison gewann Verstappen locker mit 9,5 Sekunden Vorsprung auf Alonso, gut 14 auf Hamilton.

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Die drei Champions sitzen später zusammen auf einem weißen Ledersofa. Verstappen, der als Kind die beiden Routiniers im Fernsehen bestaunt hatte, wird sogar von seinem Erzrivalen Hamilton gelobt. Das ist Verstappen nicht ganz geheuer, er frotzelt: "Ich bin sicher, dass die beiden gerne die Positionen tauschen würden. Aber ich bin hier in der Mitte ganz glücklich."

Seit dreieinhalb Rennen hat er jetzt jede Rennrunde angeführt, das untermauert die momentane Dominanz. Der Rekord von McLaren aus dem Jahr 1988, als die Briten 15 von 16 Saisonrennen gewonnen haben, könnte überboten werden, es droht sogar eine perfect season. Erst im Vorjahr hat Verstappen mit 15 Einzelsiegen eine Bestmarke aufgestellt, gelassen ruft er die Parole für die Zukunft des Rennstalls aus, bei dem er bis Ende 2028 unter Vertrag steht: "Ich habe immer gehofft, dass wir mehr als 100 Rennen gewinnen. Unser nächstes Ziel sind daher 200 Siege."

Hamilton schwant Böses: "Bei Red Bull können sich jetzt schon auf die kommende Saison vorbereiten."

Lewis Hamilton, dessen sieben Titel plötzlich erreichbar wirken, stöhnt angesichts der Dominanz nicht mal mehr auf, Spuren der Resignation sind auszumachen, wenn er sagt: "Ich bin nicht mehr frustriert, denn ich kann ja nichts tun." Trotz aller Fortschritte bei Mercedes wird klar: Zu groß war der Evolutionsschritt, den Newey mit seiner Schöpfung für den Reglementwechsel zu Beginn des vergangenen Jahres gemacht hat. Der nächste Einschnitt steht erst für 2026 an. Hamilton schwant Böses: "Die können sich jetzt schon auf die kommende Saison vorbereiten."

Barbarei oder ironische Umdeutung einer Tradition? Statt mit Magnumflaschen feiern die Verantwortlichen von Red Bull - darunter Adrian Newey und Christian Horner - in Montréal mit klebrigem Dosenfutter. (Foto: Sam Bloxham/Motorsport Images/Imago)

Nicht minder intensiv laufen die Aufholjagden an, aber die Gegner müssen zwei Schritte auf einmal machen. Selten sind zwei Teams zur selben Zeit spitze, viel häufiger dominiert ein Team - allein in diesem Jahrtausend bereits dreimal. Die Nuller-Jahre gehörten mehrheitlich Ferrari, die Zehner-Jahre hauptsächlich Mercedes, nachdem Red Bull selbst viermal in beiden Wertungen führend gewesen war. Damit ist das vom Briten Christian Horner geführte Team das einzige, dass ein Comeback geschafft hat, obwohl es nicht einmal zu einem Motorenhersteller gehört. Ferrari fährt hingegen bereits seit dem Ende der großen Schumacher-Ära (2007) hinterher.

"Wir sind unheimlich stolz darauf, das geschafft zu haben", sagt Horner, für den die Formel 1 auch ein Ego-Wettstreit ist. "Wir waren oben, waren unten, und dann haben wir uns zurückgekämpft, um wieder da zu sein." Der turnaround als Königsdisziplin. Trotzdem ist es kaum vorstellbar, dass der Erfolg Red Bull langweilen könnte.

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