US-Fußball:Viermal lebenslang

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Forderungen nach erschreckenden Berichten: Zuschauer beim Spiel der Portland Thorns fordern besseren Schutz für die Spielerinnen. (Foto: Steve Dipaola/AP)

Die US-Frauen-Liga NWSL zieht Konsequenzen aus mehreren Missbrauchsfällen, sperrt vier ehe­ma­lige Trainer lebens­lang und verkündet weitere Maßnahmen gegen das "weitverbreitete Fehlverhalten" innerhalb eines Systems.

Von Celine Chorus

Es waren abscheuliche Erfahrungen, von denen Fußballerinnen aus der National Women's Soccer League (NWSL) in den USA berichteten. Etwa, wie ein Trainer eine von ihnen zur Videoanalyse eingeladen, währenddessen jedoch einen Pornofilm gezeigt habe. Oder wie ein anderer Trainer eine Spielerin gedrängt habe, vor seinen Augen eine Mitspielerin zu küssen - im Gegenzug versprach er dem Team die Streichung einer Konditionseinheit.

Alles Einzelfälle, von denen niemand wissen konnte? Eher der Beweis für systemische Versäumnisse, die psychischen und emotionalen Missbrauch ermöglichten - und die von den höchsten Ebenen des US-Frauenfußballs, darunter wohl auch die damalige NWSL-Kommissarin Lisa Baird, offenbar marginalisiert wurden. Zu diesem Ergebnis sind 2022 zwei Untersuchungen gekommen.

Missbrauch im US-Fußball
:Die Unbehelligten

Ein umfangreicher Report kommt zu dem Ergebnis, dass in der US-Frauenliga "verbaler und emotionaler Missbrauch sowie sexuelles Fehlverhalten zum System geworden sind". Und noch schlimmer: dass jahrelang nichts dagegen unternommen wurde.

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Jetzt führen sie zu weitreichenden Konsequenzen. Die Liga NWSL hat am Montag vier ehemalige Trainer dauerhaft gesperrt. Weitere Maßnahmen wegen des "weitverbreiteten Fehlverhaltens", das bis in die Anfänge der Liga vor fast zehn Jahren zurückreicht, wurden ergriffen. So wurden mehrere Mannschaftsverantwortliche, die ermöglicht - oder zumindest nicht verhindert - haben, dass Spielerinnen Schaden zugefügt wurde, suspendiert und ihre Rückkehr von verschiedenen Bedingungen abhängig gemacht. Sechs Klubs wurden zudem mit Geldstrafen belegt, die von jeweils 50 000 US-Dollar für OL Reign aus dem Großraum Seattle und Gotham FC aus New Jersey bis zu 1,5 Millionen US-Dollar für die Chicago Red Stars reichen.

Dieser Missbrauch sei verwurzelt in einer Kultur, die "Grenzen zwischen Trainer und Spielerinnen verschwimmen lässt"

Ein 128-seitiger Untersuchungsbericht hatte im Dezember das Ausmaß des sexuellen Missbrauchs im US-Frauenfußball dokumentiert. Laut den Ermittlungen der NWSL und ihrer Spielerinnenvereinigung wurde in den Vereinen und ihrem Umfeld "ein fruchtbarer Boden dafür geschaffen, dass Fehlverhalten nicht gemeldet wird". Die finanzielle Instabilität sowie die unausgewogene Machtdynamik in der NWSL hätten den zügellosen Missbrauch demnach begünstigt.

Bei mehr als der Hälfte der Vereine sei den Ermittlern demnach von "andauerndem Fehlverhalten" gegenüber Teamangehörigen berichtet worden. Die Rede ist von missbräuchlichem Verhalten mehrerer Trainer, von Vergeltungsmaßnahmen gegen Spielerinnen, die sich über den Umgang mit ihnen beschwerten; von Offiziellen, die solche Berichte ignorierten, herunterspielten oder die Verantwortung dafür weitergaben.

Paul Riley und drei weitere NWSL-Trainer wurden am Montag lebenslang gesperrt. Vorwürfe gegen ihn hatten zu den umfangreichen Ermittlungen geführt. (Foto: Lewis Gettier/Zuma/Imago)

Das deckte sich mit Ermittlungen der vom Verband eingesetzten ehemaligen Justizministerin Sally Q. Yates: Sie war schon im Oktober zu dem Ergebnis gekommen, dass in der NWSL "verbaler und emotionaler Missbrauch sowie sexuelles Fehlverhalten zum System geworden sind" - und dass sich dieser Missbrauch über mehrere Vereine, Trainer und Betroffene erstreckt. Dies sei verwurzelt "in einer Kultur im US-Frauenfußball, die in Jugendligen beginnt, die verbale Entgleisungen von Trainern normalisiert und die Grenzen zwischen Trainer und Spielerinnen verschwimmen lässt".

Im Mittelpunkt der Untersuchungen hatten die beiden Trainer Paul Riley und Rory Dames gestanden, nachdem zahlreiche Spielerinnen in der Washington Post und The Athletic unangemessenes Verhalten über mehrere Jahre beschrieben hatten. Die Trainer wurden von der NWSL nun ebenso lebenslänglich gesperrt wie Richie Burke (ehemals Washington Spirit) und Christy Holly (ehemals Racing Louisville).

Riley war im September 2021 wegen entsprechender Vorwürfe bei North Carolina Courage entlassen worden und hatte damit die umfassenden Untersuchungen ausgelöst. Die Anschuldigungen bezeichnete er in The Athletic als "völlig unwahr". Riley war einer von fünf NWSL-Trainern, die damals ihren Job verlassen mussten oder zurücktraten.

Im Rahmen der am Montag verkündeten Sanktionen wurden auch Trainer Craig Harrington (ehemals Utah Royals) und die einstige Managerin von Gotham FC, Alyse LaHue, für zwei Jahre von der Arbeit in der NWSL gesperrt, bevor sie sich wieder für einen Posten qualifizieren können. Andere Mannschaftsverantwortliche dürfen dagegen nur in die Liga zurückkehren, wenn sie sich ihr Fehlverhalten eingestehen und dafür persönliche Verantwortung übernehmen.

Die Spielerinnengewerkschaft begrüßt die Maßnahmen: "Heute beginnt eine neue NWSL"

Die Bußgelder gegen sechs NWSL-Klubs sollen "ausschließlich zur Förderung der Systemreform und zur direkten und positiven Auswirkung auf das Leben der Spielerinnen" verwendet werden. So sollen damit die Ressourcen für psychische Gesundheit, eine verbesserte Trainerausbildung und -entwicklung sowie andere Programme, die zu einer positiven Kultur innerhalb der NWSL führen, erweitert werden.

Die Liga werde weiterhin die Umsetzung und Verbesserung der Richtlinien, Programme und Systeme priorisieren, die die Gesundheit und Sicherheit der Spielerinnen an erste Stelle setzen, teilte NWSL-Geschäftsführerin Jessica Berman mit: "Unsere Liga und die Klubs sind entschlossen, diese Veränderungen vorzunehmen, und werden dies unter ständiger Mitwirkung der Spielerinnenvereinigung tun, um die NWSL zu einer Liga zu machen, die den Maßstab für die Zukunft des Sports setzt."

Auch die Spielerinnenvereinigung der NWSL begrüßte die Maßnahmen: Dies sei ein entscheidender Schritt, um Vereine und Mannschaftsverantwortliche für ihre Handlungen und ihre Untätigkeit zur Rechenschaft zu ziehen. Die Frauen seien gefährdet und verraten worden.

"Heute beginnt eine neue NWSL", erklärte die Gewerkschaft auf Twitter. Um den Schaden ungeschehen zu machen, den zu viele Spielerinnen in der NWSL über Jahre erlitten haben, wird wohl keine Sanktion jemals ausreichen.

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