US Open:Einfach nur Coco sein

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Volle Konzentration aufs Tennis: Das gilt für Cori "Coco" Gauff schon seit frühester Jugend. (Foto: Javier Garcia/Shutterstock/Imago)

Cori Gauff gilt schon lange als die Zukunft im Frauentennis. Erstaunlich ist, wie die 18-Jährige mit dem Rummel um ihre Person umgeht: Sie zeigt sich unverwundbar und gleichzeitig unsicher.

Von Jürgen Schmieder, New York

Manchmal braucht es nur ein paar Minuten, um zu ahnen: Die Person, die man gerade beobachtet, entspricht im Profitennis nicht der Norm. Bei Cori Gauff, genannt Coco, waren es die letzten Minuten ihrer Zweitrundenpartie der US Open gegen Elena Ruse aus Rumänien. Sie lag zurück, 3:5 und 0:30 im zweiten Satz, doch was bei den darauf folgenden Ballwechseln passierte, war ein Beispiel für den Unterschied zwischen gut und großartig.

Es lag nicht an dieser Rückhand, die Gauff aus vollem Lauf knallhart und präzise auf die andere Seite des Platzes jagte; fünf-, sechs-, siebenmal nacheinander, und die sie wahrscheinlich auch nachts um drei Uhr noch so beherrscht. Es war nicht die Athletik, die es ihr ermöglicht, solche Bälle überhaupt zu auszuführen; der frühere Trainer von Serena William, Rick Macci nannte sie mal einen "Leichtathletikstar mit Tennisschläger". Und es war auch nicht der Aufschlag, regelmäßig schneller als 190 km/h.

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Die Besonderheit lag in dem, was Gauff zwischen den Ballwechseln tat. Sie ballte zwar mal ihre Hände zur Faust nach einem Gewinnschlag, klopfte sich aufmunternd auf den Oberschenkel. Grundsätzlich aber wirkte sie so, als wäre dieses Aufholen nun wirklich keine große Sache. Man muss also gar nicht jeden Punkt wie den Gewinn eines Grand-Slam-Turniers feiern, man kann der Gegnerin auch durch völlige Gelassenheit zeigen, dass da heute nichts zu holen sein wird.

Das wirkte. Den ersten Breakball schenkte ihr die immer nervösere Gegnerin per Doppelfehler, das Break gelang dann beim zweiten Versuch, wieder ein Doppelfehler. Gauff war derweil ruhig, gelassen, völlig bei sich. Zur Erinnerung: Coco Gauff ist 18 Jahre alt.

Gauff soll schon jetzt die Nachfolgerin von Serena Williams sein

Es ist keine bahnbrechende Erkenntnis, Gauff Außergewöhnlichkeit zu testieren: Schon bei ihrem Wimbledon-Debüt 2019 schlug sie sich im Alter von 15 Jahren bis ins Achtelfinale durch. Der Fokus der öffentlichen Wahrnehmung richtet sich aber nun immer schärfer auf sie, weil dieser Tage ihre US-Landsfrau, die 23-malige Grand-Slam-Siegerin Serena Williams, ihre Karriere beenden wird. Den Abschied hat Williams, 40, in der Nacht zu Donnerstag noch ein wenig verschoben: Sie bezwang die Weltranglistenzweite Anett Kontaveit aus Estland 7:6 (4), 2:6, 6:2, unter tosendem Applaus und wieder begleitet von einem Who's Who der amerikanischen Prominenz.

Coco Gauff wird bereits als Serena Williams' Nachfolgerin ausgerufen. Oder wie sagte sie selbst in diesem Sommer, als sie die Japanerin Naomi Osaka, 24, und sich als mögliche Zukunft des Frauentennis bezeichnete und dann kichernd anfügte: "Nun ja, also, die Zukunft ist wahrscheinlich schon da."

Athletische Rückhand: Als "Leichtathletikstar mit Tennisschläger" wird Gauff mitunter bezeichnet. (Foto: Javier Garcia/Shutterstock/Imago)

Bemerkenswert ist bei diesen US Open nicht die Tatsache, dass Gauff die Gegenwart im Frauentennis ist - sondern wie sie mit dem enormen Interesse umzugehen versteht. Diese Herausforderung ist heutzutage gewaltig, da überall Kameras aufgebaut sind, jede Bewegung auf dem Platz seziert und jede Aussage sowie jeder Eintrag in den Sozialen Medien bewertet wird. Gauff debattiert während eines Matches mit Vater Corey? Sofort besteht die Gefahr, dass es heißen könnte: Da will sich doch jemand aus der Kontrolle des dominanten Vaters lösen! Sie verwendet in einem Gespräch die Worte "deprimiert" und "weinen"? Schon wird vermutet: Die braucht Hilfe! Sie sagt, dass sie sich sozial oft unsicher fühle? Schon heißt es: Soll sie doch ein normales Leben führen!

Eine gewöhnliche Kindheit hat das Tenniswunderkind Coco Gauff zumindest nie erlebt: Im Alter von acht Jahren siedelte sie mit der Familie von Atlanta nach Delray Beach im US-Bundesstaat Florida um und wurde von diesem Zeitpunkt an daheim unterrichtet. Mit zehn Jahren zog sie in die Tennisakademie von Patrick Mouratoglou in Frankreich. Mit 14 siegte sie bei den French Open der Junioren und wurde Profi. Mit 15 gewann sie ihren ersten Titel auf der WTA-Tour, in Linz - und bekam von Tennislegende John McEnroe mitgeteilt, dass sie irgendwann die Nummer eins der Welt sein wird.

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Es kann nicht leicht sein, sich dabei weder vereinnahmen noch aus der Balance bringen zu lassen. Gauff hatte 2019 erkennbar Probleme, mit dem Druck umzugehen, der auf ihren jungen Schultern lastete. Einmal, bei den US Open im Spätsommer jenes Jahres, nahm Naomi Osaka die junge Amerikanerin nach einem Match in die Arme, man sah Gauff an, wie gut ihr das tat.

Solche Momente haben ihr offenbar dabei geholfen, sich nicht verrückt zu machen, etwa wenn ein amerikanisches Online-Tennismagazin als eine der zehn brennendsten Fragen für das Jahr 2022 formuliert: "Ist es Zeit für Coco Gauff zu liefern?" Da stand nicht: Wird sie ein Grand-Slam-Turnier gewinnen? Da stand: "Wird sie liefern?"

Nicht mal Serena Williams kann Coco Gauff auf das vorbereiten, was kommt

Das wirklich Verrückte daran ist: Für die meisten besseren Tennisprofis gehören solche Stationen zum normalen Lebenslauf. Außergewöhnlich, gar einzigartig sind dann jene, die es bis ganz nach oben schaffen. Doch nicht einmal Serena Williams wird Coco Gauff angesichts der Veränderung durch die Digitalisierung darauf vorbereiten können, was das heutzutage bedeuten wird: Coco sein. Sie kann sich auch keine Ratschläge holen von anderen früh Erfolgreichen wie Tracy Austin, Monica Seles, Jennifer Capriati, Martina Hingis. Es ist eine andere Zeit, eine andere Welt, in der Coco Gauff sich anschickt, ganz vorne mitzuspielen.

Wer Gauff in New York beobachtet, ihren Einträgen in den Sozialen Medien folgt, ihren Kolleginnen zuhört, ist beeindruckt, wie Gauff als außerordentlich gefragte Person mit alldem umgeht. Es ist dieser Spagat aus öffentlich eingestandener Unsicherheit und dem Eindruck der Stärke, den sie hinterlässt, der einen erstaunt. Wie sie sich im größten Tennisstadion der Welt einfach mal für unverwundbar erklärt und in so einem zweiten Satz wie am Mittwoch zurückkommt, als wäre es alltäglich. (Sie siegte dann 7:4 im Tie-Break). Wie sie gleichzeitig offen über Selbstzweifel auf Tiktok spricht und dort zum Beispiel schreibt: "Ich habe immer versucht, mich anzupassen, ich hatte überhaupt kein Selbstvertrauen." Oder: "Schließe immer jeden ein, weil mich niemand aufgenommen hat. Ich war das einsame Heim-Schul-Kind." Wie sie dort Fantasy-Bücher empfiehlt und sich als Fan der Videospiel-Youtuberin mit dem Künstlernamen Valkyrae outet.

Sich unverwundbar und gleichzeitig unsicher fühlen, wohl beim Auftritt vor Millionen und doch unbeholfen unter Freunden. Das Leben dem Profisport unterordnen und gleichzeitig wissen, dass es dann doch nur Tennis ist. Oder wie Gauff sagt: "Ein Match zu verlieren, ist nicht das Ende der Welt. Es zeigt, wie privilegiert ich bin. Ich bin eine junge Frau, die Tennis spielt." Verkleiden, Fantasy-Romane schmökern, Fan von Leuten sein, mit denen man sich identifiziert. Ist all das nicht eine ziemlich treffende Beschreibung von Teenage Angst, und könnte es vielleicht sein, dass Coco Gauff, diese außergewöhnliche Tennisspielerin, doch ein recht normaler Teenager ist? Es ist ihr zu wünschen.

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