Andrea Petkovic:"Ich habe die letzten fünf Tage nur geheult"

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Einmal ist es wirklich das letzte Mal: Am 30. August 2022 spielte Andrea Petković das letzte Spiel ihrer Grand-Slam-Karriere bei den US Open. (Foto: Juergen Hasenkopf/IMAGO)

Ihr letzter Tanz: Andrea Petkovic verliert ihr letztes Spiel bei den US Open - und nimmt ihre Zuhörer danach noch einmal tief mit hinein in ihre Gedankenwelt. Das ist, was diese Sportlerin immer ausgezeichnet hat.

Von Jürgen Schmieder, New York

Ein letztes Tänzchen also. Profisportler haben ja immer die Hoffnung, dass The Last Dance entweder so verläuft wie die Saison der Chicago Bulls in der gleichnamigen Basketball-Dokuserie - oder wie der Tennis-Spielfilm Wimbledon, in dem ein Mittdreißiger sich entgegen aller Wahrscheinlichkeiten zum Sieg spielt und auf dem Weg dorthin auch noch die Liebe des Lebens trifft.

Es ist die romantische Hoffnung für Sportler vor dem Ritt in den Sonnenuntergang: ein letzter Triumph.

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Andrea Petkovic war 2011 die Nummer neun der Welt, nun ist sie Mittdreißigerin und auf Platz 92 der Rangliste. Vor ein paar Tagen hatte sie mit einem Beitrag bei Instagram - sie hatte einem Trainingsvideo den Hashtag #lastdance verpasst - angedeutet und kurz darauf bestätigt, dass die US Open das letzte Turnier in ihrer aktiven Karriere sein würden. Der letzte Tanz für Petkovic also, die nach Siegen gerne auf dem Platz getanzt hatte, was würde es für einer sein?

Petkovic gibt zu: "Ich hatte wirklich Angst, null und null zu verlieren"

Nun, das Leben ist kein Film. Petkovic schied in der ersten Runde gegen die Schweizerin Belinda Bencic aus - und doch tanzte die Deutsche nach dieser Partie, zumindest ein kleines bisschen, als sie sich bei den vielen Fans auf dem Court 7 für die Unterstützung bedankte. Es war gut, so wie es war, das befand auch Petkovic danach, denn man kann dieses 2:6, 6:4, 4:6 stellvertretend sehen dafür, was Petkovic in ihrer Laufbahn erreicht hat und wofür sie in Erinnerung bleiben will. Es geht bei ihr nun mal weniger um Triumphe als ums Tanzen.

"Ich habe die letzten fünf Tage nur geheult, mehrere Stunden am Tag. Ich habe im Training vielleicht zwei Aufschlagspiele gewonnen", sagte sie nach der Partie. Petkovic hob sich von vielen Kolleginnen schon immer ab, weil sie offen darüber sprach, was in ihrem Kopf vorging - und sie hob sich von allen ab, weil sie auch darüber reflektierte, was da in ihrem Kopf vorging; so auch diesmal: "Das war alles so traurig - wobei, wenn man nun darüber nachdenkt und das von außen sieht, dann wirkt das wohl eher ziemlich lustig." Das ist eine typische Petkovic-Aktion: Erst über sich selbst weinen und dann darüber lachen, wie viel sie über sich geweint hat.

Sie habe befürchtet, dass Bencic sie aufgrund der tränenreichen Vorbereitung vom Platz schießen würde. Das ist die größte Furcht vieler Sportler kurz vor dem Karriereende: dass sie verprügelt werden, wie es dem Boxer Mike Tyson widerfahren ist. Der hörte 2005 zu Beginn der siebten Runde gegen Kevin McBride auf mit der Begründung, dass er wirklich keine Lust mehr habe, den Sport zu schmähen, indem sich so einer wie er von solchen Pflaumen wie McBride vermöbeln lasse.

Belinda Bencic war für Andrea Petkovic in ihrem letzten US-Open-Match am Ende zu stark. (Foto: Angela Weiss/AFP)

Und Petkovic? "Ich war wirklich froh, dass es gegen Belinda ging. Sie ist jung und eine Topspielerin auf der Höhe ihres Schaffens. Ich hatte nur Angst, dass es schnell gehen würde." Genau danach sah es zunächst auch aus, Bencic gewann die ersten acht Ballwechsel, Petkovic schien weniger der seit Monaten lädierte Ellbogen zu plagen als eine Zitterhand: "Ich hatte wirklich Angst, null und null zu verlieren."

Sie habe, bilanziert Petkovic, "meine Karriere so hinbekommen, wie ich in Erinnerung bleiben will"

In The Last Dance gibt es einen Moment am Ende, in dem die Spieler der Chicago Bulls auf einen Zettel schreiben, was ihnen diese Saison und dieses Team bedeutet haben. Bei Petkovic klang das so: "Ich habe mich beim Seitenwechsel hingesetzt und gefragt: Wofür kennen dich die Leute? Wofür stehst du?" Die 34-Jährige gehörte nie zu den talentiertesten Spielerinnen, sie überrollte ihre Gegnerinnen nicht, sondern kämpfte sie nieder. Sie war ehrgeizig und hatte eine Überdosis von dem, das man je nach Alter Charisma, Coolness oder Swag nennt. "Meine Tugenden", fasste sie in New York zusammen: "Nach jedem Ball rennen, an mich glauben, niemals aufgeben, das Beste geben. Reflektiert auf die Karriere habe ich das so hinbekommen, wie ich in Erinnerung bleiben will."

Petkovic rannte gegen Bencic nach jedem Ball, insgesamt fast zwei Kilometer, ein erstaunlicher Wert. Sie glaubte an sich, sie gab nicht auf und gab ihr Bestes. Sie verlor, weil sie bei 4:4 im dritten Satz acht Punkte hintereinander verlor. Doch die Niederlage störte sie nicht besonders. Sie hatte nicht verloren - es gewann die Jüngere, Gesündere, Bessere. "Deshalb habe ich im Sommer auch beschlossen, die Laufbahn zu beenden", sagte Petkovic: "Ich habe noch immer sehr viel Leidenschaft für diesen Sport in mir, aber der Körper lässt es nicht mehr zu. Wenn ich junge Spielerinnen sehe, merke ich, dass meine Geschichte erzählt ist."

Die schönste Zeit ihrer Karriere? "Die letzten vier, fünf Jahre, auch wenn ich nur noch punktuell erfolgreich war"

Es sind tatsächlich weniger die sieben Turniersiege oder Erfolge bei Grand Slams - Halbfinale in Wimbledon, Viertelfinale in Melbourne und in New York - an die man sich bei Petkovic erinnert. Es sind vielmehr die Momente, in denen sie einen mitgenommen hat auf dem Platz - und einen danach reingelassen hat in ihre Gedankenwelt.

Fünf Engel für Deutschland? Andrea Petkovic (oben links) denkt besonders gerne an die Stimmung beim Fed Cup zurück, wo sie (im Uhrzeigersinn) mit Teamchefin Barbara Rittner, Angelique Kerber, Anna-Lena Grönefeld und Julia Görges posierte. Von den vier Spielerinnen ist nur die werdende Mutter Kerber bisher noch nicht zurückgetreten. (Foto: Martin Hoffmann/Imago)

Wenn sie nun darüber spricht, was auf ihrem "Last Dance"-Zettel stehen würde, redet sie auch nicht lang über Erfolge, sondern lieber über den Teamgeist beim Fed-Cup-Team und darüber, wie stolz sie darauf sei, dass sie Erfolge wie die der dreimaligen Grand-Slam-Siegerin Angelique Kerber und der Wimbledon-Viertelfinalisten Jule Niemeier (die später sagte, dass sie während der Partie von Petkovic "ein paar Tränchen" verdrückte) prognostiziert habe. Die schönste Zeit in ihrer Laufbahn deshalb: "Die letzten vier, fünf Jahre, auch wenn ich nur noch punktuell erfolgreich war. Ich war nach dem Burnout mit so viel Leidenschaft dabei - das war reine Liebe zum Spiel. Darauf bin ich stolz."

So redet jemand, die zufrieden ist damit, dass die Geschichte der ersten Karriere erzählt ist; auch wenn sie noch ein Trainingsspiel in Europa absolvieren wolle, sagte Petkovic. Es sei nun Zeit für Jüngere wie etwa Coco Gauff, der sie "auf Twitter beinahe wie ein Stalker" folge und der die Natur ebenfalls reichlich Coolness und Charisma geschenkt hat. Eines nur fände sie ein bisschen komisch, sagte Petkovic: "Amerikaner sagen nun immer erst einmal: 'Glückwunsch zu dieser Karriere!' Die Europäer: 'Wie geht's nun weiter?' Ich finde den amerikanischen Weg besser."

Also dann: Glückwunsch zu dieser Karriere - und viel Spaß bei allem, was nun kommt!

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