Bundesliga:Union Berlin sieht RB Leipzig nur noch im Rückspiegel

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Szenen aus Köpenick: Kevin Behrens, Rani Khedira und Janik Haberer (von links) feiern Unions 3:0 gegen den VfB Stuttgart. (Foto: Frick/Huebner/Imago)

Der Low-Budget-Klub Union Berlin flirtet mit der Champions League - unter anderem, weil sich der Konkurrent RB Leipzig nach 0:11 Toren aus den letzten drei Spielen als fragiles Gebilde zeigt.

Von Javier Cáceres, Berlin

Die jüngere Geschichte des 1. FC Union ist eng mit dem VfB Stuttgart verwoben: 2019 gelang den Köpenickern der Aufstieg in der Relegation gegen die Schwaben. Und er ist auch mit RB Leipzig verbunden: Im August 2019 waren die Leipziger der erste Bundesliga-Gegner der Berliner überhaupt. Die seinerzeit von Trainer Julian Nagelsmann angeführten Leipziger siegten mit 4:0, und wer damals von einem Klassenunterschied sprach, machte sich der Nutzung von Euphemismen schuldig.

Keine vier Jahre später sind 26 Spieltage der Fußball-Bundesligasaison 2022/23 vergangen, und siehe da: Union muss den Rückspiegel bemühen, um die Leipziger zu sehen. Durch Unions 3:0-Sieg gegen Stuttgart vom Samstag - verbunden mit dem 0:3-Debakel von RB Leipzig gegen Mainz 05 - beträgt der Abstand von Union auf Leipzig unwahrscheinlich anmutende sechs Punkte. Union steht damit - im Gegensatz zu Leipzig - auf einem Champions-League-Platz.

Der große Unterschied zwischen Union und Leipzig: Für die Berliner ist die Qualifikation für die Champions League alles andere als ein "Muss". Am Samstag hatte Leipzigs neuer Manager Max Eberl seine Mannschaft mit genau diesem Wort in die Pflicht genommen - und daran erinnert, dass unter anderem die gesamte Personalplanung für die neue Spielzeit erheblich davon abhängt, dass Leipzig in der Champions League mitspielen darf. "Es wäre für mehrere Personalien nicht schön, wenn wir uns nicht qualifizieren", sagte Eberl mit Blick auf aktuelle und potenzielle RB-Profis.

Die Furcht ist, dass ambitionierte Angestellte, etwa Dani Olmo oder Josko Gvardiol, das Weite suchen könnten, wenn sie sich nicht mehr auf Europas größten Bühnen tummeln dürften. Der derzeit schmerzlich vermisste Christopher Nkunku wird den Klub sowieso verlassen und nach London zum FC Chelsea wechseln. Die Unioner hingegen? Könnte man fast für Zocker halten, die sich an einen Roulette-Tisch setzen und lässig die Bank sprengen - obwohl sie gar nicht wetten.

Entschuldigen müssen sie sich dafür nicht. Sie haben ein paar Tugenden, die vielen anderen Mannschaften oft genug abgehen, darunter den Leipzigern (die im Gegensatz zu Union kein einziges Mal die Tabelle angeführt haben).

"Wir müssen da jetzt ganz schnell rauskommen", sagt Leipzigs Emil Forsberg

Am Samstag geriet RB Leipzig gegen Mainz durch einen Abstauber-Treffer des Ex-Unioners Marcus Ingvartsen in Rückstand. Und das wäre, obschon noch ein Traumtor von Ludovic Ajorque und das 3:0 von Dominik Kohr folgen sollten, im Grunde schon genug gewesen, um die Leipziger zu besiegen. Das Internet-Portal RBLive hatte die bemerkenswerte Statistik parat, dass es Leipzig in dieser Saison nur drei Mal gelungen sei, einen Rückstand auszugleichen - gegen Mainz, Augsburg und den FC Bayern. Damit steht Leipzig in der imaginären Unbeirrbarkeitswertung auf dem drittschlechtesten Rang der Liga, vor Augsburg (zwei Punkte bei 15 Rückständen) und VfL Bochum (null Punkte nach 16 Rückständen) - und weit hinter dem Spitzenreiter: Union Berlin.

Die Unioner treffen, die Leipziger nicht: Hier betrauern Timo Werner (rechts) und Mohamed Simakan eine verpasste Chance beim 0:3 gegen Mainz. (Foto: Jan Woitas/dpa)

Die Köpenicker haben es in dieser Saison in vier von neun Fällen verstanden, Rückstände in Siege zu verwandeln. Am Samstag übrigens lagen die Köpenicker zur Pause wenigstens gefühlt auch gegen Stuttgart hinten: Man habe in den ersten 45 Minuten "keine Schärfe, keine Bereitschaft, keine Rhythmuswechsel" gehabt, monierte Trainer Urs Fischer, man habe "Glück" gehabt, dass man nicht in Rückstand geraten sei. In der zweiten Halbzeit habe man allerdings "das Gesicht gesehen, das uns auszeichnet". Es trafen Sheraldo Becker, Kevin Behrens und per Eigentor der frühere Unioner Genki Haraguchi. Mit dem Resultat, dass das erst vor wenigen Wochen offensiv formulierte Saisonziel "Europa" zum Greifen nahe ist. Und wie.

Durch das 3:0 liegt Union als Tabellendritter nicht nur sechs Punkte vor den Leipzigern, sondern auch zehn Zähler vor dem Tabellensechsten Eintracht Frankfurt, und elf Punkte vor dem Tabellensiebten Bayer Leverkusen. Mathematisch ist die Qualifikation für einen kontinentalen Wettbewerb - im Gegensatz zum Klassenerhalt - noch nicht gesichert, es sind noch acht Runden zu spielen. Wie spektakulär die Aussichten der Unioner aber sind, beweist ein kleines Rechenmodell.

Denn sollten nur die vier verbleibenden Heimspiele gewonnen werden (gegen Bochum, Leverkusen, Freiburg und Werder), käme Union am 34. Spieltag auf 63 Punkte. Das reichte in immerhin acht der zehn letzten Spielzeiten für den vierten Tabellenplatz. "Was soll ich sagen? Wir fangen gar nicht an, zu zählen. Das ist viel zu früh", sagte Union-Kapitän Christopher Trimmel. Stürmer Becker ließ sich immerhin ein wenig aus der Reserve locken: "Natürlich will ich als Spieler Champions League spielen", sagte der Niederländer. All das verströmte vor dem Pokal-Ausflug nach Frankfurt eine positive Grundstimmung, die einen Kontrast zu jenem Echo bot, das aus Leipzig kam.

Dort hängt der Mannschaft offenbar immer noch das 0:7 bei Manchester City in den Kleidern. Es folgten eine 0:1-Pleite in Bochum, nun das 0:3 gegen Mainz. Emil Forsberg räumte unumwunden ein, dass die Mannschaft verunsichert sei. "Wir müssen da jetzt ganz schnell rauskommen", sagte der Schwede. Die nächste Gelegenheit bietet das Pokalduell am Mittwoch gegen Borussia Dortmund.

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