Turn-Weltmeister Lukas Dauser:Aus der Problembeziehung wird Freundschaft

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Geschafft: Lukas Dauser gewinnt Gold in Antwerpen. (Foto: Naomi Baker/Getty Images)

Lukas Dauser hat endlich Gold am Barren errungen. Der WM-Erfolg des 30-Jährigen ist ein Höhepunkt in der deutschen Turn-Geschichte. Kann er auch eine neue große Ära anstoßen?

Von Volker Kreisl

Mit dem Barren hatte alles angefangen. Das Gerät mit den hohen, parallel angeordneten Holzholmen hat im Sportunterricht schon immer die wenigsten Schüler interessiert, die da schon längst in der Ballphase stecken. Doch der Barren ist tatsächlich ein großartiges Sportgerät, jedenfalls wenn man so drauf ist wie schon damals Lukas Dauser.

Er hatte die richtigen Voraussetzungen für einen Turner, die Maße von Armen und Beinen passten, er besaß bald genügend Stützkraft in den Armen, was die Voraussetzung für fast alle Turngeräte ist. Schließlich war da auch der richtige Trainer, Kurt Szilier, der bereits Marcel Nguyen die Welt des Turnens nahegebracht hatte. Er öffnete seinen Schülern die Welt des Turnens, indem er sie schon früh am Barren schulte. An dem Gerät, das fast alles enthält, was Turnen ausmacht.

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Jetzt ist Lukas Dauser aus Unterhaching Weltmeister. Am Sonntagabend hat er seinen langen Weg aus der Jugend bis zum ersten ganz großen Erfolg im Sportpaleis von Antwerpen zum Abschluss gebracht. Einen Doppelsalto hatte er als Abgang geturnt, dann stand er neben dem Gerät und wurde für kurze Zeit, als er auf dem Boden verharrte, ein anderer Dauser. Nachdem er dann begriffen hatte, dass der Weg nun zu Ende war, holte er sich eine Fahne und ließ seine gefasste und bis ins letzte Detail ordnungsliebende Art hinter sich.

Dauser wusste sofort: Diesen Sieg würde ihm keiner nehmen

Die Anstrengung, die vielen Wiederholungen von fast immer dieser gleichen Übung über rund fünf Jahre, die Enttäuschungen, die neue Motivation und weitere Enttäuschungen, all das schien nun von Dauser abzufallen. "Perfekt gibt es, glaube ich, nicht. Aber ich strebe danach, und das heute war schon nah an der Grenze", sagte er später. Er ballte beide Turnerbizepse und trieb das Publikum noch einmal mit rudernden Armen an, nicht um mit Lärm die Jury zu einer besseren Note zu überzeugen, sondern einfach aus Freude. Dauser wusste, dass ihm auch der noch wartende letzte der acht Finalturner diesen Erfolg nicht mehr nehmen konnte.

Turnen ist auch Rechnen, die Übungen werden über Jahre entworfen und verbessert, nicht nur in der Ausführung und der Eleganz, sondern auch im Wert. Wer ein bisschen Erfahrung im Turnen-Schauen hat, der merkt, dass Dausers Barrenvortrag anders ist. Seine Übung ist weniger eine Aneinanderreihung von Salti und anderen Luftelementen als eine Kopfüberkür auf den Holmen; eine Darbietung, bei der einem Laien nicht der Mund offensteht wie bei einem Doppelsalto mit halber Drehung über die Stange, die aber für Experten einen Genuss darstellt.

Dausers Vortrag brachte ihm also eine Goldmedaille, die erste für die Männer des Deutschen Turner-Bunds seit 2007, als der Wetzlarer Fabian Hambüchen in Stuttgart Weltmeister wurde. In einem Sport, in dem solche großen Stunden selten sind, stellt sich da gleich die Frage, welche Konsequenzen dieses Gold haben könnte, schließlich fügte sich an Hambüchens Sieg eine längere Phase von deutschen Turnerfolgen an. Eine Art Team am Reck entstand, viele Kollegen liebten dieses auch nach Metern höchste Gerät, Hambüchen und der Cottbuser Philipp Boy fanden zu fruchtbaren Duellen zusammen. Höhepunkt dieser Zeit war Hambüchens Reck-Sieg im Jahr 2016 bei Olympia in Rio de Janeiro.

Die Note, die er für seinen Vortrag erhielt, kommt einem 5:0 im Fußball gleich

Konkret fragt sich nach Dausers großem Tag, ob dessen Barren-Gold eine ähnliche Welle von Eintritten in Turnvereinen auslöst. Genug davon gibt es ja. In fast jeder Kleinstadt wird hierzulande geturnt, nicht selten werden innerhalb gut strukturierter Großvereine Talente früh entdeckt und ihnen die passende Abteilung empfohlen. Das größte Argument für einen neuen Aufschwung ist aber zunächst der pure Erfolg. So eine Medaille kann heute turnende Mädchen und Jungs durchaus anspornen, vorausgesetzt, sie haben das Talent.

Weltmeister ist Lukas Dauser schon, die nächsten Ziele stehen fest: Paris 2024 und die Olympischen Spiele. (Foto: Geert vanden Wijngaert/AP)

Auch Dauser hatte die Begabung, und er hatte auch immer den Ehrgeiz. Als er den Barren als sein bestes Gerät erkannt hatte, hatte er zunächst - wie Hambüchen - die Luftakrobatik in den Vordergrund gestellt. Jedoch änderten sich die Barren-Statuten, wer einen schwereren Körper, ähnlich wie Dauser, hatte, dessen Flugshow mit Oberarmlandung auf den Holmen allzu sehr schepperte, der bekam fortan Abzüge. Dies führte dazu, dass Dauser diese extravagante, verwirrende, am Ende aber faszinierende und schwere Übung präsentierte.

In Worte gefasst, handelt es sich bei Dausers schweren Passagen unter anderem um eine Riesenfelge in den Handstand, einen Oberarm-Diamidow, eine Schwungstemme vorwärts, gefolgt von einem Rückschwung in den Handstand, einen Tsolakidis, eine Stützkehre und noch einiges mehr. Die Übung ist lang, die vielen Drehungen und Wendungen, die verwirrenden Griffe und Richtungswechsel fast ohne Pause lassen erahnen, wie schwierig so ein Vortrag ist.

Jetzt freut er sich auf zu Hause, die Couch und den Anblick der Medaille

Doch Dauser, der auch gerne und gut am Reck turnt, hat mit seiner Barren-Vortrag eine Art Freund gefunden. Die Zeit, in der er ihn noch überfordert hatte, ist vorbei. Die beiden hatten ihre Krise vergangenes Jahr bei der EM in München, als Dauser sich in der Qualifikation einen Fehler erlaubte und das Finale verpasste. Und auch der Chinese Zou Jingyuan, der ihn zuletzt bei den großen Ereignissen zweimal bezwang und diesmal nicht dabei war, muss sich fragen, ob er Dausers Übung übertroffen hätte. Sie wurde am Ende mit 15,400 Punkten belohnt, was im Fußball etwa einem 5:0 gleichkommt.

Und doch wird er wohl nicht den großen Run auf die Turnhallen auslösen. Dazu ist seine Übung zu speziell, sind diejenigen, die sich im Internet informieren über diesen extravaganten Sport nicht zahlreich genug. Dafür war schon vor seinem Triumph in der deutschen Mannschaft der Teamgeist erwacht, spätestens nach der Verletzung von Andreas Toba hatte dieses Quartett eine Mission und war auch nicht mehr zu halten.

Dauser und sein Team haben jedenfalls das nächste Ziel: Die Olympischen Spiele 2024 in Paris. "Der Junge hat es sich wahnsinnig verdient, weil er so professionell arbeitet", sagt sein Trainer Hubert Brylok vom Stützpunkt in Halle. Die Zeit danach ist noch nicht sicher geplant. Klar sei nur, sagt Dauser, dass er sich darauf freue, "dass ich mich auf die Couch setzen kann, mit meiner Medaille um den Hals". Tatsächlich hat er den Rücktritt nach erfolgreichen Spielen angedacht, aber wer weiß: Vielleicht geht die Freundschaft mit seiner Barrenübung noch weiter, jetzt, da das Duo so richtig zusammengefunden hat.

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