Türkgücü München:Und plötzlich sind alle arbeitslos

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Unsanfte Landung: Mergim Mavraj hat das Aus von Türkgücü im Krankenstand erleben müssen, er befindet sich nach zwei Corona-Infektionen gerade zur Reha in einer Klinik in der Schweiz. (Foto: Ulrich Wagner/Imago)

Hier Geld einsparen, dort ausgeben - und ein Investor, der einfach nicht mehr zu erreichen ist: Der Fußballverein Türkgücü München gibt bei seinem Drittliga-Aus ein desolates Bild ab.

Von Christoph Leischwitz

Im Rückblick war der 11. Januar einer der seltsamsten Tage für Türkgücü München. Es war jener Tag, an dem der Fußball-Drittligist aus dem Trainingslager in der Türkei zurückkehrte, und auch, wenn Geschäftsführer Maximilian Kothny nur 15 Tage später den Antrag für ein Insolvenzverfahren einreichen sollte, so wurde dem neuen Trainer noch Aufbruchstimmung suggeriert. Heute erzählt Andreas Heraf, dass er nach der Landung in den Bayerischen Hof kommen sollte - sofort! Das tat der 54-Jährige, zusammen mit seinem Co-Trainer Goran Djuricin saßen sie dann dort im Trainingsanzug in der Hotel-Lounge, und Investor Hasan Kivran habe ihnen erzählt, dass er drei weitere Spieler verpflichten könne für den Abstiegskampf - Heraf plante schon Termine für die Medizinchecks. Er habe sogar die Verpflichtung weiterer Spieler in Aussicht gestellt bekommen, "es war ein tolles Gespräch", erzählt Heraf. Doch dann wurde es surreal. "Ab dem nächsten Tag war Herr Kivran nicht mehr zu erreichen", sagt Heraf. Nicht am übernächsten, nicht am überübernächsten. Die Medizinchecks wurden abgesagt.

Ebenfalls am 11. Januar führte Türkgücüs Geschäftsführer Max Kothny ein Gespräch mit Mergim Mavraj. Es sehe finanziell nicht gut aus, erklärte der 25-Jährige dem zehn Jahre älteren Führungsspieler, der einen Vertrag bis zum Sommer 2023 besaß und zu den bestbezahlten Akteuren gehörte. Dass er sich einen neuen Verein suchen solle, wurde indes nicht kommuniziert, erzählt Mavraj. Es war eine halbherzig formulierte Sparmaßnahme, denn für den 20. Januar stand für Türkgücü der Termin zum Nachweis der Liquidität an, knapp zwei Millionen Euro fehlten da gerade.

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Weiter Geld ausgeben hier, Geld einsparen dort - es wäre auch überraschend gewesen, ausgerechnet in dieser Phase erstmals eine klare Handschrift bei Türkgücü erkennen zu können. Der Ausstieg von Kivran Mitte Januar war eine komplett irrationale Entscheidung, niemand kann sagen, wann genau sie gefallen ist. So sehen es übrigens auch Wegbegleiter. Nach SZ-Informationen hatten die weiteren Gesellschafter in der GmbH vorgeschlagen, rund 40 Prozent der Kosten zu übernehmen, um die Saison zu Ende spielen zu können - wäre der Ligaverbleib gelungen, hätte ein anderer Investor Kivrans Anteile kaufen können.

Niemand geht davon aus, im Insolvenzverfahren mehr als einen Bruchteil der Forderungen zu erhalten

Für die Spieler ist das alles erst einmal nicht mehr wichtig, auch wenn viele von ihnen nun auf der Gläubigerliste stehen - niemand geht davon aus, mehr als einen Bruchteil der Forderungen zu erhalten. Sie sind bis Ende Juni arbeitslos gemeldet. Der Trainer hat da einen arbeitsrechtlichen Vorteil: Auch wenn das in der aktuellen Saisonphase unrealistisch ist, könnte Heraf jederzeit bei einem anderen Verein unterkommen. Der Österreicher macht auch keinen Hehl daraus, dass der Job bei Türkgücü ein vorrangiges Ziel hatte: einen Fuß in die Tür zum deutschen Fußball zu bekommen. Wobei der ursprüngliche Plan natürlich vorsah, dass dies über den Ligaverbleib gelingt. Jetzt kann er zumindest sagen, das Team in ungewisser Zeit zu einigen Siegen und Unentschieden geführt zu haben.

Viele Spieler versuchen derzeit, sich bei anderen Klubs fit zu halten, wie zum Beispiel der junge Torwart Michael Wagner beim FC Bayern München II. Von erfahrenen Profis wie Sercan Sararer und René Vollath ist zu hören, dass sie ihre Karriere noch lange nicht als beendet ansehen. Vollath sagt: "Ich freue mich richtig drauf, mich jetzt wieder richtig fit zu machen für neue Aufgaben."

Im Hintergrund wird intensiv daran gearbeitet, dass es in der Regional- oder Bayernliga weitergeht - nur: Wie soll das gelingen?

Sehr lange war nichts zu hören gewesen vom früheren Bundesligaprofi Mergim Mavraj. Das lag vor allem daran, dass er die lange Phase der ungewissen Zukunft Türkgücüs fast komplett erkrankt miterlebte, nach zwei Corona-Infektionen hatte er erhebliche gesundheitliche Probleme. Aktuell befindet er sich in einer Reha-Klinik in der Schweiz, denn: "Deine Lunge brauchst du noch dein ganzes Leben, deswegen bin ich da sehr vorsichtig." Er sagt aber auch: "Meine Karriere möchte ich jetzt nicht mit so einem Gefühl beenden." Viele haben sich zuletzt kritisch über die Verantwortlichen im Verein geäußert, Mavraj beleuchtet einen Aspekt besonders: "Die Erfahrung zu wissen, wie ein Profi tickt, was in seinem Kopf abläuft, gerade auch nach einer Niederlage, welche Faktoren überhaupt wichtig sind, um eine gute Leistung zu zeigen - das hat in diesem Verein gefehlt. Und das ist für mich auch der Hauptgrund, warum das jetzt so schiefgelaufen ist."

Hinter den Kulissen versuchen Türkgücü-Funktionäre aus der Zeit vor Kivran alles, "um den e.V. nicht sterben zu lassen", wie Geschäftsführer Max Kothny sagt. Er selbst hilft gerade bei der Suche nach einem Stadion, geplant ist eine Saison in der Regional- oder Bayernliga. Angefragt hat Kothny beim SV Heimstetten und bei der Stadt für das Grünwalder Stadion. Hasan Kivran jedoch scheint wirklich alle Kontakte eingefroren zu haben: Dem Vernehmen nach ist der Investor diese Woche auch als Präsident des e.V. zurückgetreten.

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