Türkgücü München:Zahlungsfähig, aber handlungsunfähig

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Der Schreck lässt nach: Kevin Hingerl wechselt zum Regionalliga-Konkurrenten Buchbach. (Foto: Michael Sigl/Regiopictures/Imago)

Immer, wenn es wirklich ernst wird, scheint die Vereinsführung liquide zu sein. Doch der Ärger bleibt: Ein Jugendtrainer zieht vor Gericht - und eine drastische Erhöhung der Mitgliedsbeiträge wird wieder zurückgenommen.

Von Christoph Leischwitz

Fehlendes Geld ist, auch wenn es bisweilen sehr danach aussieht, offenbar noch nicht einmal das größte Problem bei Türkgücü München. Nach SZ-Informationen sind Gläubiger, die Gehälter eingefordert hatten, mittlerweile von ihrem Plan abgewichen, selbst einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu stellen - der Verein hatte zu einer vorgegebenen Frist dann doch noch gezahlt. Und angesichts der zweistelligen Zahl an Spielern, die den Fußball-Regionalligisten in der Winterpause schon verlassen haben, werden die Ausgaben künftig deutlich sinken.

Anfang Dezember war bekannt geworden, dass dem Klub ein Investor abgesprungen war (die SZ berichtete). Seitdem fand ein Ausverkauf an Spielern statt, es gibt mehrere Rechtsstreitigkeiten wegen Abfindungen und nicht gezahlten Monatsgehältern. Doch immer, wenn es wirklich ernst wird, scheint die aktuelle Vereinsführung um Präsident Taskin Akkay und Vorstand Serdar Yilmaz liquide zu sein. Statt Zahlungsunfähigkeit scheint sozusagen eher Handlungsunfähigkeit den Lauf der Dinge zu bestimmen.

Gespart wird seit Monaten nicht nur bei der ersten Mannschaft, sondern auch in der Jugendabteilung. Dort ist die Stimmung schlecht, gleich mehrere ehemalige Mitarbeiter melden sich nun deshalb zu Wort. Was sie erzählen, legt nahe, dass bei Türkgücü allzu oft die eine Hand nicht wusste, was die andere tat. Und so sieht die Zukunft beim Traditionsklub im Münchner Osten nicht rosig aus, auch ohne Insolvenz. Nachdem Mitarbeiter ohnehin schon über hohe Arbeitsbelastung geklagt hatten, dürfte sich die Lage kaum verbessern, wenn Hauptamtliche aufhören oder gekündigt werden. Viel Arbeit wurde und wird zurzeit von Familienmitgliedern der Übriggebliebenen übernommen, berichten einige. Die Vereinsführung erklärt auf Nachfrage, sich nicht mehr zu internen Angelegenheiten und Kommentaren von Ehemaligen äußern zu wollen.

Da ist zum einen Marius Baumann, früherer Trainer der U15. Er wirft dem Verein schlechte Kommunikation, nicht eingehaltene Versprechen und willkürliche Entscheidungen vor. "Ich habe noch überhaupt kein Gehalt gesehen", sagt der 30-Jährige, der ab dem 1. Juli 2023 für Türkgücü tätig war. Gekündigt wurde ihm wenige Stunden vor einem Spitzenspiel seiner Mannschaft im Oktober, fast zeitgleich mit dem Ausstieg des Investors. Der Umgang sei, gelinde gesagt, nicht sehr kollegial gewesen.

Ebenfalls sehr enttäuscht zeigt sich die Mädchentrainerin Cansin Sener, 35. "Es wurden Versprechen nicht eingehalten, und ich habe auch nie ein Gehalt gesehen", sagt sie. Trainingsausrüstung habe sie selbst kaufen müssen und, ähnlich wie bei Baumann, habe man auch nie Trikots bekommen, und wenn, dann völlig veraltete. Die U17 habe auf Wunsch des Vereins viel zu hoch in der Bezirksliga spielen müssen, was daran liege, dass es sich für die Vereinsführung vor allem um ein Prestigeprojekt gehandelt habe, für das man sich in Wahrheit kaum interessierte. Sie wolle nichts mehr mit Türkgücü zu tun haben, sagt Sener, die betont, freiwillig gegangen zu sein.

Viele U17-Spielerinnen wechselten mit Trainerin Sener zu einem anderen Verein

Ihr Fall zeigt, wie schwierig es oft ist, bei Türkgücü überhaupt den Kern des Problems zu benennen. Viele U17-Spielerinnen wechselten mit Trainerin Sener zu einem anderen Verein. Seit dem Wochenende hieß es dann auf der Verbands-Homepage, die Mannschaft sei vom Spielbetrieb zurückgezogen. Doch niemand will es gewesen sein. Türkgücü behauptet, den Rückzug habe Trainerin Sener ohne Absprache vorgenommen, diese weist die Vorwürfe von sich und sagt, das sei ihr gar nicht möglich. Seit Dienstag ist auf bfv.de nichts mehr vom Rückzug zu lesen. Sener hat die Befürchtung, dass Türkgücü die Wechsel nicht rechtzeitig bearbeitet und ihren Spielerinnen dann Sperren drohen.

In Baumanns Fall handelte es sich um einen Minijob, der Streitwert ist nicht allzu hoch, doch er will mit dem Arbeitsgerichtstermin Anfang Februar ein Zeichen setzen: "Ich finde, so geht man einfach nicht miteinander um", sagt er, weder während noch nach seiner Anstellung. "Wir hätten uns diesen Gerichtstermin sparen können, wenn der große Geschäftsmann Serdar Yilmaz Zeit gehabt hätte", ergänzt er, offensichtlich erbost über Vorstand Yilmaz, der zurzeit federführend das Krisenmanagement betreibt.

Für Frust im Juniorenbereich sorgte auch die Tatsache, dass Trainer zwischenzeitlich keine Spieler an- und abmelden konnten. Der Grund: Nach SZ-Informationen war das Verbandsportal für Türkgücü gesperrt. Das geschieht, wenn Gebühren nicht rechtzeitig bezahlt werden. Auch Baumann erzählt, dass er beispielsweise Schiedsrichter-Spesen vorstrecken und später in der Geschäftsstelle wieder eintreiben musste - in mindestens einem anderen Fall sei das Geld auch gar nicht zurückgezahlt worden. Ein anderer ehemaliger Mitarbeiter bringt es auf den Punkt: "Bei Türkgücü war alles immer: 'nächste Woche'."

Fehlendes Geld scheint natürlich auch weiter ein Problem zu sein. Anfang vergangener Woche verschickte Türkgücü per Email die Nachricht, dass der Mitgliedsbeitrag von 180 auf 360 Euro angehoben wird - der Betrag werde in 14 Tagen abgebucht. Präsident Akkay erwähnt dies auf Nachfrage nicht und erklärt hingegen, dass es eine Erhöhung auf 240 Euro gebe. Was er verschweigt ist, dass die Verdopplung zurückgenommen wurde, wahrscheinlich wegen großer Empörung. So oder so: Einige Mitglieder sollen angekündigt haben, den Verein vorher verlassen zu wollen. Und machen sich Sorgen, nun doch zahlen zu müssen - weil sie noch keine Bestätigung für ihren Austritt erhalten haben.

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