1860 München:"Diese Qualität hat in der Regionalliga nichts verloren"

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„Das hätte eine einende Kraft. Da haben wir wieder was Gemeinsames. Dann fallen ja Vorwürfe wie Ruinenanbeter und Bruchbude weg.“ – Robert Reisinger hofft auf eine positive Machbarkeitsstudie zum zweitligatauglichen Umbau des Städtischen Stadions an der Grünwalder Straße. (Foto: Tobias Hase/dpa)
  • Der TSV 1860 München erlebt ein bewegtes erstes halbes Jahr in der Regionalliga.
  • Die Rückkehr ins Grünwalder Stadion wird zelebriert, die Ultras verpassen sich selbst Benimmregeln.
  • Die problematische Situation mit Investor Hasan Ismaik kann aber nicht gelöst werden.

Von Johannes Kirchmeier, Markus Schäflein und Philipp Schneider

Das erste Mal (13. Juli)

Gleich zu Beginn der Saison bekommen die Fans des TSV 1860 München den passenden Soundtrack für das Jahr auf die Ohren geblasen. Die "Betriebskapelle der Schönegger Käsealm" macht bei Sechzigs Auftaktspiel in der Regionalliga in Memmingen das, was sie am besten kann: Sie bläst ein paar schöne Märsche. Die Anhänger lassen sich davon keineswegs schocken, sie schreiben "Mein Verein für alle Zeit" auf ein großes Spruchband, reisen zahlreich an und machen sich den von den Bayernfans aus den Achtzigern bekannten Gesang zu eigen, wonach "in der Bayernliga die Giesinger Bauern mit der S-Bahn aufs Land" fahren. In diesem Fall ist es der Regionalexpress 57444. Wer eine Karte für die Partie im nur 5000 Zuschauer fassenden Memminger Stadion ergattert hat, kann sich glücklich schätzen. Die Löwen feiern ein 4:1 zum Start und untermauern ihre Favoritenrolle. "Diese Qualität hat in der Regionalliga nichts verloren", stellt Memmingens Trainer Stefan Anderl nach der Partie genervt fest. Er meint damit nicht die Bläser von der Käsealm.

Die Versammlung (18. Juli)

Besorgte Anwohner des Grünwalder Stadions finden sich in einer Turnhalle an der Säbener Straße (sic!) zusammen, um sich auf die Heimkehr des wilden, manchmal leicht angetrunkenen Löwen in die Nachbarschaft vorzubereiten. Der Abend gerät zu einer Art prophylaktischen Therapiesitzung, angeleitet von Stadtschulrätin Beatrix Zurek. "Der TSV 1860 hat ja das große Glück", sagt Zurek, "dass er einen Vizepräsidenten hat, der zamkehrt!" Also steht der Vizepräsident Hans Sitzberger auf, schreitet hinüber zum Mikrofon. "Grüß Gott, wegen Reinigung", sagt Sitzberger. "Gott sei Dank" sei es ja so: Er besitze in der Tat "mehrere Kehrmaschinen". Und wenn "am Freitag die Mannschaft spielt, dann schicke ich schon vor dem Anpfiff zwei von ihnen los". Sitzberger nickt zufrieden. Redet weiter. "Wenn das Spiel vorbei ist, dann fahren wir noch mal los! Und dann übernimmt die städtische Reinigung. Und wenn zwei Maschinen nicht reichen, dann schicke ich noch eine dritte!" Wahrscheinlich ist es doch kein Glück, dass 1860 einen Vizepräsidenten hat, der zamkehrt. Es ist eher eine Symbiose.

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Auf Giesings Höhen (21. Juli)

So dreckig wird es gar nicht beim ersten Heimspiel einer ersten Mannschaft von 1860 im Grünwalder Stadion seit zwölf Jahren. Innen im Rund ruft der Stadionsprecher Stefan Schneider immer wieder die Frage, ob denn alle zuhause seien. "Ist jemand in der Stehhalle zuhause?!" Die Betonung liegt natürlich auf zuhause. Also rufen auch die Fans außerhalb der Stehhalle: "Jaaaaa!" Schneider ist überhaupt sehr witzig. Er habe doch neulich jemanden brüllen gehört, 1860 würde "to the top" gehen, ruft er in Anspielung auf den ambitionierten Trainer Vitor Pereira, der 1860 mit seiner Idee von Kurzpassspiel aus der zweiten Liga entfernt hatte. "Vielleicht war damit ja der Giesinger Berg gemeint?" Auf dem Berg bleibt alles friedlich. Vermutlich auch, weil am Vorabend die Ultras der "Münchner Löwen" eine Art Verhaltenskodex veröffentlicht haben. Mit der Rückkehr nach Giesing gehe ein "fast schon nicht mehr für möglich gehaltener Traum in Erfüllung", heißt es darin. Und da ja, das haben die Ultras erkannt, rund um das Grünwalder Stadion "100 000 Einwohner" leben, "die das Wirken, Auftreten und Verhalten von uns Fans mitbekommen werden", stellen die ultrakorrekten Ultras ein paar herrliche Benimmregeln auf: "Wir vermüllen unser Viertel nicht mit Flaschen, Pizzakartons oder Verpackungsmaterial von Fastfood-Imbissen! Wir zerdeppern keine Glasflaschen, kleben keine Aufkleber auf Privateigentum und biesln nicht in Hauseinfahrten oder an Gartenzäune!"

Die erste Niederlage (26. Juli)

Gebieselt wird natürlich trotzdem. Übrigens auch im schönen Buchbach, wohin es die Löwen am dritten Spieltag verschlägt. Dort erfährt die Mannschaft von Daniel Bierofka erstmals die volle Härte der Regionalliga: Nicht einmal Spanferkel, wie sonst üblich am TSV-Sportplatz, gibt es diesmal. Laut Auskunft des Grillmeisters durfte aus Sicherheitsgründen kein Besteck ausgegeben werden, es tue ihm sehr leid. Sechzig verliert erstmals - mit 0:1. Der gegnerische Trainer Anton Bobenstetter, eigentlich eingefleischter Sechzig-Fan, der die Ziffernfolge 1 8 6 0 in seine Handynummer einpflegen ließ, lässt sich mit einer La-Ola feiern. Bierofka ist völlig bedient und verlässt die Pressekonferenz, die im Regen auf dem Platz stattfindet, schnell wie Speedy Gonzales. Nicht wegen des Spiels. "Ich habe Respekt vor den Buchbachern, aber was da an der Kabine los war, kann ich nicht akzeptieren", klagt er. Die Buchbacher Spieler hätten "Giesinger Bauern" gesungen.

Der Scheidungsantrag (23. Juli)

Weniger gesungen, dafür viel gepfiffen wird auf der Mitgliederversammlung, die bei Sechzig traditionell unterhaltsam gerät, diesmal aber besonders. Am Abend, als nur noch Ultras und andere Investorengegner in der Halle weilen und über allerlei Anträge abstimmen, ist die Luft erfüllt vom subtilen Gepfeife der Melodie des bekannten Scheichlieds ("Scheiß auf den Scheich, scheiß auf sein Geld") nach der Vorlage des Schlagers "Ich will Mallorca zurück" von Lorenz Büffel. Der Adressat, Investor Hasan Ismaik, ist nicht in der Halle. Stattdessen treibt er, sozusagen im politischen Untergrund am Bundeskartellamt, seine Beschwerde gegen die von ihm gehasste 50+1-Regel im deutschen Fußball voran - die er a) nicht mag, weil sie die Mitsprache von Investoren auf ein Mindestmaß reduziert und b) blöderweise übersehen oder unterschätzt hatte, als er ausgerechnet einen Fußballklub in Deutschland erwarb. "Eigentlich sollten Fußballvereine wie Wirtschaftsunternehmen geleitet werden, von Profis", findet Ismaik. "Bei 1860 dagegen wird der Verein wie eine Würstchenbude geführt." In der Halle werden Würstchen in der Semmel gereicht, als die Mitglieder mit 346 Ja- und 79 Nein-Stimmen entscheiden, jenen Eskalationsvertrag mit Ismaik aufzukündigen, den seine geistigen Väter irrigerweise mit "Kooperationsvertrag" überschrieben hatten. Dass so eine Scheidung rechtlich nicht einfach umzusetzen ist, dämmert den Vereinsvertretern so richtig erst später. Sie ahnen es aber vorher: Wohlweislich streichen sie am Tag der Abstimmung die Formulierung, der Vertrag sei "unverzüglich" zu kündigen.

Das Geisterspiel (1. August)

Das Spiel gegen den 1. FC Nürnberg II findet zwar im Grünwalder Stadion statt, allerdings nur vor ein paar Klub-Vertretern, Journalisten und den verdienten Allesfahrern Franz Hell, Fritz Fehling und Roman Wöll. Allesfahrer müssen zu allen Spielen fahren, sonst wären sie nicht länger Allesfahrer. Dazu gehören selbstredend auch Geisterspiele. Es ist auch so: Eine Entallesfahrerisierung verdienter Fans will sich der Deutsche Fußball-Bund garantiert nicht nachsagen lassen. Er sanktioniert ja nur die Ausschreitungen beim Relegations-Rückspiel gegen Jahn Regensburg, in dem Sechzig in die dritte Liga abstieg, um dann mangels Lizenz in die vierte durchgereicht zu werden. "Wir sollen uns ruhig verhalten", berichtet Allesfahrer Hell. Das tut er dann auch. Vor dem Eingangstor Richtung Wettersteinplatz stehen 30 Fans, die das Spiel von außen akustisch untermalen. Mit den Zuschauern an den Fenstern der umliegenden Wohnblöcke führen sie im Wechsel TSV-Rufe aus, intonieren das Scheichlied. Und sie singen: "Wir woll'n die Mannschaft seh'n!"

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Die Verletzung (1. September)

Eine der schönsten Geschichten für den Anhang ist freilich die Rückkehr des verlorenen Lehrlings: Der frühere 1860-Nachwuchsspieler Timo Gebhart, der zum Vereinslosen wurde, unterschreibt im Juli einen Vertrag und gibt von Beginn an den Spielmacher. Gegen den FC Ingolstadt II dribbelt er so leichtfüßig durchs Mittelfeld wie vor zehn Jahren in der Fröttmaninger Arena neben seinem heutigen Trainer Bierofka, als ihn die Anhänger als eines der größten Versprechen im deutschen Fußball sahen. Keiner kann Gebhart stoppen. Damals nicht, und auch gegen Ingolstadt nicht. Bis er nach 20 Minuten im Rasen an der Mittellinie hängen bleibt. Gebharts Hinrunde ist nach dem Muskelbündelriss nach neun Spielen vorbei. Der trübe Herbst.

Gebharts Verletzung ist der Auftakt einer trüben Jahreszeit. Die Spiele werden ohne seinen feinen Fuß rumpliger. Zur Oktoberfestzeit gewinnen die Sechziger zwar ihre Partien immer noch irgendwie. Vielleicht weil der Vize Sitzberger nicht nur zamkehrt, sondern sich gegen Fürth II auch viel Mühe beim Fassanstich gibt. Der anschließende Wiesn-Kater bleibt jedoch nicht aus: Niederlage in Augsburg, Niederlage in Burghausen, 1:1 beim kleinen 1860 (!) Rosenheim - und sogar die prestigeträchtigste Partie des Jahres, die gegen die kleinen Bayern, geht verloren. Auf Giesings Höhen bleibt es friedlich.

Das Angebot (November)

Der Münchner Unternehmer Gerhard Mey trifft Investor Ismaik in einem feinen Spa im Mittelmeerraum. Er macht ihm ein Angebot, das man eigentlich nicht ablehnen kann: Er bietet viel zu viel Geld für einen Viertligisten. Ismaik, der einst viel zu viel zahlte für einen Zweitligisten, kontert die Offerte subtil mit einem dürren Essen. Es gibt Apfel, sehr fein geschnitten, dazu eine Misosuppe. Und Rote-Rüben-Saft. Ismaik gibt zu verstehen, dass er 1860 gar nicht verkauft - und wenn doch, das sagt er Mey, möchte er noch viel mehr Geld für 1860 haben als viel zu viel. Hungrig, aber ohne Ergebnis gehen reiche Männer auseinander.

Scheidung verschoben (18. Dezember)

Kurz vor Weihnachten ist klar: Der Kooperations- und Eskalationsvertrag zwischen 1860 und Ismaik wird nicht gekündigt. Zu gefährlich. Zu ungewiss der Ausgang eines möglichen Rechtsstreits. 1860 hat sieben Punkte Vorsprung auf Nürnberg II. Dürfte reichen. Auch zu Weihnachten bleibt es auf Giesings Höhen ungewohnt friedlich.

© SZ vom 23.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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