Radsport:Schnell, schneller, Tour

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Das Peloton der diesjährigen Tour de France rollt auch schnell dahin, wenn es nicht den dunklen Regenwolken entkommen muss. (Foto: Benoit Tessier/Reuters)

Viele Radprofis empfinden die aktuelle Frankreich-Rundfahrt als besonders fordernd. Das hat etwas mit der Streckenplanung zu tun - aber kurioserweise auch mit der Dominanz von Tadej Pogacar.

Von Johannes Aumüller, Quillan

Der deutsche Sprinter André Greipel ist 38 Jahre alt, er fährt gerade seine elfte Tour de France. Nach dem ersten Wochenende sagte er: "So einen Tag wie nach Tignes habe ich noch nie gehabt."

Philipp Gilbert, 39, ein Belgier, der bei vielen schweren Eintagesklassikern reüssierte und ebenfalls zum elften Mal die Tour bestreitet, twitterte vorige Woche: "Ich kann mich nicht erinnern, ein Feld gesehen zu haben, das so schnell fährt." Es gab viele Herzchen, unter anderem von Christopher Froome, seines Zeichens viermaliger Sieger der Tour de France.

Und der 36-jährige Sprintroutinier Mark Cavendish, der in diesem Jahr schon vier Etappen gewann, mit seinem Triumph in Carcassone am Freitag die Rekordmarke des Belgiers Eddy Merckx (34 Tagessiege) einstellte und bei den flachen Ankünften in Libourne und Paris gegen Ende der Tour zum alleinigen Rekordkalter aufrücken könnte, sagte zur Mitte der für ihn 13. Frankreich-Schleife: "Das ist eine der härtesten."

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Die Tour 2021, sie scheint den Fahrern besonders viel abzuverlangen. Dabei hat es rein auf dem Papier schon schwerere Frankreich-Rundfahrten gegeben als die diesjährige: Die Zahl der Bergankünfte ist vergleichsweise gering (drei), die Zahl der als flach ausgeflaggten Abschnitte höher als in den vergangenen Jahren (acht). Aber das Profil ist halt nicht alles.

Die Tour-Organisatoren bauen sehr viele wellige Verläufe und Gemeinheiten kurz vor dem Ziel ein

Der Verlauf des Samstags stand exemplarisch dafür. Es war ein Abschnitt, für den in früheren Jahren mal das Etikett "Überführungsetappe" ausgedacht worden ist. Aus der Fläche von Carcassonne ging es langsam hinein in die Ausläufer der Pyrenäen, 183,5 Kilometer. Aber von "Überführungsetappe" konnte kaum die Rede sein. Mehr als die Hälfte der Strecke und mehr als zwei Stunden lang attackierte das halbe Feld munter durch, bis einmal die obligatorische Ausreißergruppe stand - aus der sich später Bauke Mollema (Niederlande) absetzte und zum Tagessieg fuhr.

Im Feld der Klassementfahrer gab es zwar keine Attacken mehr, aber so richtig durchschnaufen konnten der Gelb-Träger Tadej Pogacar, sein UAE-Team sowie die Mannschaften der anderen Podiumsanwärter nicht, weil sich unter den Ausreißern auch der Franzose Guillaume Martin befand, der mit diesem Ritt immerhin auf Platz zwei der Gesamtwertung fuhr - 4:04 Minuten hinter Pogacar.

Entsprechend intensiv war es, und so intensiv wie der Samstag vergehen nahezu alle Tage bei der Rundfahrt. "Jeder wird müde", sagte Pogacar in Quillan, "aber vielleicht denke ich das auch nur, weil ich ein bisschen müde bin."

Natürlich waren bei der Tour schon immer alle Etappen umkämpft. Aber in früheren Jahren gab es mehr Tage, an denen es insgesamt gedrosselter zuging. Und es ist natürlich bemerkenswert, dass das Peloton als Ganzes das Rennen schneller und härter gestaltet als in jener schmutzigen Zeit, die der Radsport gerne als überwunden darstellt.

Aber dafür kommen nun verschiedene Gründe zusammen, und ganz wesentlich gehört dazu die Streckengestaltung. Schon seit Jahren feilen die Organisatoren an Modellen, die für mehr Abwechslung sorgen sollen. So mag in diesem Jahr zwar die Zahl der Bergankünfte und der ganz hohen Berge geringer sein, aber dafür bauen die Organisatoren sehr viele wellige Verläufe und Gemeinheiten kurz vor dem Ziel ein. Zugleich nutzen die Teams der Klassementfahrer inzwischen auch viele Möglichkeiten für Attacken, nicht nur die hohen Berge.

Ausgerechnet die Dominanz von Tadej Pogacar vitalisiert die Etappen

Ein weiterer Baustein ist die Entwicklung im Fahrerfeld. Die Leistungsdichte an der Spitze ist über die Jahre noch enger geworden, und gerade bei der Tour wollen sich alle in Szene setzen. In nicht wenigen Fällen entscheiden die Leistungen beim Jahreshöhepunkt darüber, wo und wie künftig Verträge möglich sind. Es sind auch die Zeiten vorbei, in denen Patrone wie weiland Lance Armstrong teamübergreifend das Feld nach ihrem Geschmack steuern konnten.

Drückte im richtigen Moment aufs Tempo: Tadej Pogacar (li.) ist den anderen Klassementfahrern früh enteilt. (Foto: Pool/dpa)

Aber dazu kommt auch die konkrete Rennentwicklung in diesem Jahr. Die ersten Tage in der Bretagne waren schon intensiv, und danach vitalisierte - so kurios es klingt - ausgerechnet die Dominanz von Tadej Pogacar die Etappen. Denn im Prinzip war das Gesamtklassement für viele Mannschaften früh gelaufen. Diverse Kapitäne wie Primoz Roglic verloren früh viel Zeit, hinter Pogacar kämpfen noch sechs, sieben Fahrer ums Podium - entsprechend viele Fahrer können sich auf Etappensiege und Attacken konzentrieren.

Man sei in den vergangenen Tagen "Juniorrennen" gefahren, sagte Rolf Aldag, inzwischen als Sportlicher Leiter fürs Team Bahrain tätig, unter der Woche. "Erstmal attackieren, bis nichts mehr geht, und dann sind wir in der Gruppe, und dann schauen wir mal. Und jeder fährt so." Aldag ist der Meinung, dass man das nicht 21 Tage lang so machen könne. Man müsse ein bisschen seine Ressourcen managen.

Wie viel Energie noch im Feld ist, wurde der Gesamterste Pogacar in Quillan gefragt. "Ich glaube nicht mehr viel", sagte der Slowene - bis zur nächsten wilden Etappeneröffnung am Sonntag dann, wenn beim Abschnitt von Ceret nach Andorra-la-Vieille die erste schwere Pyrenäen-Etappe ansteht.

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