Pogacar bei der Tour de France:Auf einmal besondere Kräfte

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Braucht einer mit so gut genutzten Mitochondrien überhaupt die Anfeuerung? Tadej Pogacar nährt bei der Tour de France die Zweifel an seinen Leistungen. (Foto: Jan De Meuleneir/Panoramic Internati/imago)

Die wundersamen Leistungen und die zwielichtige Vergangenheit der Teamleitung schüren die Zweifel an Tour-Dominator Tadej Pogacar - der bleibt aber entspannt.

Von Johannes Aumüller, Tignes

Offiziell bedauern die Vertreter des Pelotons zumeist die Abgeschlossenheit, in der sie sich während der Tour de France wegen Corona leider bewegen müssen. Aber manchmal hat dies doch seine Vorzüge, wie Tadej Pogacar nach seinem irrsinnigen Wochenende in den Alpen mittlerweile bemerkt hat.

Als der Brite Christopher Froome 2013 am Ruhetag nach einer unwirklichen Schnellklettereinlage zur Pressekonferenz seines Teams Sky (heute Ineos) im Städtchen Orange erschien, war der Saal bestens gefüllt, und die Veranstaltung setzte ihm fast mehr zu als die Herausforderungen auf der Rennstrecke. Nach etwas mehr als einer Viertelstunde fand Froome die Fragen zu den Zweifeln an seiner Leistung so nervend, dass er abrupt den Raum verließ.

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Nun hat Pogacar, 22, auf den beiden Bergetappen am Samstag und am Sonntag das Peloton noch viel stärker zerlegt als damals Froome und seinerseits die Konkurrenz verblüfft. "Es war, als würden wir nicht existieren", sagte der spanische Profi Enric Mas. Ein Verhör musste Pogacar am montäglichen Ruhetag in Tignes allerdings nicht befürchten. In Corona-Zeiten war die Pressekonferenz wie überall nur virtuell anberaumt und der Programmablauf durch die Verantwortlichen von Pogacars UAE-Team steuerbar; obendrein sollten laut Einladung bitte alle Fragen vorab an den Teamsprecher gesandt werden.

So saß also Pogacar recht entspannt vor einer Kamera, sechs, sieben handverlesene Fragen beantwortete er in Englisch, dann ging es in seiner Heimatsprache weiter. Gänzlich kam er freilich nicht umhin, auch etwas zu den Zweiflern zu sagen. "Ich denke, wir haben genug Kontrollen, um den Leuten zu zeigen, dass ihre Zweifel falsch sind", sagte er also: Er sei allein am Sonntag dreimal kontrolliert worden, zweimal vor dem Rennen, einmal danach. Als hätte sich nicht schon hundertfach gezeigt, dass die Zahl der Kontrollen ziemlich wenig aussagt.

In Pogacars Equipe wirken diverse schlecht beleumundete Führungskräfte

Es war ein bezeichnender Umgang. Die UAE-Equipe, die aus dem Team Lampre hervorging und seit vier Jahren dank vieler Millionen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten zu den schlagkräftigsten Rennställen im Peloton gehört, umschwirren viele Fragen zu diesem Thema. Die beruhen nicht nur auf Pogacars wundersamen Leistungen, die ihm im Vorjahr mit einem fulminanten Bergzeitfahren am vorletzten Tag den Tour-Sieg einbrachten und bei der diesjährigen Auflage alleine in der ersten Woche einen Vorsprung von mindestens fünfeinhalb Minuten auf die anderen Podiumsanwärter bescherten. Zweifel entstehen auch dadurch, dass in der Equipe gleich diverse schlecht beleumundete Führungskräfte wirken.

Das betrifft allen voran den Teammanager Mauro Gianetti, der in den Nullerjahren den skandalumtosten Rennstall Saunier Duval leitete; 2008 beendete das Team nach einem Positivfall nicht die Tour. Rundfahrt-Boss Christian Prudhomme tat kund, der Schweizer sei ein "Mann von schlechtem Ruf", mit dem er auch die nächsten Jahre nichts mehr zu tun haben wolle. An Gianettis Seite arbeitet Matxin Joxean Fernandez, der ihn schon zu Saunier-Zeiten begleitete. Als Berater fungiert Giuseppe Saronni, der ebenfalls schon länger zu den zwielichtigen Gestalten zählt, und als Sportlicher Leiter kommt Pogacars slowenischer Landsmann Andrej Hauptman zum Einsatz, der zu aktiven Zeiten mal wegen erhöhter Blutwerte nicht an der Tour teilnehmen durfte.

Unlauteres Tun bestreitet UAE natürlich strikt. Stattdessen wird von Pogacars Verteidigern auf eine besondere trainingswissenschaftliche Expertise verwiesen, ein klassischer Dreh. Die Mediziner des Teams sprechen dieser Tage zum Beispiel gerne über die bessere Ausnutzung von Mitochondrien - jenem Teil der Körperzellen, der für die Produktion der Energie zuständig ist. Experten wie der Mainzer Sportwissenschaftlicher Perikles Simon amüsieren sich darüber prächtig. Für sie ist das kalter Kaffee und schon seit 100 Jahren bekanntes Basiswissen, das jeder Amateur-Radfahrer in der Trainingssteuerung nutzt - und jedenfalls nicht geeignet ist, irgendwelche Wunderleistungen zu erklären. Da erscheint es womöglich doch angemessener, ungewöhnliche Leistungen mit der Verwendung einer anderen Matratzenhärte beim Erholungsschlaf oder faserlosem Hähnchenfleisch zu erklären, wie das vor ein paar Jahren im Peloton mal en vogue war.

Die Zweifel dürften Pogacar nun jedenfalls begleiten auf seinem weiteren Weg bis Paris. Das Gelbe Trikot verliert er trotz noch vier schwerer Bergetappen wohl nur, wenn er sich nach zu viel dickfaserigem Hähnchenfleisch zum falschen Zeitpunkt einen zu langen Erholungsschlaf leistet - oder wenn er stürzt. Am Berg dominierte er, im Einzelzeitfahren auch; und seine Teambosse dürften aufpassen, dass der gemeinhin angriffslustige Pogacar irgendwann in einen Kontrollmodus schaltet und es nicht übertreibt mit den Attacken. Zudem scheint sein Team stärker zu sein als im Vorjahr, als er Primoz Roglic noch abfing. Die Qualität von Ineos oder Jumbo-Visma in den Vorjahren mag es nicht haben. Aber zu den klassischen Tour-Rätseln gehört ja auch - nicht nur bei UAE -, dass die Fahrer aus dem Team des Maillot-Jaune-Trägers auf einmal oft besondere Kräfte entwickeln.

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