Tour de France:Ein unheimliches Solo

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Fährt nun im Gelben Trikot, vielleicht bis zum Schluss: Tadej Pogacar. Doch er wiegelt ab: "Ich habe die Tour nicht gekillt. Es ist noch ein weiter Weg." (Foto: Stephane Mahe/Reuters)

Mit einer unwirklich erscheinenden 30-Kilometer-Attacke sichert sich Vorjahressieger Tadej Pogačar auf der ersten Bergetappe das Gelbe Trikot - der Tour droht nun die große Langeweile.

Von Johannes Aumüller, Le Grand-Bornand

Die letzten drei, vier Tritte ließ Tadej Pogačar aus, und kurz nach der Überquerung der Ziellinie ballte er die Faust und schlug sie sich an die Brust. Dann gönnte er sich erst einmal einen Schluck Limo und setzte sich zum Ausrollen nochmal aufs Rad. Und fast schon entspannt konnte er mitverfolgen, wie mit gehörigem Abstand all die anderen Klassementfahrer ins Ziel kamen, ehe er im Gelben Trikot aufs Podium für die Tageszeremonien stieg.

Dass der Vorjahressieger Pogačar, gerade mal 22 Jahre jung, bei dieser Tour einmal ins Spitzentrikot fahren würde, war nun wirklich erwartbar gewesen. Dass er es schon auf der achten Etappe tat, und vor allem, auf welche Art und Weise er es tat, das aber erzeugte großes Staunen.

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Es war ein Solo, wie es sie in der jüngeren Vergangenheit bei der Tour nicht oft gegeben hat. Schon am vorletzten Berg, an der Auffahrt zum Col de Romme, schickte Pogačar seinen Teamkollegen David Formolo zur Tempoverschärfung vor, und als der so platt war, dass er fast vom Rad zu fallen schien, ging der Slowene 30 Kilometer vor dem Ziel in die Attacke und fuhr allen Klassementfahrern mit einem unwirklich erscheinenden Tempo davon.

Bei dieser Tour ist jetzt eine bemerkenswerte Konstellation eingetreten

Einen Fahrer nach dem anderen aus der versprengten Ausreißergruppe holte er ein, als spiele er eines dieser Jump & Run-Spiele am Computer, wo die Hauptfigur so viele Münzen wie möglich einsammeln muss. Mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 20,8 km/h fuhr Pogačar den finalen Anstieg zum Col de la Colombière hinauf. Auf 6,3 Watt/Kilo taxierten die Diagnostiker seine Leistungswerte am Col de Romme (8,7 Kilometer lang, durchschnittlich 9,4 Prozent steil) - das sind Dimensionen, die eigentlich als übernatürlich gelten. Nur einen einzigen Fahrer, den späteren Tagessieger Dylan Teuns aus Belgien, schaffte er nicht mehr - und den Berg hinunter ins Ziel von Le Grand-Bornand ließ er es auf der glitschigen Straße sogar noch etwas ruhiger angehen. "Jeder ist gestern gegen uns gefahren. Deshalb bin ich All in gegangen, um Zeit zu gewinnen. Angriff ist die beste Verteidigung", sagte Pogačar.

Damit ist bei dieser Tour eine bemerkenswerte Konstellation eingetreten. Noch sind fast 2000 Kilometer zu bestreiten, noch stehen drei Bergankünfte in den Alpen und den Pyrenäen an, ist der mythische Mont Ventoux an einem Tag gleich zweimal zu bewältigen und warten auf der Strecke noch manche andere Gemeinheiten - und dennoch erscheint es kaum vorstellbar, wie es einen anderen Sieger geben soll als diesen Tadej Pogačar, wenn er nicht stürzt oder erkrankt.

Zumindest kurz konnte der Ecuadorianer Richard Carapaz (links) die Attacke von Tadej Pogacar mitgehen. (Foto: Thomas Samson/AFP)

Zwei der großen Herausforderer, der Brite Geraint Thomas, der die Tour 2018 gewann, und der Vorjahresweite Primoz Roglic sind noch immer gezeichnet von Stürzen in der ersten Woche und kamen am Samstag sogar im Gruppetto der Sprinter und Wasserträger an - 35 Minuten nach dem Tagessieger. Die meisten Podiumsanwärter ließen den Antritt Pogačars geschehen, als könnte man dagegen eh so wenig machen wie gegen einen Kometeneinschlag; sie fuhren lieber ihren Rhythmus weiter. Der Einzige, der die Attacke kurz mitgehen konnte, war der Ecuadorianer Richard Carapaz (Ineos), aber der war dann 400 Meter beim zweiten Antritt weg - und liegt in der Gesamtwertung schon zirka fünf Minuten zurück. Wenn die Anzeichen nicht trügen, könnte es bei dieser Tour einen schönen Kampf um die Plätze zwei und drei geben - aber ganz vorne, da dürfte es halt langweilig werden.

Am Sonntag steht die erste Bergankunft an

Pogačar selbst wiegelte ab. "Ich habe die Tour nicht gekillt. Es ist noch ein weiter Weg", sagte er. In der Tat ist bei der diesjährigen Tour auffällig, dass es durchgehend wild und attackenreich zugeht. Auch am Samstag legten die Fahrer zwei irre schnelle und ermüdende Rennstunden hin, bis mal eine stabile Situation stand. Und doch fragt sich, wer Pogačar stoppen soll, solange er gesund bleibt. Schwächen scheint der Slowene keine zu haben: Im Einzelzeitfahren am Mittwoch ragte er heraus, in den wilden Rennphasen ist er immer aufmerksam, und am Berg kann solche Werte wie er kein anderer treten. Zudem hat er eine Mannschaft um sich, die offenkundiger stärker ist als im vergangenen Jahr. Es gehört ja zu den Mysterien der Tour, dass die Mannschaft des Gelb-Trägers oft erstaunliche Kräfte zu präsentieren vermag.

Gleichwohl wird sie es dies nun beweisen müssen, und das gleich an diesem Sonntag. Da stehen fünf Bergwertungen auf dem Programm - und mit dem finalen, 21 Kilometer langen Schlussanstieg zum Stausee die erste Bergankunft.

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