Tennisturnier in Wimbledon:Der alte McEnroe ist der Jüngste

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Neuer Rasencoach von Milos Raonic: der frühere Weltranglistenerste John McEnroe (Foto: Getty Images)

Sieben von zehn Top-Ten-Spielern werden in Wimbledon von einem ehemaligen Weltklasse-Profi trainiert. Vor allem McEnroe und Lendl mögen sich nicht.

Von Gerald Kleffmann, Wimbledon

Von hinten sieht der Mann aus wie ein Teenager, der auf lässig macht. Seine Chucks schlurfen über den Boden, der Jogginghosenschritt sitzt auf Kniehöhe, das Logo der New York Mets blitzt von der Kappe. Von vorne sieht der Mann aus wie ein Mitglied der Rolling Stones, das all das mitgemacht hat, was Keith Richards auf dem Kerbholz hat. "John McEnroe darf so auftreten", sagt Jan de Witt später grinsend, der natürlich zur Kenntnis nimmt, was im Tennis, in Wimbledon, bei den Männern passiert.

Die 130. Championships wurden von den britischen Medien zum "Turnier der Super-Coaches" erkoren. De Witt, ein so gut wie unbekannter, aber extrem fachkundiger Trainer, der den Franzosen Gilles Simon und die Deutsche Andrea Petkovic betreut, bringt die Perspektive auf den Punkt: "Das wird sehr interessant."

Allein die Auslosung: Im Viertelfinale könnte Boris Becker auf John McEnroe treffen. Im Halbfinale könnten sich Ivan Lendl und Richard Krajicek duellieren. Im Finale könnte Lendl dann McEnroe oder Becker herausfordern. Ein Clash der Altvorderen. Es gäbe zig weitere Varianten. Von den ersten zehn gesetzten Spielern haben acht einen prominenten Trainer; Kei Nishikori etwa wird von Michael Chang betreut, Marin Cilic von Goran Ivanisevic; noch nie gab es diese Ballung, noch nie ein Turnier mit Lendl, McEnroe und Becker gemeinsam im Einsatz als Trainer.

"Fürs Tennis ist das großartig", findet neidlos Günter Bresnik, der auch ein Super-Trainer ist - vom österreichischen Aufsteiger Dominic Thiem -, aber nie ein Super-Spieler war. Zum Vergleich; Lendl: acht Grand-Slam-Titel. McEnroe: sieben. Becker: sechs. Alle waren Weltranglisten-Erste, wurden geliebt und gehasst und probierten nach der Karriere viele Wege aus. Lendl spielte Golf und wäre fast Profi geworden. McEnroe ließ sich scheiden, kommentiert im Fernsehen. Becker versuchte sich als Unternehmer, schlug privat wie beruflich Haken. Bis er wieder zurückfand zum Tennis, als aktiver Part.

In Wimbledon begegnen sie sich wieder. Durch die Spieler. Hund sucht passendes Herrchen, das ist das Muster bei der Trainerfindung. Die Recken haben sich Spieler ausgesucht, in denen sie sich erkennen. Roger Federer mag den intelligenten Ivan Ljubicic, der ihn nicht belehrt. Andy Murray himmelt Lendl an. Novak Djokovic hat wie Becker Widerstände zu überwinden gehabt. Richard Krajicek war wie Stan Wawrinka stets ganz knapp hinter der Spitze.

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Am Sonntag konnten die in Zweierreihen postierten Fotografen im Trainingsareal der Anlage mit nur einem Schwenk ein Spektakel einfangen: Auf Court 16 Lendl mit Murray. Auf 4 Federer mit Ex-Profi Ljubicic aus Kroatien. Auf Platz 5 McEnroe und Carlos Moya; der Spanier, der 1988 die French Open gewann, ist seit ein paar Monaten im Trainerteam von Raonic. Durch die Gänge schlenderte der Niederländer Krajicek, der 1996 hier gewann und für die Grassaison den zweimaligen Schweizer Grand-Slam-Sieger Wawrinka berät.

"Wir verstehen diesen Sport besser als die meisten"

Nur Djokovic mit Becker an der Seite hatte eine andere Zeit gebucht. Der dreimalige Wimbledon-Champion Becker, der den Serben von sechs zu zwölf Grand-Slam-Triumphen führte, hatte zuvor verraten, wie er die "zweite Welle der Super-Coaches", wie es auf der ansonsten dezenten Wimbledon-Homepage heißt, findet: "Seien wir ehrlich: Wir alle verstehen diesen Sport wahrscheinlich besser als die meisten."

Das Interessante, von dem Jan de Witt spricht, findet auf zwei Ebenen statt. Einerseits geht es um das Trainer-Spieler-Verhältnis auf Spitzenniveau, darum, wie sehr Lendl, McEnroe, Becker Einfluss nehmen. "Es geht um zwei, drei Gedankengänge, die nur sie als Champions vermitteln können", weiß Carsten Arriens; der frühere Davis-Cup-Teamchef betreut Jan-Lennard Struff. Tatsächlich ist die größte Gemeinsamkeit: McEnroe, Lendl, Becker sind keine normalen Trainer. Die Vorhand bringen sie keinem bei. Lendl gibt zu: "Ich mache nichts Technisches, null."

Es geht darum, das strategisch-taktische Mastermind-Wissen weiterzugeben. Becker hat Djokovic mit komplexen Ideen zum Thema Punkte-Aufbau in neue Sphären geführt. Auch McEnroe, der wohl intuitivste Spieler jemals, will sich nur speziell einbringen. "Wir sprechen meist über das Positionsspiel beim Volley", verriet Raonic. Der 25-Jährige, blitzgescheit, aber etwas phlegmatisch, ist beeindruckt vom neuen Inspirator: "Er ist der energiegeladenste 57-Jährige, den ich kenne." Er macht aber klar: "Ich bin der CEO von Milos Raonic Tennis."

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McEnroe wird er trotzdem nicht immer unter Kontrolle haben. Der gab in seiner TV-Show während der French Open, in der er herrlich zynische Witze riss, Gitarre spielend und in Lyrikform seinen neuen Trainerjob bekannt. Begründung: "Ich dachte, das ist mal was anderes. Ich bin ja nicht so in den Sozialen Medien." Er klang wie ein Fossil, das die Gegenwart kitzeln will.

Kürzlich, im Finale von Queen's, gab es ein erstes Treffen, Murray besiegte Raonic im Finale. Der New Yorker McEnroe schritt in die Umkleide, sagte: "Gut gemacht", Lendl sagte: "Danke", das war's angeblich. Ihre 36 Schlachten haben Spuren hinterlassen. Und genau das wird die zweite Ebene sein: McEnroe, Lendl, Becker freuen sich sichtlich darauf, den anderen auszucoachen. Die alten Rivalitäten sind nicht weg.

Alle gegen Becker und Djokovic

McEnroe nennt Lendl lustvoll "my old rival". Becker gab sich überrascht über Lendls Rückkehr zu Murray, der erwiderte: "Es ist mir egal, was andere denken." Lendl, der Murray bei der ersten Zusammenarbeit zu zwei Grand-Slam-Titeln führte, schickte hinterher: "Andy und ich würden gerne seine Pläne ruinieren." Djokovic könnte ja den Golden Slam schaffen, alle vier Grand Slams plus Olympia-Gold gewinnen. Er ist der Favorit. Im Gegensatz zu Becker, der, würden die Super-Coaches selbst gegeneinander spielen, nur Außenseiter wäre. Die Hüfte. "Goran Ivanisevic würde gewinnen", legte sich Krajicek fest.

© SZ vom 28.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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