Wimbledon:Wie Liebe eine Tenniskarriere rettete

Lesezeit: 3 Min.

Marcus Willis: Hatte schon fast Abschied genommen vom Tennis (Foto: Getty Images)
  • Marcus Willis war ein entmutigter englischer Tennisprofi und kurz davor, in den USA ein neues Leben zu beginnen.
  • Dann traf der Brite eine Zahnärztin. Nun startet er in Wimbledon.
  • Alle Begegnungen und Ergebnisse aus Wimbledon finden Sie hier.

Von Gerald Kleffmann, Wimbledon

Die kleine Erfolgsgeschichte, die schon vor dem Start dieser 130. Championships in Wimbledon die Briten verzückt, begann damit, dass Marcus Willis beschimpft wurde. "Ich war schon bereit, in die USA zu ziehen", erzählte der 25-Jährige dieser Tage oft. Willis hatte einen Job als Tennistrainer in Philadelphia angeboten bekommen, er wollte ihn annehmen. "Dann aber traf ich ein Mädchen, sie sagte, ich bin ein Idiot - und ich soll doch jetzt einfach weitermachen."

Eine Liebesgeschichte mit einer Zahnärztin rettet die Karriere eines entmutigten englischen Profis, das ist jetzt in Wimbledon natürlich ein großes Thema, das die Briten lieben. Diese Mischung aus Verlierertyp, der zum Winner wird. Der zunächst leidet, um dann zu jubeln. So wie Liam Broady, der im letzten Jahr die große Außenseiter-Story war, weil er einst in Autos schlief und seit Jahren nicht mehr mit seinem Vater sprach.

Marcus Willis aus Slough ist dieses Mal das erste One-Hit-Wonder dieses Turniers. Er hat noch nie eine erste Runde bei einem Grand-Slam-Event gespielt. Er hat noch nie überhaupt eine erste Runde auf Tour-Niveau gespielt. Sein größter Erfolg war einmal ein Viertelfinale bei einem Challenger in Knoxville, Tennessee. Und der zweite Platz beim Jugendturnier in Queens. "Ich war ein fetter Junge", sagte Willis nun auch über sich. Er wurde als "Eric Cartman" gehänselt, das ist eine stämmige Figur in der Zeichentrickserie South Park.

"Er ist ein sehr unkonventioneller Spieler"

Fast wäre Willis am Ende schwach geworden und hätte seine Karriere aufgegeben. Zu viele Widerstände, zu wenig Erfolge, zu hohe Kosten. In diesem Jahr verdiente er bei seinem einzigen Turnierstart 356 Dollar. Das war in Tunesien, bei einem Turnier, das ganz unten ist vom Profilevel her. Jetzt füllt er die britischen Blätter. Nur ein einziger Spieler in der Weltrangliste ist schlechter platziert als er, der Franzose Albano Olivetti schaffte es als Nummer 791, sich in Roehampton zu qualifizieren. Willis war 775., ehe er sein Glück versuchte. Aber sein Qualifikationsversuch begann sogar etwas früher.

Als 23. der britischen Rangliste erhielt er als Letzter noch eine Wildcard, um sich in einem britischen Ausscheidungsturnier für die Wimbledon-Qualifikation zu qualifizieren. Willis gewann drei Matches und hatte die erste Überraschung geschafft. Dann kam Roehampton: Willis besiegte den Japaner Yuichi Sugita, die Nummer 99 der Welt. Noch nie hatte er, der Linkshänder, der viel mit der Rückhand sliced und oft ans Netz geht, einen Top100-Spieler bezwungen. Er besiegte auch den jungen Russen Andrej Rublev, der als Riesentalent gilt, und er besiegte dessen Landsmann Daniil Medwedew - Wimbledon, Main Draw war die Belohnung. "Eine wirklich coole Geschichte", sagte zu allem Andy Murray, der Weltranglisten-Zweite aus Schottland und Wimbledonsieger von 2013. "Er ist ein sehr unkonventioneller Spieler." Das war als Lob gemeint.

Schuld an diesem Erfolg ist die Zahnärztin Jennifer Bate. So sehen das die Hauptdarsteller selbst.

Bate ist Mutter zweier Kinder, sie war mit ihrem Cousin im Februar ausgegangen, sie hatten beide unglückliche Liebesgeschichten zu verarbeiten. Da traf Bate Willis, der kurz vor der Abreise war. Bate hat natürlich auch schon einiges in der britischen Presse erzählt, und so sagte sie, es sei sofort "Liebe auf den ersten Blick" gewesen, ihrer Mutter erzählte sie, sie habe "the one" getroffen, den Richtigen.

Bate redete auf Willis ein, er könne doch nicht einfach in die USA ziehen, jetzt, da sie sich ineinander verliebt hatten. Und sie sagte ihm auch, er könne nicht einfach aufgeben in seinem Beruf, er solle noch einmal alles versuchen. Wäre er einmal raus, gäbe es kein Zurück mehr. Willis nahm sich das zu Herzen.

Noch 2014 hatte er über eine Crowdfunding-Aktion versucht, Geld einzutreiben. In seiner Karriere hat er bislang 69500 Pfund verdient. Er hat sich auch in Frankreich und in Deutschland (beim MSC Köln) in Tennisligen etwas dazu verdient. Nun hat er 30000 Pfund sicher. "Es ist mit Sicherheit der größte Zahltag, den ich hatte", sagte er und merkte mit britischem Humor: "Ich kann jetzt einige Rechnungen begleichen."

Ricardas Berankis ist nun sein Gegner, der Litauer ist die Nummer 53 der Welt, ein kleiner, drahtiger Kämpfer, ein unbequemer Wühler. Eigentlich kann Willis nicht gewinnen. Berankis wird vom deutschen Ex-Profi Rainer Schüttler betreut. Sollte es für Willis doch klappen, könnte seine Geschichte noch aufregender werden. Roger Federer wäre dann wohl sein Gegner, der vielleicht größte Spieler der Tennisgeschichte gegen einen, der auswandern wollte, sich verliebte und als Nummer 775 der Welt ein kleines Wunder schaffte. Ein Match auf dem Center Court wäre dann möglich, ja wahrscheinlich. Seine große Liebe Bate jedenfalls ist sich sicher: "Es steckt noch viel mehr in ihm."

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Wimbledon
:Vom Wüstenbussard, der Queen und einem schwarzen BH

Wimbledon ist wie die Oscarverleihung, gepaart mit den Grammy Awards und dem Nobelpreis - nur etwas spektakulärer. Ein Wegweiser durch das speziellste Tennisturnier der Welt.

Von Gerald Kleffmann

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: