Tennis:Immer Ärger mit Kyrgios

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Schnell reizbar: Nick Kyrgios ließ im Viertelfinale von Indian Wells gegen Rafael Nadal alle Wut an seinem Schläger aus. Später meinte er: "Dinge wie diese passieren." (Foto: Mark J. Terrill/dpa)

Beim Masters-Turnier in Indian Wells liefert der Australier dem Spanier Rafael Nadal einen großen Kampf, doch am Ende dreht sich alles um einen Wutausbruch. Will er sein Bad-Boy-Image zurück?

Von Gerald Kleffmann, Indian Wells/München

Das Fernsehen zeigte diesen Wurf nicht, diesmal schwenkte die Kamera just in dem Moment weg und hin zu Rafael Nadal, der in die Platzmitte schritt und sich feiern ließ für seinen umkämpften Sieg. Mit 7:6 (0), 5:7, 6:4 hatte er Nick Kyrgios bezwungen, dieser Viertelfinalerfolg beim Masters-Turnier in Indian Wells ist nun schon sein 19. in Serie in diesem Jahr. Kyrgios hatte dem Spanier am Netz auch noch kurz respektvoll gratuliert, aber nun, da die Zuschauer laut applaudierten, war er mit einer anderen Aufgabe beschäftigt. Kyrgios musste seine Wut ablassen.

Und so hat jetzt die Männer-Tennistour den nächsten Vorfall zu verarbeiten, kaum dass der Ausraster von Alexander Zverev in Acapulco verdaut ist. Der Deutsche hatte Ende Februar nach einem verlorenen Doppel mehrmals mit dem Schläger den Schiedsrichterstuhl attackiert, auf dem der Unparteiische noch gesessen hatte. Damals war das Fernsehen live dabei. Zverev erhielt inzwischen eine hohe Geldstrafe und spielt auf Bewährung für ein Jahr, ansonsten droht ihm eine achtwöchige Sperre.

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Wie das heute so ist, dauerte es nicht lange, und auf Twitter tauchte nach dem Match von Kyrgios eine kurze Videosequenz auf, in der aus der Vogelperspektive der Ausbruch von Kyrgios zu sehen war. Mit ganzer Kraft hatte der 26-Jährige sein Raquet auf den Hartplatzbelag gedroschen, der Rahmen flog, bedingt durch einen Trampolin-Effekt, sofort unkontrolliert nach vorne und zischte in Richtung des an der Grundlinie stehenden Balljungen. Dieser konnte, und war das Glückliche in diesem Augenblick, gerade noch ausweichen. Ansonsten wäre er von dem zertrümmerten Schläger getroffen worden. In diesem Fall hätte die ATP, die die Profitour organisiert und verantwortet, sicherlich über eine andere Sanktion nachdenken müssen als über die Höhe einer Geldstrafe, die wohl folgen dürfte.

"Es war ganz bestimmt nicht wie bei Zverev", sagt Kyrgios

Kyrgios selbst spielte seine Aktion herunter und meinte später in der Pressekonferenz, er sei eben "menschlich, Dinge wie diese passieren". Es sei ja nicht seine Absicht gewesen, den Jungen in Gefahr zu bringen, der Schläger sei "unglücklich abgesprungen". Zudem behauptete Kyrgios, der Junge sei drei Meter entfernt gewesen, und bei der Gelegenheit ging er dann gegenüber dem Reporter verbal auf Angriff über und sprach: "Mit dieser Frage kommst du nach einer dreistündigen Schlacht gegen Nadal?" Den Einwurf, dass das Ballkind sich wegduckte, erwiderte Kyrgios in der ihm eigenen Art so: "Er duckte sich, er duckte sich, er duckte sich", insgesamt fünfmal sagte er das. "Jesus. Alles klar", ergänzte er zynisch und betonte: "Es war ganz bestimmt nicht wie bei Zverev." Da zumindest hatte er recht.

Ein vertrautes Bild: Nick Kyrgios und ein Schläger mit kaputtem Rahmen. (Foto: Antoine Couvercelle/PanoramiC/Imago)

Betrachtete man die neuesten Vorfälle wohlwollend, ließ sich konstatieren, dass es in Summe wieder ein typischer Kyrgios-Auftritt war. Spielerisch hatte er phasenweise gezeigt, dass er jeden Spieler der Welt besiegen kann. Sein Tennis kann spektakulär sein, wie er im ersten Satz über weite Strecken und auch im zweiten Satz bewies. 13. der Weltrangliste war Kyrgios 2016, seine Launen und sein Charakter haben größere Erfolge freilich verhindert. Und auch depressive Phasen hatten ihn begleitet, aus denen er sich wieder herauskämpfen konnte. Dies hat er kürzlich offenbart.

Nachdem Kyrgios offenbar begriffen hatte, dass sein Schlägerwurf doch nicht eine ganz so harmlose Handlung gewesen war, rief er über Instagram die Frage in die Runde, ob ihm jemand die Handynummer des Jungen besorgen könne. Er bekam sie, schrieb ihn an, entschuldigte sich und versprach, ihm einen neuen Schläger zu schenken. Kyrgios weiß schon auch, wie man mit der Jugend umgehen sollte, nicht ohne Grund lockt er viele junge Zuschauer in die Stadien. Und ganz sicher dürfte er eine Attraktion in einer Netflix-Serie werden, die der Streaming-Dienstleister in dieser Saison anfertigt. Dass er eine der werbewirksam inszenierten Hauptfiguren werden dürfte, kann man getrost annehmen.

Schon bei den Australian Open im Januar war ihm regelmäßig ein Kamerateam gefolgt, in Indian Wells saß seine Freundin auf der Tribüne und war sichtbar mit einem Mikrofon verkabelt. Dass Kyrgios zwischendurch ein paar Worte mit dem amerikanischen Schauspieler Ben Stiller wechselte, der hinter der Grundlinie direkt in der erste Reihe saß, war natürlich auch beste Unterhaltung fürs Publikum. Die Show beherrscht er zweifellos.

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Inwieweit hinter seinen Tiraden Kalkül steckt oder er doch nur eben dieses aufbrausende Wesen besitzt, das auf einer offenbar niedrigen Frustrationstoleranz basiert, hat Kyrgios selbst bislang noch nicht explizit offengelegt. Fakt ist aber, dass seine Auftritte oft genug eine Gratwanderung sind - er begeistert Menschen mit seinem Talent und seinem Charme, verprellt dann jedoch ebenso schnell wieder die Zuseher.

Fast wirkte es, als wollte er in Indian Wells zeigen, dass er immer noch der wahre Bad Boy des Tennis ist, und diesen zweifelhaften Ruf nicht Zverev kampflos überlassen. 2019 war er ja schon mal für 16 Wochen gesperrt worden, als er sich eine Reihe an Fehltritten geleistet hatte und die Tour nicht mehr anders konnte, als ihn zu sanktionieren. Seinerzeit hatte er sogar mal einen Stuhl auf den Platz geschleudert. Geldstrafen und auch eine Sperre konnten Kyrgios bislang nicht dazu verleiten, seltener Angriffsflächen für Kritik an seinem Verhalten zu bieten.

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