Tennis:Von Symbolik erdrückt

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Auf den Plätzen, aber auch auf den Tribünen waren im Sommer Unterstützungsbekundungen für die Ukraine zu sehen. (Foto: Jayne Kamin-Oncea/USA Today)

Blau-gelbe Flagge am Stadion, blau-gelbe Schleifchen an Schirmmützen: Beim Turnier in Indian Wells ist Solidarität mit der Ukraine allgegenwärtig. Russische Profis sind dennoch dabei - der Sport gibt keine gute Figur ab.

Kommentar von Jürgen Schmieder, Indian Wells

Gespräche mit Journalisten sind für Angelique Kerber wie der Korridor von der Umkleide zum Platz - muss man halt durch bei so einem Turnier. Sie hat die Kunst perfektioniert, über immergleiche Floskeln ("mein Spiel spielen", "meinen Plan durchziehen") ein bisschen zu reden, ohne viel zu sagen. Doch in dieser Woche, beim Turnier in Indian Wells, verwandelte sich der Korridor in eine Plattform. Die beste deutsche Tennisspielerin wollte etwas sagen, und sie hatte auch etwas zu sagen.

Sie hatte 6:2, 6:1 gegen Daria Kasatkina gewonnen - das war nicht irgendeine Partie. Kerbers Großeltern sind polnische Staatsbürger, sie lebt in Puszczykowo - und sie hat auch in Kalifornien mitbekommen, dass es beim russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine Luftangriffe im Grenzgebiet zu Polen gegeben hatte. Kasatkina ist Russin, und Kerber hatte vorher gesagt, dass sie nicht wisse, was für eine Partie das für sie werden würde. Also, Frage danach: Wie war es?

"Tennis ist für mich derzeit zweitrangig angesichts dessen, was gerade in der Welt passiert", sagte Kerber: "Es gibt Menschen, die flüchten, verängstigt sind, sich Sorgen machen. Ich selbst wohne nicht weit weg von der Situation, meine Großeltern sind da. Natürlich checkt man alle fünf Minuten die Nachrichten. Tennis ist zweit-, dritt-, viertrangig, und ich lege den Schalter bei der Vorbereitung auf eine Partie ganz bewusst erst spät um."

Kerber trug gegen Kasatkina an ihrer Schirmmütze ein Schleifchen in ukrainischen Nationalfarben. Über der Anzeigetafel in Stadion weht nun auch die Flagge der Ukraine. Der Milliardär und Turnierbesitzer Larry Ellison hatte eine Ukraine-Mütze auf, Akteure wie Jannik Sinner (Italien) und Coco Gauff (USA) kleideten sich in Blau-Gelb, andere wie etwa Garbiñe Muguruza (Spanien) oder Iga Swiatek (Polen) trugen das blau-gelbe Schleifchen. Elina Switolina posierte zwischen Trainingsplätzen mit einem Shirt des Ape Kids Club: Ein trauriger Comic-Affe steht vor einem leuchtenden Peace-Zeichen und hält die ukrainische Flagge hoch.

"Schau doch mal auf andere Sportarten, was die getan haben!" Die ukrainische Tennisspielerin Elina Switolina ist nicht damit einverstanden, dass russische Spieler im Tennis weiter antreten dürfen. (Foto: Radka Leitmeritz/oh)

Switolina stemmt die Hände in die Hüften, ihr Blick ist ernst. Sie ist Ukrainerin. Sie hatte ihre erste Partie in Indian Wells verloren und unterstützt nun Ehemann Gaël Monfils, der am Montag den topgesetzten Russen Daniil Medwedew besiegte. Ihre Familie harrt gerade in einem Keller in Odessa aus, auch für Switolina spielt Sport gerade eine untergeordnete Rolle. Wobei, das ist ihr schon wichtig: Sie ist nicht einverstanden, dass russische Akteure in Indian Wells spielen dürfen; wenn auch ohne russische Flagge neben den Namen: "Ich finde das nicht richtig. Schau doch mal auf andere Sportarten, was die getan haben!"

Das Profitennis nimmt eine Sonderrolle ein bei diesem Thema - mal wieder. Und der Sport gibt dabei keine gute Figur ab - mal wieder.

Ein paar andere Beispiele: Bei Alexander Zverev läuft noch immer eine ATP-Untersuchung zu Vorwürfen häuslicher Gewalt (die Zverev, der seine Unschuld beteuert, ausdrücklich begrüßt), doch nach einem halben Jahr gibt es vom Männerverband weiter keine Auskunft über den Stand. Was es gibt: Die Info von einer gut informierten Quelle, dass bisher niemand beim mutmaßlichen Opfer um eine Aussage oder Beweismittel gebeten habe. Die Strafe für Zverevs Ausraster kürzlich in Acapulco, als er den Stuhl des Schiedsrichters mit seinem Schläger malträtiert hatte: lächerlich. Zverev kann weder was für Ermittlungen in Zeitlupe noch für die milde Strafe; beides erweckt allerdings den Eindruck, die ATP behandle beides wie diesen Korridor: schnell irgendwie durch.

Die Ukrainerin Marta Kostjuk sagt, die Statements hätten keine Substanz

Oder die Staatsaffäre um die zwischenzeitlich verschwundene Chinesin Peng Shuai, bei der noch immer nicht wirklich geklärt ist, wie es ihr geht. Der Frauenverband WTA hat deshalb alle Turniere in China abgesagt. Bei den Männern gibt es im Herbst vier Turniere in China, darunter das Masters in Peking.

Oder die Tränen der ehemaligen Weltranglistenersten Naomi Osaka am Wochenende, weil sie von einer Zuschauerin beleidigt worden war. Sie habe sich an die rassistischen Rufe gegen Venus und Serena Williams im Jahr 2001 erinnert gefühlt, sagte Osaka danach - dem Turnier in Indian Wells haftete damals lange das Stigma an, zu wenig gegen solche Rufe getan zu haben. Wer nun um ein Statement zum Osaka-Fall bittet, wartet vergeblich auf Antwort. Aber Hauptsache, die Ukraine-Flaggen wehen, da drüben gibt's Schampus, liebe Zuschauer.

Die Ukrainerin Marta Kostjuk spielt in Landesfarben. (Foto: Clive Brunskill/AFP)

Die Symbolik erdrückt einen, deshalb berührt sie kaum. "All die Statements 'No War', die tun mir weh, weil sie keine Substanz haben", sagt die Ukrainerin Marta Kostjuk, deren Familie in Kiew ist. Der Russe Daniil Medwedew, der Weltranglistenerste der Männer, gab so ein allgemeines "No war"-Statement ab, aber was sollte er auch sagen? Der vielsagendste Satz stammt von Daria Gavrilova (Saville). Sie kam in Moskau zur Welt und spielt mittlerweile für Australien. Ihre Antwort auf die Frage nach dem Krieg: "Ich habe Familie in Moskau."

Tennis hat eine Sonderrolle im Weltsport. Die Akteure sind weltreisende Ich-AGs, die jeweils besten 20 der Welt bei Frauen und Männern spielen für insgesamt 21 Nationen. Es gibt WTA- und ATP-Turniere in 36 Ländern. Und: Es gibt zu viele Vereinigungen mit eigenen Interessen - der Weltverband ITF; WTA und ATP; die vier Grand-Slam-Turniere -, der Sport spricht quasi nie mit einer Stimme. Oft geht es nur darum, den eigenen Wanderzirkus am Laufen zu halten. Jetzt eben mit blau-gelber Flagge am Zelt.

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