Tennis:"Ich war wie auf einer Mission"

Lesezeit: 4 min

  • Angelique Kerber spricht bei einem Auftritt in Stuttgart über ihren Wimbledon-Triumph.
  • "Es geht nicht um die Rangliste", sagte Kerber, "für mich geht es um diese Momente auf dem Center Court."

Von Gerald Kleffmann, Stuttgart/München

Als Boris Becker seinerzeit im Juli nach seiner Reise aus England nach Deutschland zurückkehrte, wurde er in Leimen von Tausenden Menschen empfangen. Er wurde im offenen Jeep durch die Straßen im Schritttempo chauffiert, er winkte stehend im lässigen Hemd, wie Coach Günther Bosch neben ihm. Becker trug sich in Bücher ein, wurde geehrt. Politiker drückten ihn. Er war beim Papst.

Als Angelique Kerber an diesem Dienstagmittag erstmals wieder deutschen Boden betrat und sich ins Auto begab, stand sie erst einmal im Stuttgarter Stau.

Wimbledon
:Kerber ist kein Star - sie ist ein Vorbild

Angelique Kerber wird nach ihrem strahlenden Wimbledon-Erfolg weder Wert auf Glamour legen, noch ihre Millionen verprassen. Sie demonstriert, worauf es im Leistungsport wirklich ankommt.

Kommentar von Gerald Kleffmann

Für 13 Uhr war Kerbers erste Pressekonferenz hierzulande nach ihrem Coup terminiert. Aber nicht mal die Geschosse ihres Sponsors, der sie selbstverständlich abgeholt hatte, waren jetzt eine Hilfe. Sie haben zwar 400 und mehr PS, aber können noch nicht fliegen. Mit 45 Minuten Verspätung tauchte Kerber dann doch auf im Museum des Automobilherstellers, der das Vorzugsrecht erhielt, den heimischen Medien diese nun noch erfolgreichere Sportlerin präsentieren zu dürfen.

Sie trug ein feines Oberteil, sie lächelte. Sie sah müde aus und stellte einen funkelnden Teller aufs Podest. Später sprach eine Moderatorin des Fernsehsenders Sky, der den Auftritt live übertrug, von einer "Meisterschale". Dies war freilich nicht ganz der passende Begriff. Andererseits überhaupt kein Vorwurf aufgrund der Entlehnung aus dem Fußball. Der Name der Trophäe (Rosewater Dish) war lange für Deutschland völlig irrelevant und zurecht in Vergessenheit geraten. Das letzte Mal hatte vor sage und schreibe 22 Jahren Stefanie Graf aus Brühl in Wimbledon triumphiert - bis sich Kerber am Samstag nach dem Matchball gegen die zurückgekehrte Mutter Serena Williams, 36, in den abgenutzten, an der Grundlinie sandigen Rasen warf.

Wimbledon
:Das turbulente Jahr der Angelique Kerber

Die Tennisspielerin erlebt zwölf Monate voller Enttäuschungen und Veränderungen - und gewinnt schließlich Wimbledon. Ein Rückblick in acht Akten.

Von Matthias Schmid

Diese Momente seien für sie noch sehr präsent, fing Kerber an zu referieren, sie wusste, sie waren ja erst "drei, vier Tage" her, die aber reichten für ein eigenes Kapitel in ihrer Vita, mit der Überschrift: die Tage danach. "Ich habe so viel erlebt", erzählte sie, und man kann es vorwegnehmen: Es folgte die beste Pressekonferenz, die Kerber seit sehr langer Zeit gegeben hat. Sie sprach frei und flüssig, ohne bei ihr bekannte und abgenutzte Bilder und Phrasen, die während Turnieren für sie Schutzschilder sind, um ohne zu großen Energieverlust diese Pflichtaufgaben zu erledigen. Ihr geht es in dieser Zeit nur um den sportlichen Erfolg. Und jetzt, in Stuttgart, war erkennbar: Tonnenweise Ballast war von ihr abgefallen. Sie war gelöst, wenngleich sie "nicht viel geschlafen" habe. "Ich brauche vielleicht noch ein bisschen Zeit, damit ich wahrnehme, was ich in diesen Wochen geschafft habe."

Diese Einsicht hielt sie dennoch nicht davon ab, schon jetzt aus dem Blickwinkel der Betroffenen realistisch ihre im Tennis weltweit beachtete Leistung zu reflektieren. Dass sie von ihrem Sponsor redete wie von einer neuen Liebe (Stand jetzt ist sie noch Single) war auch eine Pflichtaufgabe, für die sie gut entlohnt wird. Danach aber deckte sie ihre Karten auf. "Ich war in diesen zwei Wochen wie auf einer Mission", bekannte sie. Alles Ablenkende habe sie für sich bewusst abgeblockt, schon vor Längerem hätte sie sich "selber gesagt, dass ich diesen Wimbledonsieg noch will".

Nun, in Stuttgart, taktierte sie nicht mehr und legte sich fest, trotz ihrer Grand-Slam-Siege in Melbourne und New York 2016: "Das ist der Höhepunkt meiner Karriere." Inklusive der Feierlichkeiten mit dem Sieger des Männerwettbewerbes: "Der Tanz mit Djokovic war etwas Besonderes." Auch wenn beide am Sonntagabend in der stilistischen Ausführung schwächelten. Bestnote dagegen für ihr feuerrotes Kleid.

Sie hatte es ausgeliehen und darf es nun behalten. "Die größte Stellschraube war für mich selber", betonte Kerber, "dass ich wieder die Motivation gefunden habe." Sie bezog sich auf die Saison 2017, in der sie vom ersten auf den 21. Weltranglistenplatz durchgereicht worden war, was faktisch gar nicht furchtbar dramatisch klingt, gefühlt für sie und die Öffentlichkeit aber einem Absturz gleichkam. Wie sie so dasaß und sich schlüssig erklärte, wirkte sie nicht wie die Angie, wie sie genannt wird. Sie wirkte wie: Angelique Kerber. "Für mich ist sie eine internationale Weltklassespielerin", so hatte ihr belgischer Trainer Wim Fissette, der den Umkehrtrend seit Herbst verantwortet, in Wimbledon der SZ seine Wahrnehmung geschildert.

Ihr Urlaub wird länger als geplant sein

Boris Becker übrigens hat es irgendwann gehasst, dass er nur Boris genannt und geduzt wurde. So weit ist es bei Kerber aber noch nicht. Sie blickt dem nächsten Vereinnahmungsprozess augenscheinlich aufgeräumt entgegen. Sie genieße das, was auf sie zukomme, die Medien- und PR-Termine. Aber sie sagte auch: "Das Wichtigste, womit ich mich belohne, ist Zeit." Ihr Urlaub wird länger als geplant sein.

Sie weiß: Sie muss sich trauen, sich auszuklinken, nein zu sagen. Was danach kommt? Sie hört ja nicht auf. "Es geht nicht um die Rangliste", sagte Kerber, nun Nummer vier der Welt, "für mich geht es um diese Momente auf dem Center Court." Sie verwies auf Roger Federer, "der spielt auch dafür". Daher werde sie sich auf die großen Turniere fokussieren. Ab 6. August kehrt sie auf die Tour zurück. Montreal, Cincinnati, US Open. An diesem Dienstag stand aber erst mal der Heimflug im Learjet (die Charter-Firma ist ihr neuester Sponsor) nach Posen an, sie wohnt in Puszczykowo, ihre Großeltern haben dort eine Tennisakademie. Sie freue sich auf den Grillabend. Den habe sie sich gewünscht. Ihre Worte zum Abschied: "Der Wimbledon-Titel hat mir noch gefehlt. Ich kann sagen, dass ich komplett bin." Daheim im Wohnzimmer komme der Pokal in die Mitte. Zwischen Melbourne und New York.

© SZ vom 18.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Angelique Kerber
:Das Turnier ihres Lebens

Wimbledon-Siegerin Angelique Kerber zeigt im überraschend einseitigen Finale, wie viel sie nach ihrem mauen Jahr 2017 hinzugelernt hat. Auch Serena Williams ist von den neuen Fähigkeiten heillos überfordert.

Von Gerald Kleffmann

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: