Tennis:Pfeift lauter!

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Na? Ich höre nichts! Novak Djokovic wendet sich provozierend ans Publikum. (Foto: Stephanie Lecoq/Reuters)

Das Turnier in Paris erlebt eine wilde Woche: Novak Djokovic mimt den Bösen, nächtliche Matches erzürnen die Profis. Für den ausgeschiedenen Alexander Zverev endet die Veranstaltung trotzdem versöhnlich.

Von Gerald Kleffmann

Gemeinhin gilt der Bezirk Bercy in Paris als ruhiges Viertel, das französische Ministerium für Wirtschaft und Finanzen hat hier im Osten der Stadt seinen Sitz. Das Musée des Arts Forains ist für historisch interessierte Touristen einen Abstecher wert, die Vergnügungs- und Rummelplatzobjekte bestaunen möchten, was turbulenter klingt, als es ist. Wer wirklich bebende Emotionen erleben wollte, etwa in der zurückliegenden Woche, dem war ein Besuch des Tennisturniers der Männertour im Palais Omnisports zu empfehlen. In der Multifunktionshalle brodelte es gleich mehrmals.

Der sicher harmloseste, wenngleich höchst unterhaltsame Konflikt trug sich zwischen dem Publikum und 24-maligen Grand-Slam-Gewinner Novak Djokovic zu. Die Pariser Zuschauer, das zeigt sich auch jedes Jahr bei den French Open, nehmen sich gerne wie bei einer Opernaufführung das Recht heraus, mit akustischen Lauten ihre Zustimmung beziehungsweise ihren Unmut auszudrücken. Nun begab es sich, dass Runde für Runde Djokovic, nachdem er sich jedes Mal in quälend langen, engen Partien durchgesetzt hatte, ausgebuht und ausgepfiffen wurde. Man könnte dem mittlerweile 36 Jahre alten Serben entgegenhalten, er habe sich diese Antipathien selbst eingebrockt kraft provozierender Gesten. Nur muss kein Mensch Djokovic anklagen - denn er mochte diese Rolle des bösen Buben explizit sehr gerne. Sie trieb ihn an.

Verloren und doch sportlich ein gutes Ende: Alexander Zverev ist beim Jahresendturnier der ATP Tour in Turin dabei. (Foto: Michael Baucher/PanoramiC/Imago)

Exemplarisch war bereits sein Verhalten im Achtelfinale, als er gegen den forsch spielenden Niederländer Tallon Griekspoor nach mehr Buhrufen verlangte. Später bejahte er die Frage, ob ihm solche Reaktionen von der Tribüne einen "Boost" gegeben hätten. Die Fakten untermauerten dies, acht Punkte in Serie waren ihm nach jenem Austausch mit dem Publikum gelungen. Im Halbfinale gegen den Russen Andrej Rubljow schied Djokovic wieder fast aus, natürlich gewann er trotzdem. "Rubljow hat mich erstickt wie eine Schlange den Frosch", lobte er später seinen Gegner und grinste genau so, wie er es nach dem Matchball getan hatte. Da hatte er sich breitarmig in alle Himmelsrichtungen gedreht und auch den Finger hinters Ohr gelegt, nach dem Motto: Na? Ich hör' nichts! Pfeift lauter! Wer sein 58. Masters-Finale erreicht, hat die Argumente auf seiner Seite; im Endspiel gewann Djokovic dann am Sonntag mit 6:4, 6:3 gegen den Bulgaren Grigor Dimitrov.

Jannik Sinner tritt nach seiner siegreichen Nachtschicht am nächsten Tag nicht an

Konnte man diesen Begebenheiten noch einen folkloristischen Charakter abgewinnen, so waren die viel zu späten Match-Ansetzungen, die zu noch viel späteren Enden führten, weniger amüsant für Zuschauer wie Spieler. Die letzten Matchbälle wurden jeweils verwandelt um 2.22 Uhr (Montag), 23.57 Uhr (Dienstag), 2.37 Uhr (Mittwoch), 00.04 Uhr (Donnerstag) und 00.59 Uhr (Freitag). Der Südtiroler Jannik Sinner, der nach seinem Marathon gegen den Amerikaner Mackenzie McDonald gleich am frühen Nachmittag wieder hätte spielen müssen, zog seine weitere Teilnahme gar zurück. Diverse Profis brachten ihre Empörung wegen der zu dicht gedrängten Terminierungen zum Ausdruck, doch Turnierdirektor Cédric Pioline vertrat etwa die Sicht, man habe die im Freien anstehenden Zuschauer nicht um ihr Erlebnis der Abendpartie bringen wollen.

Auch Alexander Zverev hätte gutes Recht gehabt, sich zu beklagen, einmal hatte er auch nachts sein Match gegen den Franzosen Ugo Humbert beendet und musste gleich am nächsten Nachmittag auf den Platz. Er unterlag daraufhin dem Griechen Stefanos Tsitsipas 6:7 (2), 4:6 und musste kurz um seine Qualifikation für die ATP Finals in Turin (12. bis 19. November) bangen. Spontan meldete Deutschlands bester Tennisspieler für das Turnier in Sofia nach, doch als der Pole Hubert Hurkacz und der Däne Holger Rune im Viertelfinale verloren, war klar: Sie konnten nicht mehr an Zverev vorbeiziehen in der Qualifikationsrangliste. In Bulgarien zog dieser dann seinen Start zurück.

Für Zverev ist die Teilnahme beim Turnier der besten Acht ein Erfolg, im vergangenen Jahr hatte er einen mehrfachen Bänderriss erlitten. Sportlich hat er nach einer guten Saison seine Klasse durchaus wieder gefunden. Privat lief es zuletzt weniger beispielhaft. Zverev hatte jüngst einen Strafbefehl erhalten und soll 450 000 Euro wegen Körperverletzung zahlen. Er bestreitet die Vorwürfe und will dagegen vorgehen.

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