Rugby-Weltmeister Südafrika:"Wir sind das bisschen Hoffnung, das den Menschen bleibt"

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Ein Fan der Mannschaft Südafrikas mit Vuvuzela. (Foto: Dave Winter/Shutterstock/IMAGO/Shutterstock)

Südafrika wird durch einen Sieg gegen Neuseeland zum vierten Mal Weltmeister und schreibt Rugby-Geschichte. Für das Land hat der Sieg eine Bedeutung weit über den Sport hinaus.

Von Paul Munzinger

Als Siya Kolisi, der Kapitän von Südafrikas Rugby-Nationalmannschaft, am späten Samstagabend zum Interview nach dem WM-Gewinn seines Landes antrat, da galt sein erster Satz wie immer dem Gegner. Neuseeland habe trotz der frühen roten Karte mächtig Druck gemacht, lobte Kolisi noch völlig außer Atem. "Die All Blacks haben uns gezeigt, was für ein Team sie sind." Es war einmal mehr ein Interview, mit dem sich eine beliebte These vieler Rugby-Fans bestens belegen lässt: dass Rugby - anders als zum Beispiel Fußball - ein harter Sport für echte Gentlemen ist.

Bereits mit der Antwort auf die zweite Frage aber verließ Kolisi den Sport schon wieder und wagte sich mitten in einen Bereich vor, wo sich statt schwitzender Athleten sonst eher aalglatte Funktionäre bewegen: in die Überhöhung des Spiels zum politischen Ereignis. "Menschen, die nicht aus Südafrika kommen, können nicht verstehen, was dieser Titel für unser Land bedeutet", sagte Kolisi. "Unser Land macht gerade so viel durch. Wir sind das bisschen Hoffnung, das den Menschen bleibt." Bei Kolisi, das unterscheidet ihn von den Funktionären, darf man annehmen, dass das kein Gerede ist.

Südafrika hat am Samstagabend in Paris Rugby-Geschichte geschrieben. Mit dem 12:11-Sieg holten die Springboks zum vierten Mal den WM-Titel ans Kap und sind nun alleiniger Rekordweltmeister - vor Finalgegner Neuseeland. Es war der vierte WM-Titel im achten Anlauf, eine sagenhafte Quote.

Aber der Sport trat dann schnell in den Hintergrund, nicht nur bei Siya Kolisi oder dem als Mann des Spiels ausgezeichneten Pieter-Steph du Toit, der in der Widerstandsfähigkeit des Teams die des ganzen Landes gespiegelt sah. Und im Grunde war es schon vor dem Anpfiff klar, dass es so kommen würde. Schließlich war das Finale gegen Neuseeland die Neuauflage des legendären Endspiels von 1995, das Südafrika ein Jahr nach dem Ende der Apartheid im eigenen Land gewann. Der Handschlag von Präsident Nelson Mandela im grünen Springbok-Shirt und dem blonden Team-Kapitän Francois Pienaar ist einer der Gründungsmythen des "Regenbogenstaates" Südafrika.

Doch viele Hoffnungen von damals haben sich nicht erfüllt. Knapp 30 Jahre nach dem Ende der Apartheid klafft noch immer eine riesige Kluft zwischen Schwarz und Weiß, die heute nicht mehr per Gesetz, sondern per Besitz definiert wird. Südafrika leidet unter Kriminalität und Gewalt, die Mandela-Partei ANC hat das Land über Jahre heruntergewirtschaftet. Für die schwierige Lage gibt es Symbole zuhauf, sei es der abgebrannte Dachstuhl des Parlaments in Kapstadt, ein Straßenkrater mitten in Johannesburg oder die zur Routine gewordenen täglichen Stromausfälle. Der Volkssport Rugby und die Springboks, wo Spieler jeder Hautfarbe zusammenspielen, sind die vielleicht stärkste Klammer, um das ungleiche Land zusammenhalten. Pessimisten würden sagen, die einzige.

Angesichts dessen überrascht es nicht, dass Präsident Cyril Ramaphosa gern vom Rückenwind des WM-Titels profitieren will. Im kommenden Jahr wird gewählt in Südafrika, dem ANC droht erstmals der Verlust der absoluten Mehrheit. Am Samstag bejubelte Ramaphosa den WM-Triumph auf der Tribüne des Stade de France, was für den Staatschef eines beteiligten Teams natürlich nichts Ungewöhnliches ist. Ungewöhnlich war aber dann doch, dass sich Ramaphosa bei der Siegerehrung im Trikot unter die Spieler mischte und wenige Sekunden nach Kapitän Kolisi den Pokal eigenhändig in die Luft stemmte. Ob ihm diese doch eher schamlose Anwanzung an den Gentleman-Sport Rugby nützt oder doch eher schadet, werden die nächsten Monate zeigen.

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