Leverkusen siegt 5:2:"Ich verstehe die Hand-Regel nicht mehr"

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Fünf Tore erzielt, zehn Chancen vertan: Leverkusen (hier Kerem Demirbay) agierte verschwenderisch. (Foto: nordphoto/imago)

Leverkusen gewinnt 5:2 gegen Stuttgart, das Spiel wird aber überschattet von einer eigenwilligen Auslegung der Handregel. Beide Teams sind sich einig, dass sie sich uneinig sind.

Von Milan Pavlovic, Leverkusen

Ein Spiel, das 5:2 endet, sollte beim Trainer des Siegers nicht allzu tiefe Furchen hinterlassen. Aber die Stirn von Peter Bosz erzählte in der 56. Minute etwas ganz anderes. Der Niederländer tigerte in seiner Coaching Zone herum, sein wissender Gesichtsausdruck erzählte davon, dass er ahnte, was jetzt kommen würde. Denn es schien klar zu sein, dass Geschichte sich in feinen Variationen wiederholen würde.

Nur vier Tage nach dem schmerzlichen Pokal-Aus beim Viertligisten Rot-Weiss Essen drohte Bayer Leverkusen wieder ein Spiel zu entgleiten, auch diesmal würde der Video-Beweis eine entscheidende Rolle spielen. Niemand würde mehr über die beeindruckende erste Halbzeit und die viel zu niedrig ausgefallene 2:0-Führung sprechen. Stattdessen würde es darum gehen, wie die Werkself den VfB Stuttgart nach der Pause in Windeseile wieder ins Spiel hatte zurückkommen lassen - unter anderem durch einen ziemlich eindeutigen Handelfmeter.

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"Eine Hand hat nichts zu suchen über Schulterhöhe, das war ein klarer Strafstoß."

Es war zwar kein Pfiff ertönt, nachdem Leverkusens Winter-Späteinkauf Timothy Fosu-Mensah den Ball im Fünfmeterraum aus kurzer Distanz für alle erkennbar an die Hand bekommen hatte; und im direkten Gegenzug hatte Bayer 04 zum dritten Mal getroffen. Aber obwohl die Leverkusener Tormelodie laut ertönte, musste nun eine Stimme aus dem Kölner Keller noch lauter werden. Und in der Tat lauschte Schiedsrichter Sven Jablonski minutenlang den Worten von Videoassistent Felix Zwayer.

Beide Teams waren sich einig, dass sie sich uneinig waren. "Ein glasklarer Elfmeter", rumpelte VfB-Sportdirektor Sven Mislintat. "Niemals!", entgegnete Leverkusens Doppeltorschütze Kerem Demirbay. "Ich verstehe das Argument, dass der Ball aus kurzer Distanz kam", bemühte sich Stuttgarts Torwart Gregor Kobel um etwas Differenzierung, um zu dem Urteil zu kommen: "Eine Hand hat nichts zu suchen über Schulterhöhe, das war ein klarer Strafstoß."

Was, Handspiel? Die Stuttgarter diskutieren mit Schiedsrichter Sven Jablonski. (Foto: Lars Baron/Getty)

Mit allem rechneten die Akteure nun - aber was niemand glauben konnte, war: dass Köln das Handspiel überhaupt nicht thematisierte. Im Keller wurde laut DFB-Twitter bloß betrachtet, ob beim anschließenden Konter eine Abseits-Position vorlag. Tat sie nicht, es stand also 3:1 statt 2:2, und in dem Moment war die Partie entschieden.

"Ich verstehe die Hand-Regel nicht mehr", sagte Gästetrainer Pellegrino Matarazzo bewundernswert sachlich. "Ich habe kein Verständnis für die Entscheidung, aber noch viel weniger dafür, dass die Szene gar nicht überprüft wurde." Auch Peter Bosz räumte ein: "Die Handregel muss eindeutig sein. Sie ist so kompliziert, dass Spieler und Trainer nicht mehr wissen, was los ist." Dabei solle sie doch "das Spiel ehrlicher machen".

Die Teams erspielen sich mehr als 20 Chancen

Betrüblich an der Debatte war die Tatsache, dass sie einen Nachmittag überschattete, der nach Wildem Westen aussah (mehr als 20 Torchancen), aber etliche fußballerische Trüffel und Trouvaillen zu bieten hatte. Leverkusen beendete seine Ergebniskrise, die kurz vor Weihnachten begonnen hatte (nur vier Punkte aus sieben Spielen), mit einem spielerischen Feuerwerk und einem feinen taktischen Kniff.

Das Spiel lief zwar oft über die Flügelflitzer Moussa Diaby und Leon Bailey, damit hatten die Gäste gerechnet; aber nicht nur bei den beiden ersten Treffern ging es im entscheidenden Moment ab durch die Mitte, die nicht bloß Sturmspitze Patrik Schick besetzte, sondern in die abwechselnd Bailey, Diaby, Florian Wirtz und Demirbay eilten. Letzterer profitierte vor der Pause am meisten davon, mit einem Außenristtor leitete er das Torfestival ein (18.), mit einem Tunnel gegen Kobel krönte er die erste Halbzeit (31.).

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Nach der Pause beeindruckte Stuttgart zehn Minuten lang mit Wucht und Mut. Und auch wenn Silas Wamangituka, der Siebenmeilensprinter der Schwaben, an diesem Nachmittag zumeist gut abgeschirmt wurde, hatten die Gäste auch Zählbares zu bieten: Der eingewechselte Sasa Kalajdzic stellte zweimal Leverkusens sonst so starken Innenverteidiger Edmond Tapsoba bloß (50., 77.).

Das reichte aber nur zu Ergebniskosmetik, da Bayer 04 in der zweiten Halbzeit zu drei sehenswerten Kontertoren kam, mit Abschlüssen von Bailey (57.), Wirtz (68.) und dem Debütanten Gray (84.), der wie der andere offensive Last-Minute-Einkauf Frimpong den gestressten Diaby und Bailey eine paar Ruhepausen ermöglichen soll. Am schönsten war das zwischenzeitliche 4:1, als es aus der eigenen Hälfte mit kurzen Berührungen spielerisch leicht über fünf Stationen in den VfB-Strafraum ging, wo Wirtz den Ball mit einer Übersicht und Selbstverständlichkeit einnickte, die einen wieder zweifeln ließ, dass er wirklich erst 17 Jahre alt ist.

Keine Frage, Florian Wirtz wird noch eine Menge erleben. Ob er aber noch den Tag erleben wird, an dem es eine brauchbare Handregel im Fußball gibt?

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