Streif in Kitzbühel:Es flutscht plötzlich wieder

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Gewann 2018 auf der Streif, diesmal ist es ein Erfolg, dass er überhaupt wieder dabei ist: Thomas Dreßen. (Foto: Johann Groder/dpa)

Wie findet man auf einer der schwersten Abfahrtspisten der Welt wieder zu Selbstbewusstsein? Ein paar der besten deutschen Schnellfahrer setzen in Kitzbühel ein paar ermutigende Signale ab.

Von Johannes Knuth, Kitzbühel

Die Stahlrohrtribüne am Fuße des Hahnenkamms war schon weitgehend geräumt von der Prominenz und die, die sich dafür hält, da begann das Rennen noch mal von vorn. Die Fahrer mit den hohen Startnummern, die sonst das Tableau auffüllen und auf einer ramponierten Piste fahren, rüttelten nun immer heftiger an der Bestzeit des Österreichers Vincent Kriechmayr. Diesmal war der spätere Start ein Privileg, denn Wolken und Schnee hatten sich ebenfalls davongemacht. Am engagiertesten zeigte sich ein gewisser Florian Schieder, 27, aus Kastelruth, das offenbar nicht nur, nun ja, engagierte Volksmusikanten hervorbringt. Schieder war 2021 bei der WM so schwer gestürzt, dass er drei Mal operiert werden musste, er war vor diesem Freitag auf einer Weltcup-Abfahrt nie besser als auf Rang 13 klassifiziert. Und nun: Platz zwei, 0,23 Sekunden trennten ihn von Kriechmayr, nicht mal ein Zucken. Wer weiß, welche Pointen sich das Rennen noch ausgedacht hätte, wäre es kurz darauf nicht lange unterbrochen worden, nach dem Beinbruch des Norweges Henrik Roea.

So glitten die Gastgeber zumindest mit ihrem Besten perfekt in ihr prestigeschwangeres Rennwochenende - nach einigen Turbulenzen, die Österreichs Funktionäre in den vergangenen Wochen entfacht hatten. Und auch die Abfahrer des Deutschen Skiverbands (DSV) setzten am Freitag ein paar ermutigende Signale ab. Sie hatten zuletzt in Gröden, Bormio und Wengen die Hälfte ihrer Mannschaft in den Krankenstand verabschiedet, dann "aus welchem Grund auch immer den Faden verloren", wie Cheftrainer Christian Schwaiger am Donnerstag geklagt hatte. Und auch wenn es ihre Besten am Freitag noch etwas nach hinten wehte - Thomas Dreßen auf Rang 13, Andreas Sander auf Platz 15 - so lieferten sie zumindest ein paar Belege für die These, dass es manchmal nicht viel braucht, um die Dinge wieder ins Positive zu kippen.

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Dreßen läuft in diesem Winter ohnehin etwas außerhalb der Wertung: Der Kitzbühel-Sieger von 2018 hatte zuletzt fast 1000 Tage kein Weltcup-Rennen bestritten; für ihn ist es schon ein Gewinn, dass er es zurück in den Sport geschafft hat. In Gröden hatte sich Dreßen dann wieder verletzt, am Oberschenkel, aber er trotzte selbst der neuerlichen Auszeit etwas Positives ab: Er habe noch mal über seinen Saisonstart sinniert, den sehr guten achten Platz in Lake Louise und die weniger guten Erträge danach. "Da bin ich einfach zu gierig geworden", sagte Dreßen. Er habe versucht, die Linien von Aleksander Aamodt Kilde und Marco Odermatt zu plagiieren, die Besten des bisherigen Winters, nur: Dreßen preschte selbst zu besten Schaffenszeiten nie so direkt auf die Tore zu wie die Branchenführer, er fuhr oft weitere Wege, aber wer es geschickt macht, baut dabei viel Tempo auf, Schwung für Schwung. "Ich werde jetzt auf meine fast schon alten Tage nicht mehr meinen Fahrstil umstellen", sagte Dreßen, mit fast schon biblischen 29 Jahren. Er müsse da einfach wieder "zu mir finden".

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Den dazugehörigen Bauplan präsentierte er am Freitag. Da sei er an den Start gerutscht und habe gedacht: "Hab' an Spaß, scheiß drauf, was rauskommt." Er spürte rasch, dass die Piste anders war als in den Tagen zuvor, dass er die Skier "minimal" bewegen musste, schon habe es ihn herauskatapultiert aus jeder Kurve. In solchen Momenten streichelt Dreßen den Schnee fast so gut wie die besten Gefühlsfahrer, dann hat er einen Spaß, "und wenn ich einen Spaß habe, dann flutscht es einfach", sagte er. Viel mehr könne er eh nicht verlangen in seinem Beruf als Skirennfahrer, beschloss er seine Analyse. So spricht einer, der gelernt hat, wie schnell es vorbei sein kann in seinem Sport.

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Dreßens Kollegen sind da etwas anders gestrickt; sie bauen ihre Bestform länger auf, wie einen Schneeball, der immer größer wird, je länger man ihn durch die Landschaft schiebt. "Ich hatte vor einem Rennen lange nicht so einen chaotischen Tag in meinem Kopf wie gestern", gestand Andreas Sander am Freitag, und wenn man ihn richtig verstand, ging die Geschichte dahinter in etwa so: Sein Ski-Ausrüster hatte ihm zuletzt ein brandneues Modell bereitgestellt, doch statt Sander schneller zu machen, fühlte sich der Pilot auf den neuen Latten unwohl. Er griff wieder zu einem alten, scheinbar langsameren Modell, doch allein das Wissen, wie schnell er damit mal gewesen war, habe ihm "scheinbar" geholfen, sagte Sander.

Und sonst? Romed Baumann, zuletzt oft flott unterwegs, leistete sich am Freitag einen Patzer in der Traverse, Rang 32. Noch ärger erwischte es Dominik Schwaiger, einer der Konstantesten im vergangenen Winter, zuletzt war er aber meist konstant neben der Spur. "Kann sein, dass ich mir selbst ein bisschen Druck gemacht habe, dass es jetzt unter die besten Zehn gehen muss", sagte Schwaiger, "dann kommen die Leichtsinnsfehler." Am Freitag trieb es ihn fast ins Netz und auf Platz 55. Kaum besser Josef Ferstl, der Kitzbühel-Sieger von 2019 im Super-G, jetzt 49. Vor einer Woche war Ferstl in Wengen bereits mit der lädierten Schulter im Ziel-S durchs Tor gerauscht. "Eigentlich unerklärlich, wie man so einen Schwung fährt", sagte Cheftrainer Schwaiger.

Kilde vermeidet nur knapp den Fangzaun

Unerklärlich? Nun, fuhr Schwaiger fort, "der Kopf ist im Abfahrtssport das, was am leichtesten ermüdet". Ein Fehler, schon schlage die Verunsicherung tiefe Wurzeln. Vor allem, wenn der Arbeitsauftrag darin besteht, mit 140 Sachen über einen Eislaufplatz zu rauschen, Woche für Woche.

Wie schnell es dabei die Besten erwischt, führten am Freitag Marco Odermatt und Aleksander Aamodt Kilde vor. Odermatt, den Ausnahmekönner aus der Schweiz, presste es im Steilhang so tief in die Hocke, dass es ihn beinahe ins Netz katapultierte - im Ziel warf er sich einen schwarzen Overall über und humpelte aus dem Stadion, seinen Start für Samstag sagte er ab. Und Kilde, Sieger in vier Abfahrten in diesem Winter, hatte sich schon im Training am Donnerstag die Handwurzel gebrochen, nun flog er nach der Traverse fast in den Fangzaun. "Das war nahe an der Katastrophe", sagte der Norweger. Der nächster Ritt: Wartet schon an diesem Samstag.

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