Stadien nach der Fußball-WM:Was passiert mit den WM-Arenen?

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Das Al-Janoub-Stadion soll auf 20 000 Plätze zurück gebaut werden. (Foto: David Ramos/Getty Images)

Wenn die Weltmeisterschaft vorbei ist, steht das Drei-Millionen-Einwohner-Land Katar mit acht modernen WM-Arenen da. Ein Stadion soll abgebaut und recycelt werden - für die anderen sind die Pläne eher vage.

Von Martin Schneider, Doha

Die Sonne geht unter über dem Stadium 974 in Doha, und ein Wachmann wird nervös. "Bitte nicht bis zum Zaun, das ist Sperrgebiet", ruft er. Hinter dem Eisengitter, das die Arena einmal umschließt, fährt eine Art elektrisches Golf-Mobil Arbeiter von rechts nach links, eine Warnsirene blinkt. Aus einer kleinen Lautsprecherbox dröhnt von irgendwoher einer der vielen WM-Songs, eine Familie macht ein Foto mit einem großen Plastik-WM-Pokal. Eine andere Familie hat sich verlaufen und fragt den Wachmann, wo es denn zum Strand gehe. "In die Richtung?" - "Ja, in die Richtung."

Wenn die Spiele der Fußball-Weltmeisterschaft vorbei sind, wird es ruhig um die Stadien. Die Betonflächen werden zu einem grauen See, Hunderte Absperrgitter stehen herum wie Fischgräten, die Arenen liegen da wie gestrandete Wale. Aber eigentlich sollte doch gerade hier am Meer die Arbeit sofort wieder losgehen. Das Stadion 974 sollte als erstes WM-Stadion der Welt nach seinem letzten Spiel komplett ab- und später irgendwo anders wieder aufgebaut werden. Angeblich aus genau 974 Schiffscontainern besteht diese Arena, daher der Name. Von außen und innen sieht das Stadion wie ein viel zu groß geratener Lego-Technik-Bausatz aus, jedes sichtbare Kabel ist eine Art PR-Botschaft, sogar der Fifa-Präsident bekam hier nur einen Logen-Container. Das recyclebare Stadion war immer eines der Hauptargumente gegen alle Kritiker, die hier in Katar keine Nachhaltigkeit sehen wollten.

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Diesmal fühlt er sich als großer Verkünder: Bei seinem Abschluss-Auftritt zum Ende des Turniers in Katar stellt Gianni Infantino eine neue, aufgeblähte Klub-WM in Aussicht - und überrascht mit Gedankenspielen zu einer erhöhten Anzahl an WM-Partien.

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Frage an den Wachmann: "Soll die Arena nicht demontiert werden?" - "Doch, aber erst findet hier noch so ein Musik- und Modeevent statt." - "Und danach?" - "Danach soll sie abgebaut werden." Fragt man beim WM-Organisationskomitee (OK) nach, bekommt man die gleiche Antwort, nur ein bisschen ausgefeilter formuliert. Der Zeitplan zum Abbau und zur Wiederverwendung des Stadions werde "gerade finalisiert", heißt es. Details folgen. Einen Abnehmer gibt es aber immer noch nicht. Uruguay oder "ein afrikanisches Land" sollen mal Kandidaten gewesen sein, aber gerade will offenbar keiner ein Stadion haben.

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Arenen, die nach der WM keinen Zweck mehr haben, sind über die Jahre ein so bekanntes Problem geworden, dass es einen feststehenden Ausdruck dafür gibt: "Weiße Elefanten". Der Begriff geht auf den König von Siam zurück, der als Geschenk Elefanten mit sehr heller Haut an Freunde, manchmal auch an Feinde verteilte. Weil die Tiere als heilig galten, durften sie nicht zur Arbeit eingesetzt werden, futterten aber genauso viel wie normale Elefanten. Der unglücklich Beschenkte hatte also fast sein ganzes Leben lang (Elefanten können 70 Jahre alt werden) immense Futter-Folgekosten - aber keinen Nutzen. Der Dickhäuter stand rum und trieb seinen Besitzer in Richtung Ruin. So war es bei WM-Stadien nach den Turnieren in Südafrika (2010), Brasilien (2014) und Russland (2018). Auch in Deutschland verhob sich 2006 der 1.FC Kaiserslautern mit dem Stadionausbau.

Für jedes Stadion ist so was Ähnliches wie ein Zukunftskonzept angedeutet

In Katar war das Thema aber noch sensibler als anderswo, die Stadien wurden jahrelang oft in Abwesenheit von menschenwürdigen Bedingungen gebaut. Wie viele Arbeiter dabei gestorben sind, weiß man bis heute nicht genau, über 200 Milliarden Dollar soll die gesamte WM-Infrastruktur gekostet haben. Und jetzt? Katar hat keine drei Millionen Einwohner, was soll man da, falls das Stadion 974 wirklich abgebaut wird, mit immer noch sieben hochmodernen Stadien anfangen?

Das Stadion 974 in Doha soll als erstes WM-Stadion der Welt wieder vollständig abgebaut werden. (Foto: Matthias Koch/Imago)

Fragt man beim Weltfußballverband Fifa und beim WM-Organisationskomitee nach, verweisen beide auf einen "Vermächtnis-Plan". Für jedes Stadion ist so etwas Ähnliches wie ein Zukunftskonzept angedeutet. Am einfachsten ist es beim Khalifa International: Der Ort der Leichtathletik-WM 2019 und der 1:2-Niederlage des DFB-Teams gegen Japan war vorher das Nationalstadion Katars, es wird es auch nach der WM bleiben.

Vier Stadien, das Al-Thumama, das Al-Janoub, das Ahmad Bin Ali und das Education-City-Stadion, sollen grundsätzlich weiter als Fußball-Arenen genutzt werden, allerdings soll die Kapazität bei allen von 40 000 auf 20 000 Plätze reduziert werden. Während es für Al-Janoub und Ahmad Bin Ali zumindest Erstliga-Klubs gibt, die dort spielen sollen, reicht die Ankündigung beim Al-Thumama nur soweit, dass "zwei lokale Vereine" dort heimisch werden sollen. In der höchsten Liga des Landes, der "Qatar Stars Liga", spielen regulär zwölf Klubs um die Meisterschaft und nutzen nochmals acht zusätzliche Stadien mit bis zu 20 000 Plätzen. Sehr wahrscheinlich ist Katar das Land mit der höchsten Stadiendichte der Welt.

Wie viele Zuschauer künftig zu den Liga-Spielen kommen werden, ist schwer zu sagen. Die Corona-Pandemie hat auch in Katar die Statistik verzerrt, zudem hat sich Katar bei der WM nicht unbedingt als glaubwürdiger Zuschauer-Zähler erwiesen. Immer wieder verkündete der Stadionsprecher "ausverkauft", obwohl viele Sitze leer blieben. Aber die verfügbaren Infos zur Liga reichen von einigen Hundert Zuschauern bis zu fünfstelligen Zahlen bei Rekordmeister al-Sadd SC. Der spielt allerdings nicht in einem WM-Stadion.

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Das Education-City-Stadion soll das neue Nationalstadion der katarischen Frauennationalmannschaft werden, was sich als Ankündigung gut liest, allerdings den Schönheitsfehler hat, dass das letzte offizielle Länderspiel des Teams 2014 stattfand. Einen Termin für das erste Länderspiel nach acht Jahren gibt es noch nicht, aber nun immerhin ein Nationalstadion.

Bleiben die beiden größten Schüsseln dieser WM. Das Al-Bayt-Stadion im Norden von Katar, Austragungsort des Eröffnungsspiels und einem Beduinenzelt nachempfunden, soll ebenfalls von 60 000 auf 30 000 Plätze reduziert werden, man wolle ein "Boutique-Hotel" integrieren, das Stadion soll Gemeinschaftsräume beherbergen. Beim Final-Stadion in Lusail reicht die Ankündigung nur soweit, dass man "verschiedene Optionen" in Erwägung ziehe. Von Schulen bis zu einer Art Klinik sei angeblich alles denkbar.

Im Lusail-Stadion findet das Endspiel statt. Und dann? (Foto: Matthias Koch/Imago)

Die Pläne bleiben vage, fest steht allerdings auch, dass die Sportstrategie des Emirats mit der WM nicht endet. 2030 finden die Asienspiele in Doha statt, eine Art Kontinental-Olympia. 2036 sollen es dann die Olympischen Sommerspiele sein, WM-OK-Chef Hassan al-Thawadi sagte, der Wille und die Motivation des Landes, Olympia auszurichten, liege "auf der Hand".

Eine Art der direkteren Nachnutzung fiel Katar quasi in den Schoß. Weil China im Mai 2022 die Ausrichtung des Asien-Cups, der als Kontinentalturnier mit der Fußball-Europameisterschaft vergleichbar ist, wegen der Corona-Pandemie zurückgab, sprang Katar spontan ein. Das Turnier wird vermutlich - ein bekanntes Muster - wegen der hohen Temperaturen vom Sommer 2023 in den Winter 2023/24 verlegt, 24 Nationalteams werden 51 Spiele in den Arenen austragen.

Nach der WM in Südafrika wurde das Stadion in Kapstadt zum vielleicht bekanntesten weißen Elefanten der Welt. Der Legende nach wollte der damalige Fifa-Präsident Sepp Blatter unbedingt, dass es vor der malerischen Kulisse des Tafelbergs steht, unabhängig davon, ob es sinnvoll ist, dort ein Stadion hinzustellen. Wenige Jahre später wurde in Kapstadt offen der Abriss diskutiert - der Stadt wurden die laufenden Kosten zu hoch. Zumindest dieses Szenario kann man in Doha ausschließen. Katar wird auch in fernerer Zukunft genug Geld haben, um eine ganze Herde an weißen Elefanten durchzufüttern. Auch wenn sie nur rumstehen sollten.

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