Springreiten:Ringkampf im Sattel

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Keine Angst vor Veränderungen in der Szene: Der renommierte "Große Preis von Aachen" (hier die Überraschungssieger von 2022, Gerrit Nieberg auf Ben) soll durch die Reform im Springreiten nicht an Wert verlieren. (Foto: Rolf Vennenbernd/dpa)

Die besten Springreiter starten dort, wo es hohe Preisgelder gibt. Darauf reagiert der Weltverband nun mit der neuen "League of Nations". Der Standort Aachen ist nicht mit dabei - das hat mit zwei Uhrenherstellern zu tun.

Von Gabriele Pochhammer

"Die Idee ist gut, aber sie kommt fünf Jahre zu spät", sagt Springreiter-Bundestrainer Otto Becker. Mit einem Geldschub will die Internationale Reiterliche Vereinigung (FEI) das Interesse der Topreiter an den Nationenpreisen wieder beleben. Zwei Umläufe, vier Reiter pro Nation, davon drei gewertet - so wird nahezu unverändert seit 1909 der Klassiker des Pferdesports entschieden. Solange die Kasse, sprich das Gewinngeld, stimmte, fühlte sich die Sattel-Elite geehrt, wenn sie in ein Team berufen wurde. Aber im Vergleich zu anderen Serien stimmte die Kasse schon lange nicht mehr. Und die Begeisterung der Stars ließ im selben Maße nach, in dem es woanders mehr Geld zu gewinnen gab, Tradition hin oder her.

"Man hat zu lange gewartet, bis die Situation so festgefahren ist, wie sie jetzt ist", sagt Becker. "Die Entscheidung, jetzt eine Top-Serie zu machen, ist richtig. Fünf Turniere mit einer angemessenen Dotierung sollen ausgesucht werden. Das unterstützen wir und hoffen, die Top-Reiter wieder zu den Turnieren zu bringen."

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Die Fünfsterne-Serie, also die höchste Kategorie, soll im nächsten Jahr starten und bekommt einen neuen Namen, "League of Nations", und dreimal so viel Preisgeld wie bisher. Zudem wird sie von zehn auf fünf Qualifikationsturniere eingedampft - mit einem Finale, voraussichtlich wie bisher im September in Barcelona. Womöglich bekommt sie obendrein einen neuen Modus: Im zweiten Umlauf fangen alle wieder bei Null an (bisher wird addiert), Reiter und Pferde können ausgetauscht werden. Drei Qualifikationen sollen in Europa ausgetragen werden, zwei in Übersee. Die FEI hat ein Bewerbungsverfahren für die möglichen Standorte angekündigt, ansonsten sind viele Details noch offen.

Eine deutsche Station wird es voraussichtlich nicht geben, denn das CHIO Aachen läuft auch weiterhin außerhalb der FEI-Serie. Die Gründe dafür haben nichts mit dem Springsport zu tun, sondern mit der Vermarktung. Der Sport ist längst zur Arena für die Ringkämpfe zweier Produzenten von Luxusuhren geworden. Als 2018 Longines, Titelsponsor der FEI und der Weltranglisten, auch bei den Nationenpreisen einstieg, gab es Probleme - denn einige der bedeutendsten Turniere wie Aachen und Calgary wurden vom Konkurrenten Rolex gesponsert, und das seit vielen Jahren. Aachen und Calgary blieben bei Rolex und schieden damit aus der Division 1 aus, also aus der ersten Liga für die weltbesten Teams - was der Popularität des Aachener Nationenpreises freilich keinen Abbruch tat.

Denn der Sponsor reagierte schnell, schuf den Rolex Grand Slam, eine Serie, der außer Aachen und Calgary auch die Indoor-Turniere Genf und Hertogenbosch angehören, mit Gewinnmöglichkeiten, die es im Springsport bis dahin nicht gab. Der Große Preis von Aachen 2023 ist mit 1,5 Millionen Euro dotiert, davon 500 000 für den Sieger, mit Aussicht auf weitere bis zu siebenstellige Prämien bei folgenden Siegen in der Serie.

36 Millionen Euro werden bei den beiden Global-Champions-Serien ausgeschüttet

Insgesamt investiert Rolex für die Großen Preise, also das jeweilige Hauptspringen, fünf Millionen Euro pro Jahr. Auch der Aachener Nationenpreis wurde dank Sponsor Mercedes-Benz kräftig aufgestockt. Hier wird ebenfalls eine Million Euro unter acht Teams verteilt, da nahmen sich die 200 000 Euro plus 50 000 für den besten Reiter oder die beste Reiterin der Longines-Serie aus Reitersicht eher bescheiden aus, ab 2024 soll es 750 000 Euro geben. Die Großen Preise der renommierten CSIO La Baule (Frankreich) und Rom werden inzwischen ebenfalls von Rolex gesponsert, ohne allerdings zum Grand Slam zu gehören, die Nationenpreise werden von anderen Sponsoren finanziert.

Noch sattere Gewinne locken indes bei der Global Champions Tour und der Global Champions League, in der sich Longines ebenfalls engagiert. Die Geldverteilung wird nicht sehr transparent gehandhabt; wie es heißt, werden 36 Millionen Euro in der gesamten Serie aus 16 Turnieren ausgeschüttet, darunter 8,25 Millionen beim Finale in Prag, den "Playoffs" im Herbst. Die multinationalen Teams müssen sich in die Serie einkaufen, auch Wild Cards sind zu erwerben, sodass am Ende zumindest ein Teil des Gewinngeldes von den Reitern selbst beziehungsweise von ihren Sponsoren und Pferdebesitzern stammt.

Um ihre Nationenpreise zu retten angesichts all dieser Konkurrenz, musste die FEI also etwas tun. Zunächst wurde mit Hilfe einer "Task Force" in Windeseile das Reglement geändert, um nicht bis zur Generalversammlung im November warten zu müssen. Die FEI sicherte sich das Recht, den Veranstaltungsort der Qualifikationen, jeweils ein CSIO5*, auszuwählen. Normalerweise steht das den nationalen Verbänden zu. Schon vor einigen Jahren hatte die FEI versucht, dieses Recht an sich zu reißen, scheiterte aber am Widerstand mehrerer Nationen, unter anderem Deutschland. Jetzt stimmte der deutsche Verband zu. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass die FEI mit einem zweiten deutschen Fünfsterne-CSIO eine Konkurrenz zu Aachen aufbauen würde," sagt Soenke Lauterbach, Generalsekretär der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN). Durch die Reglementänderung wäre das jetzt aber möglich, freilich nur für die Qualifikationen der neuen Serie.

In Aachen bleibt man gelassen, der Vertrag mit Mercedes-Benz wurde gerade verlängert. "Wir als Aachen sind da nicht betroffen, trotzdem haben wir deutlich gemacht, dass unserer Meinung nach die nationalen Verbände weiterhin den Austragungsort der O-Turniere bestimmen sollten", sagt Birgit Rosenberg, Vorstandsmitglied des Aachen-Laurensberger Rennvereins (ALRV). Aachen gilt weltweit als die Nummer eins unter den internationalen Reitturnieren und hat eine pferdebegeisterte Region im Rücken, aus der die Menschen zu Zigtausenden jedes Jahr in die Soers pilgern. Aber andere schlafen auch nicht. So sagt Ludger Beerbaum, auf dessen Anlage Riesenbeck International 2021 die Springreiter-EM ausgetragen wurde: "Mal sehen, wie sich die Dinge entwickeln. Vielleicht werden wir irgendwann auch den Hut in den Ring werfen."

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