Doping:Gewichtheber und Boxer: Olympias Kraftmeier dopen und bestechen

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Kasachstans Heber-Cheftrainer Alexey Ni (hinten) hat 27 positive Dopingtests zu verantworten. Macht aber nichts. In Rio feiert er das Gold seines neuesten Schützlings Nijat Rahimow. (Foto: Mike Groll/AP)

In den Disziplinen der starken Männer reiht sich Farce an Farce. Aber in Thomas Bachs Olympia-Familie sind viele willkommen. Auch Heroin-Dealer.

Von Thomas Kistner, Rio de Janeiro

Was tut sich eigentlich in der olympischen Fachabteilung Hauen, Reißen, Stoßen? Im Messekomplex Riocentro in Barra sind die Kraftmeier unter sich, Boxer und Gewichtheber. Sportarten, die von Kasachen, Armeniern und Usbeken, Georgiern, Bulgaren und Russen beherrscht werden, wobei die Heber diesmal ohne Letztere auskommen müssen. Neben den Leichtathleten wurde ja auch Moskaus Muskel-Armada kollektiv ausgeladen, Stichwort: Staatsdoping. Bulgariens Gewichtestemmer hat ihr offenkundiger Systembetrug ebenfalls eine kollektive Auszeit in Rio beschert.

"Dieser Trainer ist bekannt, er ist verantwortlich für die 27 Fälle"

Man darf das fast ein wenig unfair nennen, sieht man, wie ausgelassen Kasachstans Cheftrainer Alexey Ni mit seinem neuen Goldjungen Nijat Rachimow über die Matte im olympischen Pavillon 2 tanzte. Ihrer vier Olympiasieger von London 2012 sind die Kasachen leider verlustig gegangen, sie alle wurden bei Nachtests als Doper überführt. Was die Anzahl der kasachischen Dopingsünder auf rekordreife 27 Fälle in vier Jahren bringt.

Als Ni und Nijad ihren Goldtanz hinlegten, wandte sich der deutsche Bundestrainer Oliver Caruso angewidert ab. "Ich habe die Halle sofort verlassen", sagte er der ARD. "Dieser Trainer ist bekannt, er ist verantwortlich für die 27 Fälle. Oder das System in Kasachstan." Caruso ist bedient. Er sagt, er sei mit der Motivation angetreten, faire Wettkämpfe zu erleben, nun sei er maßlos enttäuscht, dass sich im Gewichtheben seit 20 Jahren nichts geändert habe.

Wo der Trainer Caruso wegläuft, spielt das Internationale Olympische Komitee begeistert mit. Die Verfahren zu den positiven Nachtests von Peking und London laufen immer noch, das IOC hat sich viel Zeit gelassen. Warum nur? Damit nicht noch mehr Länder schon für die Rio-Spiele der Bannstrahl traf? Kasachen, Weißrussen und Aserbaidschaner hatten sich mit zahlreichen Sündenfällen für den Rauswurf beworben. Aber die große Show, so sieht es aus, geht vor, bei den Spielen überstrahlt sie all den Pharma-Schmutz. Und wenn nachher die Medaillen gleich dutzendweise umverteilt werden müssen, dann schaut die Welt ja nicht mehr zu.

Russen, Weißrussen und Kasachen sollen ein Jahr gesperrt werden

Wie im Fall der Heberin Lidia Valentin aus Spanien. In London war sie auf dem vierten Platz gelandet, hinter den Medaillenrängen. Mittlerweile wurde sie am grünen Tisch Olympiasiegerin von 2012. Alle drei Kolleginnen vor ihr sind aufgeflogen. Aber wen kümmert das? Wer feiert das?

Dazu passt, dass am Dienstag der Heber-Weltpräsident, der Ungar Tamas Ajan, eine Garantie abgab, dass "alle Russen, Weißrussen und Kasachen eine einjährige Sperre erhalten werden". Nach den Spielen.

Wie es sich gehört im Gewichtheben, das mit 31 Positivfällen bei den Nachtests zu Peking 2008 und London 2012 das Ranking der Betrugssportarten souverän anführt, hat auch Nis neuer olympischer Rekord- und Wunderknabe Rachimow schon einen Dopingfall hinter sich. 2013 wurde er positiv auf Anabolika getestet, die zweijährige Auszeit nutzte der Aserbaidschaner, um von seinem Heimatverband nach Kasachstan zu wechseln. In Rio verriet er jetzt sein Erfolgsgeheimnis, das ihn im Finale 165 Kilo reißen und 214 Kilo stoßen ließ, Weltrekord in seiner Gewichtsklasse: "Wir trainieren, wenn normale Menschen schlafen. War der Schnee tief - Sie wissen, wie das ist in Kasachstan -, gingen wir nachts zum Trainieren raus." Wenn es so einfach ist, warum üben dann nicht viel mehr Kraftsportler eiskalt im Freien?

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Noch komfortabler als die Gewichtheber haben es die Boxer, nebenan in Pavilion 6. Der Amateur-Weltverband Aiba strich das Wort Trainingstests schon vor geraumer Zeit aus seinem Vokabular. Die Welt-Anti-Doping-Agentur Wada hat vor Monaten in einem 27-seitigen Report mit gehöriger Irritation vermerkt, dass die Aiba gar keine mehr mache: einen Trainingstest anno 2014, keinen 2015. Damit, rügten die Wada-Inspektoren, unterlaufe die Aiba nicht nur den Anti-Doping-Code, "sie versagt auch ihren sauberen Athleten den Schutz vor Doping". Wie ist es möglich, dass so ein Sportverband an den Spielen teilnehmen darf - wo doch das IOC laut Präsident Thomas Bach eine strikte "Null-Toleranz-Politik" zu Doping verfolgt?

Nun, vielleicht weil es eh schon egal ist, was einer intus hat - wo es ja noch ganz andere Wege gibt, um in Olympias Boxring für erwünschte Resultate zu sorgen. So hat das am Dienstag der irische Bantamgewichtler Michael Conlan festgestellt. Er sei um seinen Viertelfinalsieg über den Russen Wladimir Nikitin betrogen worden (den er tatsächlich grün und blau geschlagen hatte), schimpfte der Amateur-Weltmeister. Conlan schwor, nie wieder bei einem Aiba-Event zu boxen. "Die Aiba ist korrupt von unten bis oben, sie hat meinen Olympiatraum geraubt", erklärte Conlan nach der einstimmigen Punktniederlage, die fachkundige Beobachter in starkem Widerspruch zu dem sahen, was sie im Ring erlebt hatten. "Offensichtlich kann Russland diesmal nicht dopen, deshalb zahlen sie wohl den Kampfrichtern viel mehr", fügte Conlan hinzu.

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Ein Verband, der eine eigene Krimiserie verdient hätte

Schon tags zuvor, beim ebenfalls recht rätselhaften Gold-Triumph des Russen Jewgeni Tischtschenko gegen den Kasachen Wassili Lewit, hatte das Publikum den Kampf ganz anders gesehen - und den Sieger bei der Medaillenzeremonie in Anwesenheit Bachs kräftig ausgepfiffen.

Unschöne Töne sind das beim Fest der Weltjugend. Die Russen hielten dagegen, Punktrichterentscheide seien zu respektieren. Die Aiba suspendierte eine ungenannte Zahl an Richtern. Deren Urteile blieben aber bestehen.

So sind halt die Regeln. Die Aiba ist ein Verband, der im neuen, gleich nach den Rio-Spielen startenden olympischen Fernsehkanal eine eigene Krimiserie verdient hätte. Laut einem vertraulichen Report der Buchprüfer PricewaterhouseCooper, den das britische Magazin Private Eye einsehen konnte, besiegelte der Boxverband 2010 einen Kreditvertrag über zehn Millionen Dollar mit einer schillernden Firma in Aserbaidschan. Die soll wenig Interesse an der seit 2013 fälligen Rückzahlung zeigen, dafür aber auf gute Resultate der nationalen Boxer in Rio hoffen. Spekulationen, die manches erklären könnten.

Auch konnten die Prüfer den Weg einiger Millionen nicht nachverfolgen. Aiba-Chef Ching-Kuo Wu hatte demnach keine überzeugende Erklärung, was seiner Funktionärskarriere aber nicht geschadet hat. Der Taiwanese sitzt auch im IOC-Vorstand.

Der Vizepräsident der Boxer war laut FBI ein Heroin-Dealer

Sein Vizepräsident Gafur Rachimow, den er 2014 ins Amt holte, war im Jahr 2000 von Australiens Regierung bei den Sydney-Spielen ausgesperrt worden; das FBI hatte den Usbeken als führenden Heroin-Dealer im eurasischen Raum identifiziert und eine Sicherheitswarnung verhängt. Der Sportfunktionär Rachimow ist selbst im Zirkus der Preisboxer noch eine schillernde Figur. Nicht für seine Sportkollegen im Olymp, wohl aber für Amerikas Ermittlungsbehörden. 2012 fror das US- Finanzministerium seine Konten weltweit ein und benannte ihn per offizieller Mitteilung als Schlüsselfigur des eurasischen Verbrechersyndikats "Ring der Brüder".

2014 wurde dem inzwischen aus Russland operierenden Box-Repräsentanten in einem Bericht des US-Senders ABC vorgeworfen, er habe IOC-Mitglieder mit "Koffern voller Geld" bestochen, damit diese die Winterspiele 2014 an Sotschi vergeben. Ein Sprecher des Usbeken wies die Vorwürfe zurück, räumte aber ein, dass Rachimow seinen Einfluss für Russland geltend gemacht habe. Nur Monate, nachdem er 2014 erneut vom US-Finanzministerium belastet wurde, berief ihn der IOC-Vorstand Wu als Aiba-Vizepräsident.

Ring der Brüder. Brüder der Ringe.

Herr Wu aus Taiwan zählte übrigens zu denjenigen Kollegen von Thomas Bach, die bei der IOC-Session in Rio kurz vor Beginn der Spiele den Wada-Chef Craig Reedie genüsslich in die Mangel nahmen wegen dessen Vorschlag, alle Russen von den Wettkämpfen auszusperren. Schärfer im Ton agierte allerdings noch IOC-Kollege Ung Chang. Der ist aus Nordkorea.

Olympias Gewichtheber, Olympias Boxer: Im neuen Olympiakanal sollten sie künftig unter "OF" abzurufen sein. Für: Olympische Farce.

© SZ vom 18.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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