Wenn man das Skispringen umkrempeln könnte, wie würde das aussehen? Müsste man beim Wettkampf mit den Besten im Weltcup anfangen und den schlechtesten aufhören? Oder, eine Spur absurder, wieder zurückkehren zum Parallelstil? Doch braucht es gar keine Fantasie, dieser Sport ist in der Realität manchmal absurd genug, wie es am Samstagabend in Willingen passierte, da ereignete sich ein teils umgekrempelter Skisprungwettbewerb.
Es war zwar bei Weitem nicht das miserabelste Wetter in der Skisprunggeschichte. Aber viele der besten Springer dieses Weltcups strauchelten im Regen von Willingen nicht nur, sondern sie stürzten im übertragenen Sinne ab. Der Oberstdorfer Karl Geiger scheiterte früh. Stephan Leyhe erreichte auf seiner Heimschanze, immerhin als bester Springer des Deutschen Skiverbands (DSV), nur Rang 15. Und selbst Andreas Wellinger, jüngst erst Zweiter bei der Skiflug-WM, kam nur auf Platz 17 - ehe er sich anderntags wieder in seiner bewährten Form präsentierte und das zweite Springen der Veranstaltung vor Tournee-Gewinner Ryoyu Kobayashi aus Japan gewann.
Skispringerin Nika Prevc:Die Schweigsame mit den großen Flügeln
Nika Prevc, 18, ist die Jüngste aus einer slowenischen Skisprung-Familie. Ihre drei Brüder Peter, Cene und Domen haben schon viel gewonnen, doch wie es aussieht, werden sie von der kleinen Schwester bald überholt.
Zudem hatte es aus deutscher Perspektive an diesem verregneten Wochenende auch schon am Samstag einen hellen, ja grellen Silberstreifen gegeben. Dafür zuständig war die Oberstdorferin Katharina Schmid: mit Platz drei im ersten Springen der Frauen am Samstag - zudem reichte es für sie auch noch am Sonntag für Rang sechs.
Dieser eigentlich recht überschaubare Erfolg könnte nun tatsächlich Größeres auslösen. Denn Schmid war in den zurückliegenden zwölf Monaten von einer grandiosen Siegerphase in einen Karriereabschnitt gerutscht, der viele verzweifeln lassen würde. Im Februar 2023 hatte sie noch alle Konkurrentinnen hinter sich gelassen. Sie befand sich bei der Nordischen Weltmeisterschaft in Planica in einer derart überlegenen Verfassung, dass sie drei Goldmedaillen und zwei Bronzene gewann. Spielerisch sah das bisweilen aus.
Schmid hatte sogar zwischendurch den Weltcup verlassen, um in Ruhe die Abläufe neu zu verinnerlichen
Doch dies ist Skispringen. Ein Sport, der einem Athleten oder einer Athletin einen roten Teppich zum Sieg in einer ganzen Saison ausrollt - und sie im Jahr drauf durch einen langen Tunnel schickt. Auf eine Durststrecke, während der man den Faden verliert und immer verzweifelter immer neue Tricks versucht, um das, was man eben noch beherrschte, wiederzugewinnen. In dieser Lage befand sich nun diese Königin von Planica 2023 lange Zeit in der aktuellen Saison. Schon eingangs des Winters in Engelberg rang sie mit ihrer Verzweiflung: "Ich will es nicht auf die Schanze schieben. Wenn ich nur besser hüpfen würde, dann würde das gar nichts ausmachen."
Auch Bundestrainer Thomas Juffinger beobachtete, dass "die Katha sich ultraschwer tut". Auch er schien in diesen Wochen ratlos zu sein: "Es läuft noch nicht so zusammen, es ist eine zähe Phase." Vier, fünf Wochen verstrichen danach, bis sie zumindest Anschluss an die Besten gefunden hatte.
Schmid hatte sogar zwischendurch den Weltcup verlassen, auf die zwei Tage von Villach im Januar verzichtet, um in Ruhe zu Hause im kleinen Kreis die selbstverständlichen Abläufe auf der Schanze neu zu verinnerlichen. Als sie zurück war in der höchsten Serie, ging es wieder bergauf, einmal wurde sie sogar Zweite. Sie fand wieder Vertrauen in ihre Präzision, ihre Sprungkraft und ihr Gefühl in der Luft, was sie ja schon vor den Triumphen in Planica bewiesen hatte. Und langsam wurden in den Ergebnislisten die Ziffern vor ihrem Namen immer niedriger, bis sie nun, in Willingen, bei einer Drei angekommen war.
Die Bedingungen auf der Mühlenkopfschanze in Willingen, wo es bis auf 150 Meter hinab gehen kann, waren diesmal nicht nur nass, sondern auch warm und windig. Gerade deshalb dürfte Katharina Schmid, der zurzeit besten Deutschen, nun der entscheidende Schritt für eine Rückkehr gelungen sein. Platz drei im Weltcup mag für eine erfolgsverwöhnte Skispringerin keinen großen Sieg bedeuten, der in den Medien gefeiert wird. Aber er ist ein Beweis für sie selbst, dass sie es noch kann, womit weitere Sicherheit verbunden ist: das Abtauen der Zweifel, das Vertrauen, dass der Körper das schon von selber kann und sie ihn loslassen darf, im Augenblick des Absprungs.
Nun hat Schmid an einem windigen und verregneten Wettkampf in Willingen wohl wieder ein Stück weiter zur gewohnten Selbstverständlichkeit auf der Schanze gefunden. In den beiden Finaldurchgängen am Samstag und auch Sonntag jedenfalls zeigte sie jene Sprünge und Flüge, die einer Skispringerin Spaß machen: weit nach unten, fast bis zur grünen Linie. Außerdem auch rechtzeitig, ehe die Spur ganz dahin geschwommen war.