Eigentlich muss man sich Florian Wilmsmann als glücklichen Menschen vorstellen. Er ist der aktuelle WM-Zweite im Skicross, seit 2017 insgesamt 40 Mal in die Top Ten gerast, und er hat auch in diesem Weltcupwinter schon vier Mal das Podest geentert, was ihm in der Gesamtwertung aktuell Platz drei beschert - sehr viel besser geht es nicht. Aber genau da liegt der Hund begraben. "Klar klingt das gut", sagt Heli Herdt, der Sportliche Leiter für Skicross des Deutschen Skiverbands, "es läuft ja auch gut. Aber wirklich zufrieden ist er nicht." Zweimal hatte Wilmsmann schon mit dem Wetter Pech und einmal, als angeblich das verbotene Gleitmittel Fluor an seinen Skiern gefunden worden war. Der Verband erwog einen Einspruch gegen seine Disqualifikation, ließ es dann aber wegen der komplizierten Beweisführung bleiben. Jedenfalls hat es "eben noch nicht für einen Sieg gereicht in diesem Winter", erläutert Herdt, "er will halt den Weltcup gewinnen."
Derzeit liegen der Schweizer Alex Fiva und der Kanadier Reece Howden vor Wilmsmann, jedoch in Schlagdistanz von rund 60 Punkten. Sollte der Oberbayer beim Weltcup am Wochenende auf der Reiteralm in Schladming ganz nach vorn fahren, 100 Punkte kassieren und die Konkurrenz gleichzeitig passen, wäre Wilmsmann da, wo er schon lange hin will: ganz oben.
Die sechste Saison in Serie gehört der 28-Jährige zu den fünf weltbesten Skicrossern. Herdt sagt: "Der Wilmsi ist konstant gut, keine Frage, er hat sich all die Jahre durchgebissen." Was Wilmsmann fehlt: mehr Topplatzierungen bei Großereignissen. "Klar, die Vize-Weltmeisterschaft im vergangenen Jahr in Georgien war ein toller Erfolg", meint Herdt. "Aber er wäre auch gern auf der ganz großen Bühne, bei Olympia, vorn dabei gewesen."
Doch da spülte es Wilmsmann weit nach hinten: Platz 25 in Pyeongchang, Platz 21 vier Jahre später in Peking - ausgerechnet, als die mediale Aufmerksamkeit am größten war. Die Skicrosser teilen das Schicksal vieler Rand-Wintersportarten: Von den Weltcups sind im Fernsehen höchstens mal ein paar Minuten zu sehen, kein Vergleich zu TV-Mainstream-Sportarten wie Biathlon oder Skispringen. Als Sportsoldat in Bischofswiesen kann Wilmsmann vom Skicross leben; nur vom Preisgeld wäre das schwierig. 13 500 Schweizer Franken gibt es für einen Weltcupsieg, 7000 für Platz zwei, alles noch zu versteuern. Seit seinem Weltcup-Debüt vor acht Jahren hat Wilmsmann die volle Punktzahl zweimal kassiert, im Februar und März 2021.
"Spätestens bei Olympia 2026 wollen wir mit vier Frauen am Start sein", sagt Herdt
Der gebürtige Tegernseer wuchs in Holzkirchen auf, wurde von den Eltern in den Skiclub des TSV Hartpenning gesteckt, fuhr Skirennen und kam über die ältere Schwester Lisa Maria zum Skicross, mit 15, 16. "Ich hätte es nach den Schülerrennen nicht direkt in den Landeskader geschafft, und so bin ich mit ein paar Freunden zum Skicross gewechselt", erzählt Wilmsmann am Telefon daheim in Traunstein. Dadurch, dass er schon so lang dabei ist, sei er "beim Elemente fahren, starten und Heat-Fahren schon sehr eingefleischt", habe aber "ein paar Jahre gebraucht, um an das technische Level von ehemaligen Alpin-Europacup-Fahrern heranzukommen", gibt er zu: "Die haben schon andere Skills. Mittlerweile passt das aber auch sehr gut." Sonst wird man auch nicht Juniorenweltmeister, wie er 2017.
Profitiert hat der Skigymnasium-Absolvent vom Ausbildungssystem des Deutschen Skiverbands. Seit vielen Jahren veranstaltet der Verband mit einem Partner das sogenannte Pistenbully-Camp: Coaching-Tage am Allgäuer Stützpunkt in Grasgehren, für ein paar Dutzend 13- bis 16-Jährige. "Das ist kein Aussortier-, sondern ein Ausbildungs- und Förderungskonzept", erklärt Sportdirektor Herdt, der mit Verweis auf die Erfolge in der Nachwuchsliga Europacup nicht ohne Stolz sagt: "Da zahlt sich die konstante Nachwuchsarbeit schon aus." Unter den ersten 13 im Europacup sind derzeit sechs Deutsche; einer von ihnen soll auch auf der Reiteralm einen Weltcup-Startplatz bekommen.
Auch bei den Frauen, wo die Olympiadritte Daniela Maier nach Syndesmoseriss ausfällt und nur Johanna Holzmann auf Punktejagd geht, schaue es sehr erfreulich aus, sagt Herdt: "Unter den ersten Acht im Europacup sind vier Deutsche." Als größtes Talent sieht er Mattli Fersch aus Hindelang, Jahrgang 2006, im vergangenen Jahr Vierte bei der Juniorinnen-WM, nach einer Verletzung im Herbst nun wieder zurück und Medaillenkandidatin bei der Nachwuchs-WM Mitte April in Schweden. Auch Vroni Redder, Zweite der Juniorinnen-WM 2023, und die im Sommer von den Alpinen gewechselte Leonie Bachl-Staudinger rechnen sich dort Chancen aus. Herdt sagt: "Bei der WM 2025 in St. Moritz oder spätestens bei Olympia 2026 wollen wir mit vier Frauen am Start sein."
Beide Großereignisse hat auch Wilmsmann im Blick. Vor allem auf die olympischen Bewerbe in Livigno oder Innichen freut er sich: "Hauptsache wieder in Europa! Das ist schon ein Ansporn. Bei den letzten beiden Spielen war es zwar inspirierend, dabei zu sein, aber in einem Wintersportland wie Italien ist das schon noch mal was anderes." Den WM-Kurs in St. Moritz findet er "nicht so abwechslungsreich, eher monoton, da sehr boarderlastig: Kurve, Gerade, Kurve, Gerade - aber man kann es sich ja nicht aussuchen."
Da die zwei für Anfang März geplanten Weltcups in Oberwiesenthal mangels Schnee ausfallen, bleiben ihm nur noch fünf Rennen, um an die Spitze des Klassements zu stürmen. "Da ist noch ordentlich was drin", gibt sich der Bayer zuversichtlich. Auf der Reiteralm war er zuletzt zweimal Fünfter: "Das Gelände gefällt mir, ist ganz cool, da zu fahren." Gute Erinnerungen hat er auch an Veysonnaz: Den zweiten Weltcupsieg hat er dort eingefahren, im Vorjahr stand er im großen Finale. Und das schwedische Idre-Fjäll zum Saisonfinale? "Früher hab' ich immer damit gehadert, auf der langen Zielgeraden nie so richtig den Speed gefunden, aber letztes Jahr ging mit Rang fünf so ein bisschen der Knoten auf. Ich freue mich auf jedes Rennen." Es sei noch alles drin im extrem engen Feld: "Das wird ein offener Kampf hinten raus."