Deutsche Medaillen im Ski alpin:Mehr Norwegen wagen

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Schöne Aussichten: Das deutsche Team bejubelt Andreas Sanders Silbermedaille in der Abfahrt sowie die ungewohnt prominente Stellung im Medaillenspiegel. (Foto: Sammy Minkoff/Imago Images)

Der Erfolg der deutschen Schnellfahrer bei der alpinen Ski-WM ist das Produkt eines geduldigen Aufbaus, er ist aber auch der Entdeckung einer letzten Kernkompetenz geschuldet.

Kommentar von Johannes Knuth, Cortina d'Ampezzo

Man kann jetzt natürlich Ahnenforscher und Forensiker in die Spur setzen, bestimmt wäre auch ein Mandat für die Kanzlei Esecon drin. Die erste große Frage ist ja: Handelt es sich bei den Alpinen des Deutschen Skiverbands (DSV), die in Cortina d'Ampezzo zur Halbzeit drei Silbermedaillen in den Schnellfahrdisziplinen gewonnen haben, wirklich um aufrechte Flachländer?

Anreden wie "Flachland-Kira" ( Bild) machen sich wohl der Bilanzfälschung verdächtig; Kira Weidle, die Zweite der Abfahrt, wurde zwar in Stuttgart geboren, aber in Starnberg sozialisiert, in Sicht- und Rufweite der Alpen. Bei Andreas Sander, ebenfalls Silberinhaber in der Abfahrt, ist die Indizienkette dichter, er ist in Ennepetal-Rüggeberg aufgewachsen und hat seinen Sport auf einem knapp 400 Meter hohen Hügel erlernt, ehe er an die einschlägigen Ski-Internate zog.

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Auch wenn sich Mikaela Shiffrin und Marco Schwarz aufrichtig über ihre WM-Siege freuen: Die alpine Kombination ist auch in Cortina d'Ampezzo der Langzeitpatient unter den Disziplinen - das erzählt einiges über Machtspiele auf der sportpolitischen Piste.

Von Johannes Knuth

Jetzt ist der 31-Jährige der erste urkundlich erwähnte Westfale auf einem alpinen Siegerpodest (die erste Westfälin war eine gewisse Katja Seizinger aus Datteln). Aber allein der ebenerdigen Herkunft ist es wohl kaum geschuldet, dass die Deutschen gerade im Verbund jene archaischen Schnellfahrdisziplinen zähmen, die früher meist ein Fall für alpine Ausnahmeerscheinungen waren, für die Mittermaiers, Seizingers, Wasmeiers und Tauschers.

Die Belobigten haben in Cortina immer wieder auf die bekannten Bausteine verwiesen: Der hochqualifizierte Betreuerstab, der seit Jahren unaufgeregt die Schienen des Erfolgs verlegen darf. Die Ausbildung fürs Kurvenfahren, aus der erst Sicherheit und Mut für Tempofahrten auf der Kante erwachsen. Der Austausch in allen Ressorts, in denen jeder Fahrer auch den Konkurrenten im eigenen Team stärkt, woran er über lange Sicht nur selbst wachsen kann. In Cortina war nun aber auch die Ausgangslage eine andere.

Felix Neureuther und Viktoria Rebensburg, die "Rennpferde", wie sie im DSV anerkennend gerufen wurden, weil sie auch dann Medaillen gewannen, wenn es alle von ihnen erwarteten - sie befinden sich mittlerweile im Ruhestand. Ihre Nachfolger zählten in Cortina nur zu den ambitionierten Außenseitern, wobei, was heißt nur? Die Kunst, bei einem Großereignis zu reüssieren, besteht ja auch darin, so lange an der Perspektive zu drehen wie am Schärferegler einer Kamera, bis die Aussicht stimmt; die Norweger mit ihrem Elder Statesman Aksel Lund Svindal waren über all die Jahre Großmeister darin.

In den Wortmeldungen der Deutschen schimmerte zuletzt jedenfalls viel norwegischer Sportpsychologie-Kolorit durch. Wenn sie Achte statt Zweite geworden wäre, sagte Weidle, 24, wäre die Welt auch nicht versunken, Cortina sei gewiss nicht ihr letztes Großevent. Sander, oft verbissen im Lichte der großen Gelegenheit, schwärmte davon, wie privilegiert er sei, in Lockdown-Zeiten vor einem Dolomitenpanorama seinem Beruf nachgehen zu können.

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Und Romed Baumann, von dessen Ruhe und Erfahrung sie im Team schon lange zehren, hatte in Cortina eine Chance gewittert, die er in Österreich nicht mehr bekommen hatte, weil der Konkurrenzkampf dort zwar zu großen Erfolgen führt, aber immer auch auf Kosten anderer geht - eine Mentalität, die sie sich im DSV bei ihrer traditionell eher schmalen Personaldecke nicht leisten können.

Bei der WM bricht nun übrigens die Woche der traditionell erfolgreicheren Techniker an, jetzt kommen die Tage von Alexander Schmid, Stefan Luitz und Linus Straßer, die auch nichts gewinnen müssen, aber viel gewinnen können.

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