Auf den ersten Blick war alles wie immer. Die Stadionsprecher schrien gegen die Ruhe im weitgehend zuschauerfreien Zielraum an. Die Medaillen für die Besten der alpinen Kombination waren nicht etwa aus Schokolade, sondern aus vollwertigem Material gefertigt. Die Empfänger freuten sich aufrichtig, die Amerikanerin Mikaela Shiffrin, die nach vier WM-Titeln im Slalom und einem im Super-G jetzt ihren ersten in der Kombination gewann, auch der Österreicher Marco Schwarz, der sich um vier Hundertstelsekunden am Franzosen Alexis Pinturault vorbeigedrängelt hatte. Simon Jocher vom SC Garmisch beschloss seine erste WM-Teilhabe mit einem respektablen fünften Rang, der ihn "mega happy" stimmte. Aber so richtig war das Ziel von Cortina d'Ampezzo am Montag nicht gerade von weltmeisterlicher Stimmung erfüllt, und das lag nicht nur daran, dass beim finalen Slalom der Männer die Sonne allmählich hinter den Dolomiten versank und die Regie Musik auflegte, die einlud, sich umgehend zu einem Aperol auf der nächsten Restaurantterrasse einzufinden.
"Krankenakte Kombination", hat der Wiener Standard zuletzt getitelt, und das traf die Lage ziemlich gut. Die Kombination, der traditionsreiche Alpin-Zweiklang aus Geschwindigkeit und Technik, ist auch in Cortina der Langzeitpatient, der, man muss es so sagen, nur noch mit Apparaturen am Leben gehalten wird. Die Allrounder, die Stammkundschaft dieser Disziplin, sind weitgehend ausgestorben; die Profis erschließen sich lieber wenige Kerngeschäfte, weil die Spezialisierung weit fortgeschritten und der Weltcup-Kalender prall gefüllt ist. Vor gar nicht ferner Zeit führten Hochgeschwindigkeitsartisten wie Aksel Lund Svindal und Bode Miller noch hochseriöse Slaloms auf und gewannen Medaillen bei Winterspielen und Weltmeisterschaften. Aber jetzt?
Silber für Andreas Sander:Fast ein bisschen kitschig
Andreas Sander war über all die Jahre Gast in der Weltspitze - jetzt schlüpft der stille Westfale in die Hauptrolle und gewinnt Silber in der Abfahrt. Zu Gold fehlt eine lächerliche Hundertstelsekunde.
Auch am Montag reüssieren jene Slalomfahrer, die den Super-G am besten überstanden, der mittlerweile die Abfahrt ersetzt hat. Die Besten nach der ersten Speed-Übung starten zwar mittlerweile auch im Slalom als Erste (statt wie bisher in umgekehrter Reihenfolge); die unbefleckte Piste soll ihnen gegenüber den Technik-Fachkräften einen Vorteil verschaffen. Doch in der Praxis kam dieser Effekt bislang selten zum Tragen. Das lag in diesem Winter freilich auch daran, dass die Kombination nur bei dieser WM gefahren wird: Für den Rest der Saison reisen Speed- und Technikfahrer strikt getrennt, des Corona-Protokolls wegen.
Die Parallel-Rennen sollten 2022 olympisch werden - bis ein Manöver vor zwei Jahren den Plan kippte
Aus dem Spielplan gekippt hat die Kombination bislang aber auch niemand, sie wird auch 2022 in Peking olympisch sein. Der Ski-Weltverband Fis hatte ursprünglich andere Pläne, er wollte die Parallelrennen, die 2018 mithilfe des Teamevents ins Olympiaprogramm eingegliedert wurden, 2022 auch als Einzelwettbewerb für Frauen und Männer an den Start bringen; in Cortina geben diese Rennen am Dienstag ihre WM-Premiere. Die Kombination sollte dafür weichen. Vor zwei Jahren beschloss der Fis-Rat in Are dann aber plötzlich, der Kombination doch nicht die Lebensader zu kappen, sie verbleibt erst mal im olympischen Programm, bei der WM findet sie nun zusätzlich zu den Parallelrennen statt, denen nun vielleicht doch nicht die Zukunft gehört oder vielleicht doch. Alle Klarheiten beseitigt?
Die treibenden Kräfte hinter dem Manöver in Are waren die Skinationen, die auch auf dem sportpolitischen Piste meist die beste, nun ja, Materialabstimmung finden: die Schweizer und die Österreicher. "Wenn ich mir so die Parallel-Bewerbe im Weltcup anschaue", sagte Peter Schröcksnadel, der mächtige Präsident des Österreichischen Skiverbands vor zwei Jahren, "dann sind die Formate nicht so, dass mich die überzeugen". Zur ganzen Wahrheit gehört freilich, dass es zufällig Schweizer und Österreicher sind, die in der Kombination noch immer viele Medaillen gewinnen. Wolfgang Maier, der Alpindirektor im Deutschen Skiverband (DSV), sprach schon vor zwei Jahren von "Einzelinteressen" und einem Paradebeispiel dafür, wie Reformen in den Mühlen von Verbandsgremien zermahlen werden. Die Auswirkungen lassen sich in Cortina am Zeitplan ablesen: 14 Tage, 13 Rennen, die aufgrund des zunächst schlechten Wetters nun zum Teil parallel durchgepeitscht werden, wie beide Kombinationen am Montag. Das Programm sei "viel zu dicht gedrängt", sagt Maier heute, er plädiert, sich künftig auf die etablierten Disziplinen zu beschränken: Abfahrt, Super-G, Riesenslalom, Slalom und den Teamwettbewerb im Parallelformat.
Der DSV hatte in den vergangenen Jahren vermehrt die Parallel-Formate statt der Kombination gefördert, im Glauben, dass letztere ja bald abgewickelt würden. Die Fis hatte die Parallelrennen vor einigen Jahren auch als Format der Zukunft präsentiert, Fahrer gegen Fahrer auf einem knackigen Kurs im K.-o.-Format, das sollte auch eine jüngere Kundschaft ansprechen. Der Weltverband schaffte es dann allerdings, das simple Format so zu verkomplizieren, dass manche Fahrer im Vorwinter drohten, die Rennen zu boykottieren. Die größten Kritikpunkte sind mittlerweile behoben, es gibt wieder einen Hin- und Rücklauf pro Runde, weil die benachbarten Fahrspuren für die K.-o.-Duelle nie ganz einheitlich sind. Aber ein klares Bekenntnis zu dieser Disziplin hat die Fis so auch nicht gerade abgelegt.
Im DSV haben sie sogar noch immer ein paar fähige Kandidaten für die Kombination im Stall, neben Jocher auch Linus Straßer und Stefan Luitz, die sich wegen ihrer Verletzungen zuletzt in Cortina nun aber auf Slalom bzw. Riesenslalom und die Parallelrennen konzentrieren. Im kommenden Olympiawinter wolle man die Drei auch wieder im alpinen Zweikampf aufbieten, hatte Cheftrainer Christian Schwaiger zuletzt im Gespräch gesagt. Dann müsse man schauen, wie es weitergehe, mit dem Langzeitpatienten.