Sebastian Vettels Aufholjagd in der Formel 1:Angriff auf den spanischen Hamster

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Die Formel-1-Saison läuft auf ein knappes Finale zu - so wie 2010, als Sebastian Vettel den Führenden Fernando Alonso noch abfing. Nach seinem überzeugenden Sieg in Singapur sieht sich der Deutsche psychologisch im Vorteil.

Elmar Brümmer, Singapur

Die letzten beiden Runden beim Großen Preis von Singapur werden gar nicht mehr gefahren, weil das Zeitlimit von zwei Stunden überschritten ist. Sebastian Vettel wirkt erlöst, als er nach neun Rennen wieder einen Siegerpokal in der Formel 1 entgegennehmen kann. Er greift die kreisrunde Trophäe, und spielt damit, als ob er noch im Cockpit seines Red Bull sitzen würde. Eine Pantomime mit klarer Botschaft: Auto hat gehalten, das Nervenkostüm auch - der Champion hat das Steuer fest in der Hand. Plötzlich sind auch die hessischen Sprüche wieder da: "Es hat lang gedauert - aber besser als nie."

Konkurrenten um den WM-Titel: Fernando Alonso (rechts) und Sebastian Vettel. (Foto: dpa)

Es dauert dann noch etwas länger, bis Vettels zweiter Saisonsieg offiziell ist. Bis drei Stunden nach Rennende bearbeiten die Kommissare eine Vielzahl von Zwischenfällen, für die der Marina Bay Street Circuit immer gut ist. Vettel, der nach dem Ausfall von Lewis Hamilton die Führung geerbt hatte, wärmte am Ende der ersten Neutralisierung Reifen und Bremsen auf, indem er Schlangenlinien fuhr.

Kurz vor der Freigabe des Rennens wurde er plötzlich so langsam, dass der ihm folgende Jenson Button fast ins Heck gekracht wäre. Wütend funkt der Brite an den Kommandostand, man möge sich beim Renndirektor beschweren. Button, der Zweiter wird, hat den Vorfall bei der Siegerehrung wieder vergessen, aber die Ermittlungen laufen.

"Bremstest" nennt sich das im Rennfahrer-Jargon, wenn so etwas absichtlich geschieht - was in Vettels Situation so unsinnig wie gefährlich gewesen wäre. Der Heppenheimer weist bei seiner Anhörung auf die Eigenheit des winkligen Straßenkurses von Singapur hin. Die Piloten müssen dem Safety Car in einem bestimmten Abstand folgen, nicht zu nah und nicht zu weit weg. "Aber in manchen Kurven sieht man das Auto gar nicht mehr", sagt Vettel - dann zählen die Fahrer einfach den Sekundenabstand. "Da muss nur einer einen Moment zu lange aufs Lenkraddisplay oder nach links oder rechts gucken, und schon kann es passiert sein", weiß er aus Erfahrung.

Die Rennleitung folgt seiner Argumentation. Freispruch. Sein Teamkollege Mark Webber kommt wegen eines Ausweichmanövers, bei dem er die Strecke verlässt, nicht ungeschoren davon - 20 Sekunden Zeitstrafe und Verlust eines WM-Punktes. Wäre Vettel zurückgestuft und dann als Vierter gewertet worden, wäre das Titelrennen wohl zu Gunsten von Ferrari-Pilot Fernando Alonso gelaufen - so aber hat der Titelverteidiger bei noch 150 zu vergebenden Punkten 29 Zähler Rückstand.

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Elmar Brümmer, Singapur

Die erste nachträgliche Bestrafung resultiert aus einer ebenso typischen Straßenkurs-Szene, die in der Runde nach dem Vettel-Button-Manöver passiert. Michael Schumacher will mit seinem Silberpfeil außen an Jean-Eric Vergne und Sergio Perez vorbeischießen, die Seite an Seite um Platz zehn kämpfen. Schumacher knallt dabei ins Heck des Toro Rosso von Vergne. Es sieht ganz danach aus, als habe der Rekordweltmeister zu spät gebremst. Weil man sich das kaum vorstellen kann an dieser übersichtlichen Stelle, wird zunächst ein technischer Defekt vermutet.

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Elmar Brümmer, Singapur

Schumacher, der vom 21 Jahre jüngeren französische Rookie keine Vorwürfe, sondern nur ein aufmunterndes Schulterklopfen bekommt, gesteht später seinen Fahrfehler ein: Er habe wohl den durch die Safety-Car-Phase veränderten Reifendruck bei der Ermittlung seines Bremspunktes falsch eingeschätzt. Das schnelle Geständnis führt dazu, dass die Rennleitung ihm für das nächste Rennen eine Zurücksetzung um zehn Startplätze aufbrummt.

Sebastian Vettel könnte mit seinem nächsten Sieg, es wäre Nummer 24, in der ewigen Bestenliste mit dem großen Juan-Manuel Fangio gleichziehen. Stadtkurse haben ihre eigenen Gesetze, aber über Singapur hinaus bleibt die Tagesform beim Auf und Ab in dieser Saison entscheidend - so ist ein Teil des Red Bull-Aufschwungs der weichen Reifenmischung geschuldet, die derzeit vorgeschrieben ist. WM-Spitzenreiter Fernando Alonso ist durch die Kapriolen auf Platz drei vorgespült worden, seine zurückhaltende Hamster-Taktik ging einmal mehr auf.

Aber natürlich hat der Spanier das Finale 2010 im Hinterkopf, als ihn Vettel auf der Zielgeraden der WM noch abfing. Vettel frohlockt insgeheim schon: "Wir erleben eine unglaubliches Rennjahr. Es kann so wohltuend sein - aber auch so grausam. Von jetzt an werden wir richtig Druck machen, und dann sehen wir mal, was passiert." Alonso kontert diese Andeutungen bei den öffentlichen Siegerinterviews mit einem schiefen Lächeln.

Sebastian Vettel sagt: "Wichtig ist, wenn's zählt." Er weiß: "Die Chance ist da, und der Schlüssel zum Erfolg ist, dass man an sich glaubt. 2010 waren wir in einer schwierigen Situation und haben trotzdem immer die Hoffnung behalten. Jetzt sind wir in einer ähnlichen Lage, und ich hätte nichts dagegen, wenn sich die Geschichte wiederholen würde."

© SZ vom 25.09.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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