Schwimm-Weltmeisterschaft:Gold gefunden in der braunen Suppe

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Erfolgreicher Auftakt vor der Skyline von Fukuoka: Leonie Beck gewinnt das erste Gold fürs deutsche Schwimm-Team. (Foto: Adam Pretty/Getty Images)

Leonie Beck vom SV Würzburg gewinnt zum Auftakt der Freiwasser-Wettbewerbe in Fukuoka gleich Gold - was die 26-Jährige auch ihrem Umzug nach Italien ins Seebad Ostia zu verdanken hat.

Von Sebastian Winter

Sie trug die Startnummer 32, doch am Ende stieg sie als Erste bei wechselhaftem Wetter aus dem welligen, aber nicht fürchterlich rauen Meer vor Fukuoka. Leonie Beck hat sich selbst und dem deutschen Schwimmen im ersten Freiwasser-Wettkampf der Weltmeisterschaft in Japan die erste Goldmedaille geschenkt.

Gelöst kam die 26-jährige Augsburgerin, die für den SV 05 Würzburg startet, aber in Italien lebt und trainiert, nach zehn Kilometern und 2:02:34 Stunden aus dem Seaside Momochi Beach Park. Ein Victory-Zeichen hier, Daumen hoch dort, bei der Siegerehrung hielt sie das einem Delfin nachempfundene WM-Maskottchen "Sealight" in der linken Hand, die Goldmedaille in der rechten. Und sie wirkte so entspannt und selbstgewiss, als hätte sie mit nichts anderem gerechnet, als bei diesem Marathon den Titel zu gewinnen.

Dass die Zehn-Kilometer-Distanz im 26 Grad warmen Wasser ein Höllenritt ist, merkte man Beck nach dem Zielsprint nicht an, sie lächelte in die Kameras. Dabei hatte sie ein furioses Finish zum Titel geführt, sie war nach der letzten Boje nach rechts aus der Vierer-Spitzengruppe ausgebrochen und an die Spitze geflüchtet. Chelsea Gubecka aus Australien lag am Ende 4,1 Sekunden zurück, die US-Amerikanerin Katie Grimes holte mit 8,3 Sekunden Rückstand Bronze. Die Mitfavoritinnen Sharon van Rouwendaal (Niederlande) und Ana Marcela Cunha (Brasilien) gingen als Vierte und Fünfte leer aus, während Becks Würzburger Teamkameradin Lea Boy es überraschend auf Platz sieben schaffte.

"Man sieht unter Wasser nicht sonderlich viel, es ist eine braune Suppe", sagte Beck später

Dass Beck sich aber völlig verausgabt hatte, bekannte sie in ihrer ersten Reaktion: "Die erste Hälfte war okay, ich habe versucht, ein bisschen Energie zu sparen, das war auch mein Plan. Aber am Ende war es sehr, sehr hart, da bin ich um mein Leben geschwommen", sagte Beck. Ihre Taktik, erst einmal im Mittelfeld zu schwimmen, kraftraubenden Zweikämpfen aus dem Weg zu gehen und wenig Führungsarbeit an der Spitze zu erledigen, ist voll aufgegangen. Und das bei nicht gerade einfachen Bedingungen: Der ablandige Wind machte es den Schwimmerinnen schwer, außerdem "sieht man unter Wasser nicht sonderlich viel, es ist eine braune Suppe", wie Beck später sagte.

In den Tagen zuvor war die Wasserqualität in der Bucht von Fukuoka nach schweren Regenfällen zum Thema geworden. Die deutsche Gruppe um Beck und Florian Wellbrock ließ das erste Training aus Sorge vor Keimen und Schmutz im Freiwasser aus. "Als wir gestern aus dem Einschwimmen gekommen sind, waren wir überall braun und grün", erzählte Beck. Aber die Grenzwerte wurden auch im Frauenrennen nicht überschritten, "alles gut also. Und sich jetzt schon für die Olympischen Spiele zu qualifizieren, war alles, was ich wollte", sagte die Siegerin. Nur die drei Bestplatzierten sichern sich bei dieser WM das Ticket für Paris 2024, es ist eines der Hauptziele auch des deutschen Teams. Außerdem war es der erste deutsche WM-Titel über die zehn Kilometer bei den Frauen seit 2001.

Zeigefinger hoch: Leonie Beck hat ihr Ziel erreicht. (Foto: Yuichi Yamazaki/AFP)

Ein Vorteil für Beck ist es nun, dass sie auf die ungünstig gelegene WM im Februar in Katar verzichten könnte, wo weitere Olympia-Plätze vergeben werden - sie kann stattdessen ihre Planung und ihren Fokus voll auf Paris legen. "In Katar möchte grundsätzlich niemand starten, weil das die Methodik komplett auseinander haut, die man seit Jahren hat", hatte Bundestrainer Bernd Berkhahn vor den Rennen mit Blick auf die WM gesagt.

Beck hatte vor einem Jahr bereits Staffel-Gold und zudem noch WM-Silber in Budapest gewonnen - über dieselbe Strecke wie nun beim Sieg in Fukuoka, dem größten Erfolg ihrer Karriere bislang. Ihre Entwicklung ist augenscheinlich, und die Gründe dafür führen nach Ostia, in jenes Seebad in Italien, wo Beck nach Abschluss ihres Medienkommunikations-Studiums seit knapp zwei Jahren lebt. Dort trainiert sie in der Gruppe des italienischen Olympiasiegers und Weltmeisters Gregorio Paltrinieri, was ihre Entwicklung auch im taktischen Bereich enorm forcierte.

Überglücklich: Leonie Beck profitierte in Fukuoka auch von ihrem Wechsel nach Italien in eine neue Trainingsgruppe. (Foto: Yuichi Yamazaki/AFP)

Sie mache dort ein bisschen mehr Krafttraining, mehr Stabilisation, es werde mehr Wert aufs Aufwärmen gelegt, berichtete Beck noch am Donnerstag vor dem WM-Start. Zehn Trainingseinheiten absolviert sie in Ostia pro Woche, zwischen 70 und 100 Kilometer, das Meer haben sie dort vor der Haustür. "Und manchmal stecken wir dann mit Bojen dort auch einen Kurs und trainieren", sagt Beck: "Die Zauberformel ist sehr, sehr viel schwimmen."

Die Trainingsgruppe sei für sie zur Familie geworden, eine zweite Heimat, nachdem sie in Würzburg nicht mehr so recht vorangekommen war. Mit dieser Gruppe ist sie vor gut drei Wochen ins erste Höhentrainingslager aufgebrochen, ein zweites folgte in Nagano, um sich auch an die Zeitumstellung zu gewöhnen. Erst dann schloss sie sich dem deutschen Team an, das seine Vorbereitung in Kumamoto absolvierte. Becks Sonderweg stört dort niemanden, und der Erfolg gibt ihr nun auch Recht.

Und auch ihre vor Jahren getroffene Entscheidung, ins Freiwasser zu wechseln, weil sie die Lust aufs Becken verloren hatte und auch nicht mehr die Chance sah, dort in die engere Weltspitze vorzudringen, entpuppt sich nun als goldrichtig. "Ich glaube, ich war diejenige, die es am meisten gewollt hat", sagte Beck nun, nach ihrem Goldrennen in Fukuoka. Und genau das ist der Kern jenes Wettkampfs, in dem den Athleten am Ende alles weh tut - und es nur noch um reine Willensstärke geht.

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