Schalke-Stürmer Klaas-Jan Huntelaar:Besser fußballern für die Zukunft

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Vor dem Europa-League-Duell mit Athletic Bilbao reift beim FC Schalke die Erkenntnis, dass das Spiel der Elf inzwischen zielsicher nach vorn führt. Dort steht Klaas-Jan Huntelaar und trifft und trifft und trifft. Der Verein könnte im Sommer viel Geld einnehmen, wenn er den Stürmer verkauft. Nur, wer will das jetzt noch?

Philipp Selldorf

Einer der vielen Gründe, warum Schalke 04 erfreuliche Zeiten erlebt und der nächsten denkwürdigen Europacup-Nacht entgegensieht, ist natürlich Klaas-Jan Huntelaar. Aber es gäbe keinen Torjäger Huntelaar ohne all das andere, was sich in Schalke gelungen zusammengefügt hat, weshalb das erste Kompliment, das Manager Horst Heldt am vorigen Wochenende nach dem 2:0 gegen Leverkusen einfiel, nicht dem doppelten Torschützen Huntelaar galt, sondern der gemeinschaftlichen Defensivarbeit.

Beides hängt im Übrigen zusammen. Der Innenverteidiger Kyriakos Papadopoulos etwa wird zum Angreifer, wenn er aus der Viererkette ins Mittelfeld ausrückt, um bei hohen Anspielen den Gegner aufzuhalten. Der junge Grieche ist bloß 1,83 Meter groß, aber es sieht meist so aus, als wäre er ein Drei-Meter-Riese, weil er in den Kopfballduellen immer über seinem Widersacher steht, selbst dann, wenn der - wie am Samstag Stefan Kießling - acht Zentimeter länger ist und als versierter Kopfballprofi gilt.

Papadopoulos ruft "Papa", wenn er mit Schwung in diese Zweikämpfe geht, das heißt so viel wie: Bahn frei. "Leo", das Codewort, das Fußballer früher in solchen Situationen benutzten, ist nämlich nicht mehr erlaubt, wie Schalkes Mittelfeldspieler Lewis Holtby berichtet. Aber Holtby braucht das Signal gar nicht, ihm genügt, was er sieht: "Wenn er dem langen Ball entgegengeht, dann drehe ich schon um und gehe nach vorne, denn der Papa hat die Lufthoheit."

Die Zweifel reichten im Sommer bis in innere Zirkel

Schalkes Spiel führt jetzt in allen Lebenslagen geradewegs und zielsicher nach vorn, das ist die Neuigkeit dieser Saison, und diese Reform ist der Grund, warum mittlerweile nach jedem Spiel Klaas-Jan Huntelaars Trefferquote das Thema ist. In den 38 Spielen, die er in der Bundesliga, im DFB-Pokal und im Europacup bestritten hat, hat er 40 Tore geschossen. Viele Beobachter haben ihm das nicht zugetraut, bevor die Saison begann. Die Zweifel reichten im Sommer bis in die innersten Zirkel.

Huntelaar, 28, von Felix Magath im Schnellverfahren für 14 Millionen Euro beim AC Mailand abgelöst, hatte kein besonders gelungenes erstes Jahr in Schalke. "Der Anfang war super, aber dann hatte ich eine schwierige Periode", erinnert er sich. Er war zwischendurch lange verletzt, es gab Unruhen wegen der Probleme mit Magath, vor allem aber gab es keinen Plan, um den kostbaren Mann ins Spiel einzubeziehen.

Oft bildete er den einsamen Vorposten und rieb sich dabei auf, ihm versprangen die Bälle, und in Laufduellen mit Strecke wirkte er langsam wie Mijnheer Huntelaar Senior. So bildete sich die Meinung, Huntelaar sei zwar ein starker Strafraumstürmer, aber fußballerisch arg limitiert. Er beschreibt es so: "Letztes Jahr haben wir viel mit langen Bällen gespielt, dann hast du mehr Zweikämpfe. Und wenn du immer Zweikämpfe machen musst, dann musst du erst mal richtig viel energy aufbringen, um den Ball zu holen."

Wie der Spielstil einer Mannschaft die Fähigkeiten ihrer einzelnen Mitglieder beeinflusst, das erfährt Huntelaar in diesem Jahr. Auch das Personal hat sich verändert, Fuchs schlägt von links Flanken wie einst Abramczik von rechts, neben den Angriffsgrößen Raúl und Farfán erweitern Draxler, Pukki und Obasi das Repertoire.

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Aber Huntelaar betont: "Jetzt kombinieren wir besser, spielen mehr Fußball, und wir kommen mit allen Mann nach vorn. Man hat mehr Möglichkeiten abzuspielen." Huntelaar ist nicht mehr nur auf sein 16-Meter-Revier beschränkt, er bietet sich auch auf den Flügeln und im Mittelfeld an und ist Teil eines tiefgreifenden Programmwechsels, dessen Wirkung er so betitelt: "So können wir alle besser fußballern."

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Als Mittelstürmer ist Huntelaar ein Vielfraß, er wird niemals satt von seinen Toren, und wenn er sonst auch ein unkomplizierter und lebenslustiger Mensch ist, so ist er auf dem Platz manchmal ein Wüterich, falls ihn der Mitspieler nicht bedient hat, obwohl er sich wieder geeignet postiert hatte. Aber er ist nicht manisch, er ist bereit, seine Beute zu teilen, in der Liga hat er zehn Torvorlagen gegeben.

Das Verhältnis zu den Toren, die er geschossen hat, ist zärtlich, Huntelaar spricht darüber so poetisch wie Bastler, die aus Streichhölzern den Eiffelturm nachgebildet haben. Neuerdings ist es ihm allerdings peinlich, wie üblich ins Detail zu gehen. Er fürchtet, dass es dem Mannschaftsgeist schaden könnte.

Nach dem Leverkusen-Spiel meinte er: "Wir machen es zusammen. Wenn ich zu viel über meine Tore rede, dann ist das scheiße." Als er jedoch gefragt wurde, ob er noch all seine 40 Treffer zusammenbekäme, versicherte er: "Ich denke, dass ich das kann, aber dann wird es spät heute, und ich muss noch zur Familie."

Notfalls zu englischen Tarifkonditionen

Die wohnt im 100 Kilometer entfernten Angerlo, wo Huntelaar kein abgeschotteter Star, sondern ein gewöhnlicher Dorfbewohner ist, der mit den Freunden aus Jugendtagen die Feste feiert, wie sie fallen. Sein Durchhaltevermögen bei solchen Anlässen wird als außergewöhnlich bezeichnet.

In dieser Umgebung hat sein Fußballerleben begonnen, beim VV Hummelo, dem er als Vierjähriger beitrat. "Weil mein Vater da Trainer war, musste er sowieso immer dorthin. Dann konnte ich mit und trainieren", erzählt Huntelaar. Schnell erkannte er seine Bestimmung: "Jedes Kind will den Ball haben und vielleicht auch ein Tor machen, so fängt es an. Manche gehen dann nach hinten, aber ich nicht: Ich wollte immer Tore machen."

Fußball war ein zentraler Lebensinhalt der Huntelaars, zum Leidwesen von Mutter Maud. Mit ihren Interessen für Malerei, Kultur und Tiere fand sie bei ihrem Mann und den drei Söhnen wenig Anklang. 16-jährig wechselte Klaas-Jan dann nach Eindhoven zum PSV, wo ihm Willy van der Kuylen, der Rekordschütze der Ehrendivision, als Trainer ein wichtiger Lehrmeister war. Die Profilaufbahn begann.

In Schalke hat die Karriere jetzt ihren Höhepunkt gefunden. Der Verein könnte im Sommer viel Geld einnehmen und eine Menge Gehalt sparen, wenn er Huntelaar ein Jahr vor dem Vertragsende 2013 verkaufen würde. Aber der Verein hat entschieden, den Mittelstürmer notfalls zu englischen Tarifkonditionen halten zu wollen. Besser fußballern hat seinen Preis.

© SZ vom 29.03.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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