Neuer Schalke-Trainer:Gefühle für den schlingernden Scheinriesen

Lesezeit: 3 min

"Ich will hier eine Siegermentalität implementieren": Karel Geraerts, der neue Cheftrainer des FC Schalke 04, am Montag bei seiner Vorstellung in Gelsenkirchen. (Foto: Maik Hölter/Team2/Imago)

In seiner bedauernswerten Gesamtlage verpflichtet der FC Schalke 04 Karel Geraerts als neuen Trainer. Der Belgier sei die "absolute Wunschlösung", sagt Sportvorstand Knäbel. Aber mutig ist die Entscheidung schon.

Von Ulrich Hartmann, Düsseldorf

Bereits am Samstag war der Belgier Karel Geraerts mit Frau und Kindern nach Gelsenkirchen gereist. Der 41-Jährige besichtigte beim FC Schalke 04 ehrfürchtig das Vereinsgelände und das Stadion - und am Sonntag sah er, womöglich etwas weniger erbaut, die 1:2-Niederlage gegen Hertha BSC. Es war die sechste Niederlage im neunten Zweitligaspiel für einen schlingernden Verein, als dessen neuer Trainer Geraerts am Montag offiziell vorgestellt wurde, mit einem Vertrag bis 2025.

"Schalke ist in Belgien ein massiver, ein großer Klub", betonte der Neue auf Englisch und ungeachtet einer historisch schwierigen Situation. Schalke ist Drittletzter in der zweiten Bundesliga und steht so schlecht da wie seit 34 Jahren nicht mehr, als man im April 1989 zehn Spiele vor dem Saisonende unter Trainer Peter Neururer Vorletzter im Unterhaus war und dem Abstieg anschließend nur knapp entrann.

SZ PlusMeinungFC Bayern
:Es wird kreuz und quer gequasselt

Ist der Trainer zu kreativ oder nicht kreativ genug? Was beim FC Bayern derzeit zu hören ist, ist die Fortsetzung der vielstimmigen Politik des Transferausschusses. Manch Wortmeldung ist nicht wirklich hilfreich.

Kommentar von Philipp Schneider

"Scheinriese", nennen Jim-Knopf-Fans einen fernen Hünen, der immer kleiner wird, je mehr man sich ihm nähert. So wirkt zurzeit Schalke womöglich auch auf ehrfürchtig Heranreisende aus Belgien. Aber über karge sieben Punkte aus neun Partien, über zuletzt drei Niederlagen in Serie, Platz 16, eine verunsicherte Mannschaft, über Abstiegskampf und Existenzangst - darüber wollte Geraerts am Montag im Keller der Arena nicht sprechen. "Als Junge habe ich zu Schalke hochgeschaut", erzählte er lieber, "Marc Wilmots hat hier gespielt, und als ich alles besichtigt habe, hat das Feeling sofort gestimmt - es ist wichtig, dass du etwas fühlst."

Etwas gefühlt hat Geraerts auch während der Partie gegen die Hertha, denn erstens war das ausverkaufte Stadion mal wieder höchst energetisch aufgeladen, zweitens habe er auf der Tribüne nach einer Viertelstunde über die Mannschaft zu seiner Frau gesagt: "Okay, ich sehe Potenzial!" Das klang womöglich erleichtert, und obwohl er in der 41. und 51. Minute zwei Gegentore mitansehen musste, gefiel ihm, wie sich die Schalker Mannschaft gegen die Niederlage wehrte. "Ich will hier eine Siegermentalität implementieren", sagte Geraerts tags darauf.

Warum sein Vertrag bei dem belgischen Klub nach einer starken Saison nicht verlängert worden war, mochte Geraerts nicht verraten

In der vergangenen Saison hatte er von sich reden gemacht, als er nach drei Jahren als Co-Trainer gleich in seinem ersten Jahr als Chefcoach Royale Union Saint-Gilloise in die belgische Meisterrunde, ins Halbfinale des Pokals und ins Viertelfinale der Europa League geführt hatte. In Belgien wurde Geraerts zum Trainer der Saison gekürt. In der Liga wurde sein Team am Ende Dritter mit einem Punkt Rückstand auf den Meister, in der Europa League scheiterte Saint-Gilloise nach einem Achtelfinal-Erfolg gegen Union Berlin im Viertelfinale an jenem Klub namens Bayer Leverkusen, der sich zur neuen Saison mit Geraerts ehemaligem Mittelstürmer Victor Boniface einen großen Fisch angelte.

Warum sein Vertrag bei dem belgischen Klub nach einer derart starken Saison nicht verlängert worden war, mochte Geraerts am Montag nicht verraten. "Das ist schwer zu verstehen, auch für mich", sagte er. Seit Juli war er vereinslos. Sein Nachfolger bei Saint-Gilloise ist der Deutsche Alexander Blessin.

Ist die Entscheidung für Geraerts in einer so komplexen Situation nicht ganz schön riskant? "Ich sehe das vor allem als eine mutige Entscheidung!", sagt Sportvorstand Peter Knäbel. (Foto: RHR-Foto/Imago)

Geraerts, der Schalker Sportvorstand Peter Knäbel und Sportdirektor André Hechelmann schwärmten am Montag unisono, wie sie in ihrem allerersten Gespräch miteinander stundenlang im Thema Fußball geradezu versunken waren, und wie sehr man sich in vielem einig sei. Doch als Knäbel dann gefragt wurde, ob es nicht eine ganz schön riskante Entscheidung sei, in einer so komplexen Situation einen Trainer zu verpflichten, der kein Deutsch spricht sowie keine Erfahrung im deutschen Fußball und der zweiten Liga und schon gar nicht im dortigen Abstiegskampf besitzt, da antwortete er: "Ich sehe das vor allem als eine mutige Entscheidung!"

Mit Mut und Zweckoptimismus und nach Thomas Reis und Matthias Kreutzer nun bereits mit dem dritten Trainer binnen weniger Wochen gehen die Schalker also ins weitere Programm, das nach der Länderspielpause ein Gastspiel in Karlsruhe vorsieht, danach ein Heimspiel gegen Hannover und drei Tage später das Zweitrunden-Pokalspiel beim FC St. Pauli. "Ich glaube fest an meine Philosophie, nämlich an die Bedeutung nicht nur der Taktik, sondern auch der Mentalität", betonte Geraerts.

Welche Grundformation er für diese Schalker Mannschaft sieht, die mit 20 Gegentreffern bisher die zweitmeisten der Liga kassiert hat und die drittschwächste Laufleistung zeigte, das wolle er zunächst im Training "erfühlen". Er selbst bringe aus seiner aktiven Fußballerzeit bei Klubs wie Brügge, Lüttich und Charleroi jedenfalls weder eine grundsätzlich offensive noch eine defensive Ausrichtung mit. "Ich war Achter", sagte er lächelnd, da habe man beide Richtungen abdecken müssen.

Dass die Schalker angesichts ihrer bedauernswerten Gesamtlage Probleme bei der Trainersuche gehabt haben könnten, wies Sportvorstand Knäbel zurück. Man habe eine stattliche Liste von Bewerbern abgearbeitet, verriet er. "Der FC Schalke zieht bei Trainern - auch in seiner aktuellen sportlichen Situation." Der nun präsentierte Geraerts sei die "absolute Wunschlösung" gewesen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusMeinungKrisen von Schalke und Hamburg
:Traditionsklubs müssen die Kraft der Massen besser nutzen

Die Mitgliederrekorde von Klubs wie Schalke und Hamburg zeigen auch: Attraktivität hat sich vom Leistungsprinzip entkoppelt. Für die Klub-Verantwortlichen sind das nicht nur gute Nachrichten.

Kommentar von Thomas Hürner

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: