2. Liga:Schalkes kleines Weihnachtswunder

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Hitziges Duell: Schalke und Trainer Dimitrios Grammozis holten ein beachtliches 1:1 im Hamburger Volkspark. (Foto: Tauchnitz /Nordphoto/imago)

Die beachtliche Schalker Leistung beim Hamburger SV könnte Trainer Dimitrios Grammozis den Job gerettet haben. Er richtet eine vorgezogene Neujahrsansprache ans königsblaue Volk.

Von Thomas Hürner, Hamburg

Die Sehnsucht nach einem besinnlichen Weihnachtsfest ist groß in der Bundesrepublik, das Jahr 2021 hat den Menschen einiges abverlangt und ihnen auch kräftige Nackenschläge verpasst. Nun wäre es freilich vermessen, eine Parallele herzustellen zwischen den Herausforderungen in der pandemischen Krise und der Aufgabenstellung, die ein Trainer des FC Schalke 04 in den vergangenen Monaten lösen musste. Worauf man sich aber einigen kann: Dimitrios Grammozis, 43, hat im März einen Job angetreten, in dem es lange wenig zu gewinnen gab.

Für einige Beobachter handelte es sich daher um ein kleines Weihnachtswunder, dass der griechische Coach am Samstagabend noch beruflich in den Hamburger Volkspark reisen und eine vorgezogene Neujahrsansprache ans königsblaue Volk richten durfte. "Wir können mit einem guten Gefühl in die Pause gehen", sagte Grammozis, es klang wie ein Appell an die Schalker Anhängerschaft und ein Mahnruf an sich selbst.

Auch ansonsten ließ er kaum eine Möglichkeit aus, nach dem 1:1-Unentschieden beim HSV positive Botschaften hinauszusenden. Seine Mannschaft sei im Zweitliga-Spitzenspiel "brutal dominant" aufgetreten, befand der Trainer, sie habe den hanseatischen Widersacher "keinen Stich" machen lassen. Der HSV sei permanent "hinten rein gedrängt" worden, das Ergebnis insgesamt "schmeichelhaft" für die Heimelf. Und einen "Sieg verdient" gehabt, sagte Grammozis, hätten einzig und allein die Schalker.

Es sei "auf jeden Fall eine Entwicklung zu erkennen", sagte Schalke-Coach Grammozis

Die Aussagen des gebürtigen Wuppertalers hätten auch vor Gericht standgehalten, sie ließen sich faktisch leicht belegen. 29 Torschüsse haben die Schalker abgefeuert, sie haben 13 Eckbälle in den gegnerischen Strafraum geschlagen und mit ihrem mutigen Auftritt die im heimischen Stadion stets tonangebenden Hamburger in eine ungewohnte Rolle versetzt. Die Schalker haben sich auch nicht verunsichern lassen vom frühen Rückstand durch HSV-Stürmer Robert Glatzel (2. Minute), sondern schnell die Initiative übernommen und dann so lange auf den Ausgleich gedrängt, bis dieser nach einem Treffer von Verteidiger Ko Itakura kurz vor Schluss doch noch fiel (87.). Das vielleicht Wichtigste war aber: Verglichen mit der 1:3-Niederlage im Hinspiel, so Grammozis, sei "auf jeden Fall eine Entwicklung" zu erkennen gewesen.

Schalker Glück kurz vor Schluss: Die Spieler bejubeln Torschütze Ko Itakura (links). (Foto: Stuart Franklin/Getty Images)

Es war schon auffällig, mit welcher Vehemenz Grammozis sein Fazit zum Spiel und zur Schalker Gesamtlage vortrug. Der Coach sprach wohl auch in eigener Sache, denn der Druck auf ihn war enorm vor dem Duell zwischen den beiden gefallenen Traditionsklubs, die Bild hatte die Partie im Vorfeld bereits zum potenziellen "Job-Killer" für Grammozis erklärt.

Ein Trainerwechsel im Winter schien auf Schalke nicht mehr gänzlich ausgeschlossen

Zur Erinnerung: Schalke, das die Kunst des Scheiterns historisch schon perfektioniert zu haben schien, war es in der vergangenen Erstliga-Saison gelungen, die schlimmsten Erwartungen noch einmal zu unterbieten. Königsblau schien eine Phobie vor Siegen entwickelt zu haben, die Zwangsversetzung in die Zweitklassigkeit war früh besiegelt gewesen. Dennoch brauchte es einen Trainer, der den Traditionsklub erst palliativmedizinisch aus der ersten Liga begleitet, um dann das Wunder zu vollbringen, ihn im Unterhaus zurück ins Leben zu holen. Grammozis meldete sich zum Dienst.

Es war daraufhin nicht gerade zuträglich für den Coach, dass sich unter ihm die Niederlagen-Serie fortsetzte. Seine Autorität im Klub und sein Ansehen unter den Schalker Fans hatten Schaden genommen, was viele daran zweifeln ließ, ob er überhaupt noch der Richtige für die Mission Wiederaufstieg sein könne. Lange bekam Grammozis vom Schalker Sportdirektor Rouven Schröder sowie von Sportvorstand Peter Knäbel deren Solidarität ausgesprochen, obwohl in der zweiten Liga ein glanzloser Auftritt auf den anderen folgte. Zuletzt hatte es aber eher so gewirkt, als wollten die Verantwortlichen zumindest nicht mehr ausschließen, dass es im Winter eine neue Akzentuierung auf dem Trainerposten geben könnte.

Die jungen Spieler im S04-Kader übernehmen mehr Verantwortung

Insofern war es von besonderer Bedeutung für Grammozis, dass sich die im Sommer komplett umgebaute Mannschaft nicht nur stabilisiert hatte, sondern bei ihren Siegen in Sandhausen (5:2) und Nürnberg (4:1) auch beachtliche Kollektivleistungen darbieten konnte. Überdies lagen den 1:1-Unentschieden in Bremen und Hamburg jeweils Spielverläufe zugrunde, aus denen Schalke auch als Sieger hätte hervorgehen können. Königsblau, sagte Grammozis am Samstag, füge sich von Spiel zu Spiel "besser zusammen" - und steht nun in der Tabelle, punktgleich mit dem HSV, in aussichtsreicher Verfolgerposition im Kampf um den Aufstieg.

Zum neuerlichen Aufschwung haben aber auch individuelle Formsteigerungen insbesondere der jüngeren Akteure im Kader beigetragen: Verteidiger Itakura, 24, profiliert sich zunehmend als ordnende Instanz, Spielmacher Rodrigo Zalazar, 22, gewinnt an Einfluss aufs Geschehen, und Stürmer Darko Churlinov, 21, überzeugt durch seine freche Straßenfußballer-Attitüde. In weiten Teilen konnte so das Vakuum an erfahrenen Kräften kompensiert werden, das sich durch die Verletzungen der als Säulen eingeplanten Mittelfeldmänner Danny Latza und Dominick Drexler sowie des Torjägers Simon Terodde aufgetan hatte.

An diesem Montag soll es in Gelsenkirchen zu einer Generalanalyse kommen, bei der die Arbeit des Trainers bewertet wird. Nach dem Spiel in Hamburg klang der Schalker Sportdirektor Schröder jedenfalls nicht so, als stünden Grammozis unruhige Feiertage bevor. Er sagte: "Wir müssen fleißig bleiben und ambitioniert, dann kann es was werden."

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