Schalke verpasst die Rettung:Ein Abstieg in Würde

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Der FC Schalke 04 steigt aus der Bundesliga ab - trotz einer furiosen Rückrunde. (Foto: Cathrin Müller /Imago/MIS)

Stilles Drama statt großer Tragödie: Schalke steigt trotz einer starken Rückrunde in die zweite Liga ab. Was bleibt, ist Applaus, aber auch die Erkenntnis, dass eine Mannschaft auseinander fallen wird, die den Fans ans Herz gewachsen ist.

Von Philipp Selldorf

Ein Verfolgungsrennen zwischen rachsüchtigen radikalen Fans und Schalker Lizenzspielern rund um den Stadionring würde es nicht wieder geben, dies stand schon fest, bevor das letzte Kapitel der Punkterunde eröffnet wurde. Vor zwei Jahren waren die Fußballer am Abend des 1:2 bei Arminia Bielefeld, das den Abstieg aus der ersten Liga besiegelte, nach der Heimkehr aus Ostwestfalen von Anhängern empfangen worden, die sich nicht zum tröstenden Willkommen versammelt hatten. Selbst die eigentlich unantastbaren Alt-Schalker Mike Büskens und Gerald Asamoah bekamen den ziellosen Zorn zu spüren. Andere, Mark Uth vorneweg, mussten rennen, um den Jägern zu entkommen.

Auch diesmal wussten die Schalker Spieler nach dem finalen Auftritt vor dem erneuten Abstieg nicht, wie ihnen geschah, als sie den Fans gegenübertraten. Statt Zorn und Enttäuschung empfingen sie Anerkennung und Stolz. Die Fans nahmen ihre tieftraurigen Spieler symbolisch in den Arm, der Frust über den Abstieg wurde auf später vertagt.

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Diese Schalker Mannschaft hat zwar keine Zukunft, weil die meisten Profis den Verein verlassen werden, aber sie hat sich mit ihrem guten Geist und einer mitreißenden Aufholjagd im Abstiegskampf einen ehrenhaften Platz im Vereinsgedenken geschaffen. "Es tut weh, aber trotzdem ist man sehr, sehr stolz darauf, was die Mannschaft in der Rückrunde abgeliefert hat", sagte Asamoah, Teammanager und Sprachrohr der Schalker Seele. Keine Tränen flossen über seine Wangen wie damals in Bielefeld oder im Vorjahr beim wilden Ritt zum Aufstieg. Dieser Abstieg stellt sich eher als stilles Drama dar denn als typische Schalke-Tragödie.

Schalke schafft gegen Leipzig noch einmal den Anschluss - wie immer in der Rückrunde

Das 2:4 bei RB Leipzig hatte nochmal ein typisches Bild der in zwei gegensätzlichen Transferperioden behelfsmäßig konstruierten Mannschaft hinterlassen. Sie geriet in einem Spiel, in dem sie schon vorher zu einem Wunder verpflichtet war, geradezu abrupt 0:2 in Rückstand und hatte dazu mit punktuell ungenügendem Defensivverhalten einiges beigetragen. Was sollte noch passieren? Der Traum, als Außenseiter zu triumphieren - ausgeträumt nach 19 Spielminuten.

Aber Schalke hat im Laufe der Rückrunde gelernt, an Rückständen zu wachsen. Verteidiger Kaminski, nicht bekannt für Torgefahr, schaffte den Anschluss vor der Pause; Drexler und Bülter erzwangen im Duett das tollpatschige Eigentor von Orban, das gleich nach dem Wechsel den Ausgleich brachte. Schalke startete mit Mann und Maus zur Offensive auf das Siegtor - bis die unvermeidlichen Leipziger Konter und Tore von Poulsen und Nkunku das Hopp-oder-Topp-Abenteuer beendeten. Platz 16 kam in Sicht- aber nicht in Reichweite. Ralf Fährmann, in letzter Sekunde anstelle von Alexander Schwolow ins Tor zurückgekehrt, weinte bittere Tränen, und der 35-jährige Alt-Schalker war damit nicht der einzige in einem Team, das alles gegeben und trotzdem alles verloren hatte.

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Ein Saisonziel, wenngleich es natürlich nie ausgesprochen wurde, hat der Klub in der Rückrunde immerhin erreicht. Dank seiner nicht nur tadellos bemühten, sondern auf einmal auch sportlich gewappneten Mannschaft steigt Schalke 04 mit Würde ab. Es ist nur die B-Note, doch eingedenk des moralischen Zusammenbruchs vor zwei Jahren keine unwichtige Wertung. 22 Punkte sammelte das Team in der Rückrunde, die Bilanz eines Klubs im gesicherten Mittelfeld.

Die Altlast der Hinrunde, nach der man mit neun Punkten einsam am Ende der Tabelle stand, macht jedoch einen Strich durch die schöne Rechnung. Trainer Thomas Reis hatte als Nachfolger des unglückseligen Frank Kramer eine Mannschaft geformt, die es beinahe mit jedem Gegner hat aufnehmen können, doch er kam zu spät, um seine sportlichen Reformen zu krönen.

Anders als 2021 ist es diesmal ein geordneter Abstieg

Vergangenheitsbewältigung können sich die Schalker sparen. Der Trainer bleibt, ein großes Aufräumen erübrigt sich. Sportchef Rouven Schröder, dessen personelle Entscheidungen zum Desaster wesentlich beigetragen haben, ist längst bei RB Leipzig tätig. Auch für ihn mag dieser Abstieg eine schmerzhafte Erfahrung sein, das Gefühl der Verantwortung für den fünften Abstieg in Schalkes Klubgeschichte wird er vor sich selbst nicht leugnen können.

Im Sommer 2021 hatte Schröder in Tag- und Nachtarbeit den viel zu teuren Abstiegskader entrümpelt und dem hochverschuldeten Klub obendrein ein neues Team hingestellt. Diesmal wird der von Sportvorstand Peter Knäbel angeführte Expertenrat am Ernst-Kuzorra-Weg keinen Gewaltakt vollbringen müssen. Die Lizenz ist nicht in Gefahr, es ist ein geordneter Abstieg, die Eckpunkte des Budgets sind nicht nur definiert, sondern auch durch Liquidität gesichert. Die Schulden und das negative Eigenkapital limitieren gleichwohl die Bewegungsfreiheit.

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Sportlich ist der Vorsatz, im nächsten Sommer wieder an der Tür zur ersten Liga zu stehen, dennoch ein ambitioniertes Unternehmen. Die verlässlichsten Spieler der Rückrunden-Elf werden nicht mitgehen auf die Reisen nach Elversberg und Paderborn: Leihgabe Krauss muss zurück nach Leipzig; Leihgabe Jenz kehrt nach Frankreich zurück und Leihgabe van den Berg zum FC Liverpool; der tschechische Mittelfeldleader Král zieht weiter zu Union Berlin, Torjäger Terodde hat bereits die Trennung verkündet, auch der Japaner Yoshida verabschiedet sich. Die Liste der Verluste ist damit längst nicht vollständig. Auch der Verbleib von Bülter, dem besten Schützen und der von Spielmacher Zalazar ist trotz laufender Verträge nicht gesichert, auf dem Transfermarkt locken Angebote.

So trauern viele Schalke-Fans jetzt nicht nur um den verlorenen Platz in der Bundesliga, sondern auch um ein Team, das ihnen ans Herz gewachsen ist.

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