Schalke 04:Tolles Comeback - trotzdem ungenügend

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Der Verein würde sie liebend gerne binden - aber es ist kaum vorstellbar, dass Moritz Jenz (links), Sebastian Polter und Alex Kral in der kommenden Saison für Schalke 04 spielen werden. (Foto: David Inderlied/dpa)

Stilles Drama statt großer Tragödie: Schalke steigt nach einer starken Rückrunde in die zweite Liga ab. Was bleibt, ist Applaus, aber auch die Erkenntnis, dass ein Team wohl auseinanderfällt, das den Fans ans Herz gewachsen ist.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Großräumig sperrte der Sicherheitsdienst die Zugänge zum Vereinsgelände, in Kompaniestärke waren die Wachleute angetreten. Doch niemand erschien zur Abrechnung mit den Spielern, die am Nachmittag den fünften Bundesliga-Abstieg des FC Schalke 04 nicht hatten verhindern können und am Abend wieder in Gelsenkirchen eintrafen. Das 2:4 bei RB Leipzig bedeutete zwar das Ende aller Hoffnungen, bot aber keinen Anlass für aggressiven Furor. Es bleibt ein Rätsel, wie jemand auf die Idee kommen konnte, die Mannschaft könnte bei ihrer Heimkehr von radikalen Fans attackiert werden wie jene Schalker Fußballer, die vor zwei Jahren beim 0:1 in Bielefeld den letzten Schritt in den Abgrund vollendet hatten. Jener Person, die den Aufmarsch der Sicherheitskräfte angeordnet hatte, täte ein Nachhilfeseminar zum Thema Fan-Nähe und Fan-Verständnis gut.

Von Aufruhr und Wut unter den vielen Schalker Sympathisanten gab es in Leipzig nichts zu berichten. Die mutmaßlich gefährlichsten Schalker standen nicht im Block, sondern saßen auf der Haupttribüne. Die gesperrten Profis Simon Terodde und Moritz Jenz sowie der verletzte Mittelfeldspieler Tom Krauß nahmen ebenso wild wie emotional ergriffen Anteil, bis hin zum Tränenausbruch nach dem Abpfiff. Zehn Minuten vor Schluss hatte den Schalkern die Tür zur Relegation noch offen gestanden, ein einziges Tor hätte genügt - doch den entscheidenden Treffer setzte Leipzigs Yussuf Poulsen per Konter.

Nun gibt es ein weiteres Jahr zweite Liga, doch Schalke fällt anders als vor zwei Jahren nicht ins Ungewisse. Die finanziellen Verhältnisse sind bescheiden, aber geordnet. Man muss nicht mit Gewalt viel zu teure Profis abfinden, um den Konkurs abzuwenden. Ein tragfähiger Kern der Mannschaft bleibt erhalten, der Cheftrainer Thomas Reis wird eher zum Ehrenbürger Gelsenkirchens ernannt, denn wie üblich nach verpasstem Saisonziel gefeuert. Dass er die Arbeit fortsetzen wird, steht schon lange fest. Man habe "eine komplett andere Situation als vor zwei Jahren nach dem in erster Linie desaströsen Abstieg", sagt Sportvorstand Peter Knäbel. Wo bleibt das übliche Drama?, möchte man fast fragen.

In der isolierten Rückrundentabelle landete Schalke auf Platz acht. Tolles Comeback, zweifellos - und trotzdem ungenügend

Wenn überhaupt dem blau-weißen Auswärtsvolk in Leipzig etwas anzulasten wäre, dann müsste der Vorwurf Freiheitsberaubung lauten. Die Anhänger nahmen die vor der Kurve versammelte Mannschaft nach dem Abpfiff mit ihren Liedern und Hymnen symbolisch in den Arm und ließen sie wenigstens zwanzig Minuten nicht los. Man trauerte gemeinsam und feierte sich zugleich dafür, den harten Tatsachen zu trotzen. Solche Verleugnungen der herzlosen Logik des Ergebnisses sind in der Bundesliga ein wenig in Mode gekommen - Ursachen mögen Sportsoziologen erkunden -, auf Schalke hat das Phänomen allerdings eine fundiertere Geschichte. Schon die Aufstiegsmannschaft hatte sich von der Hingabe des Publikums tragen lassen, nun trieben die Leute das Nachfolgeteam an, das nach Abschluss der Hinrunde mit lediglich neun Punkten bereits rettungslos verloren schien. In der isolierten Rückrundentabelle landete Schalke auf Platz acht. Tolles Comeback, zweifellos - und trotzdem ungenügend.

Eine ausführliche Saisonanalyse erübrigt sich insofern, als dass Sportvorstand Knäbel und sein Stab sie längst erledigt haben. Zentrale Erkenntnis: Man hatte zuerst den falschen und dann den richtigen Trainer. Frank Kramer war im Sommer die falsche Wahl, Reis im Herbst die richtige. Seine "intensive, mutige und körperbetonte Spielweise" (Knäbel) passte zum Team und packte - siehe oben - das Publikum. Auch zur Gestaltung des Kaders, im vorigen Sommer Aufgabe des Managers Rouven Schröder, gibt es zwei Sichtweisen. Die Lücken, die der Kader nach der ersten Transferperiode hatte, konnten erst im Winter geschlossen werden. Andererseits haben sich neue Spieler wie Maya Yoshida, Krauß, Alex Král oder Cedric Brunner durchaus bewährt.

Von jenem Quartett bleibt nun allenfalls Verteidiger Brunner erhalten. Die Übrigen ziehen weiter zu Adressen in besserer Lage: Der fleißige Král etwa hätte beim Interessenten Union Berlin Aussicht auf die Champions League.

Prima Schützenhilfe - allerdings zu spät: Leipzigs Willi Orban erzielt ein kurioses Eigentor für Absteiger Schalke 04. (Foto: Roger Petzsche/Picture Point IMAGO)

Am Sonntag traf sich die komplette Crew ein letztes Mal zu einem Brunch im Leistungszentrum. Zwei Köchinnen waren im Einsatz, am frühen Nachmittag räumten die Profis ihre Schränke und gingen auseinander. Medaillen, Souvenirfotos, Geschenke gibt es später, für viele Empfänger wohl eher per Paketdienst als persönlich. Ein Leihspieler wie Innenverteidiger Moritz Jenz, für den Schalke liebend gern die vier Millionen Ablöse bezahlt hätte, die für den Fall des Klassenverbleibs fixiert waren, darf auf gute Offerten hoffen. Jahrelang hatte er unter anderem in Schottland unter dem Radar der Bundesliga-Scouts gespielt, nun gilt er als Entdeckung und steht folgerichtig neuerdings auf der Mandantenliste der großen Kölner Spieleragentur Sports360.

Während Zweitligaheld Simon Terodde unwiderruflich aufhört, bleibt der 35-jährige Alt-Schalker Ralf Fährmann - selbstverständlich - an Bord. Seine mitten in der Rückrunde erlittene Adduktorenverletzung wird im Nachhinein als Handicap gedeutet, das womöglich die entscheidenden Punkte kostete. Alexander Schwolow konnte sich nicht bewähren, er kehrt zu Hertha BSC zurück, wo er aber auch keine Zukunft haben dürfte. Schützenkönig Marius Bülter soll bleiben - "am liebsten bis zum Karriereende", so Knäbel -, doch der Markt könnte locken. Rodrigo Zalazar ist ein ähnlicher Fall.

Peter Knäbel wähnt den Klub gerüstet für den nächsten Gang in die zweite Liga. Rouven Schröders lange Zeit vakante Sportdirektoren-Stelle soll in den nächsten Tagen geschlossen werden. Ende Juli geht es wieder los, die Mission ist klar: Aufstieg.

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