Schach-WM:Es könnte ein spektakuläres Duell werden

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Steht seit mehreren Jahren für den Schachsport wie keine anderer: Weltmeister Magnus Carlsen. (Foto: Giuseppe Cacace/AFP)

Seit 2013 ist Magnus Carlsen Weltmeister und das Gesicht des Schachsports. Nun wartet gegen Jan Nepomnjaschtschi die wohl schwerste Titelverteidigung auf ihn. Beide setzen eher auf Angriff als auf Verteidigung.

Von Johannes Aumüller, Dubai/München

Im Vergleich zu den Denksportaufgaben, mit denen sich die besten Schachspieler der Welt sonst so herumschlagen müssen, klang der Ansatz des Fragestellers recht simpel. Aber für die beiden Angesprochenen entpuppte er sich als unerwartet schwierig. Herr Carlsen, Herr Nepomnjaschtschi, so lautete die Frage, als die WM-Duellanten am Mittwochabend in einem Pavillon der Expo in Dubai saßen: Mit welchem Fußballer würden Sie Ihren jeweiligen Rivalen vergleichen?

Dem Schach-Weltmeister Carlsen, bekannt als schlagfertiger Typ und als Fußballenthusiast, fiel gar nichts Gescheites ein, er kündigte an, eine gute Antwort in ein paar Tagen nachzureichen. Und auch sein Gegenspieler Nepomnjaschtschi tottelte ein wenig herum, ehe er sich immerhin zu folgendem Statement durchrang: "Wahrscheinlich ein Angreifer."

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Nun ist es natürlich aus vielerlei Gründen müßig, Schachspieler und Fußballer miteinander in Beziehung zu setzen. Aber die Antwort des Herausforderers deutete schon an, welchen Charakter der WM-Kampf haben könnte. Denn wenn man Schachspielern schon Positionen aus der Fußballwelt zuteilt, wäre das auch bei Nepomnjaschtschi eher der Angriff als die Verteidigung - und entsprechend spektakulär könnte es in den nächsten drei Wochen zugehen.

An diesem Freitag beginnt in Dubai das Match, auf das die Schachwelt schon länger hinfiebert. Carlsen, 30, ist seit 2013 die dominierende Figur der Szene; rein sportlich als Weltmeister und Nummer eins der Weltrangliste, aber auch darüber hinaus als das prägende Gesicht der ganzen Sportart und als Geschäftsmann. Und auch wenn es rund um das bisher letzte WM-Match 2018 mal so aussah, als ob ihm langsam die Motivation ausgehe, wurde er danach noch stärker. Doch sein vierter WM-Kampf, in dem es nicht nur um den Titel, sondern auch um ein Preisgeld von zwei Millionen Euro geht, dürfte der schwerste werden.

Herausforderer Jan Nepomnjaschtschi. (Foto: Saikat Paul /Imago)

Sein Gegner Jan Nepomnjaschtschi, 31, ist ein ungewöhnlicher Herausforderer, nicht nur wegen seines Nachnamens, der auf der Silbe Pom betont wird und übersetzt just so viel wie "derjenige, der sich nicht erinnert" heißt - eine Eigenschaft, die im Schach nicht gerade förderlich ist. Der Russe tritt auch anders auf als viele Schach-Nerds. Er trägt die Haare gerne zum Dutt, zockte Computerspiele auf einem so hohen Niveau, dass er fast an der Konsole zum Profi geworden wäre statt am Brett - und er galt lange Jahre als ein wenig faul. Passend dazu pflegt er einen angriffslustigeren Stil als zum Beispiel sein Landsmann Sergej Karjakin, der 2016 Carlsen herausforderte und nicht umsonst den Spitznamen "Verteidigungsminister" trägt.

Ein Mann, der Nepomnjaschtschi genau kennt, ist Wladimir Potkin. Der Russe war früher selbst ein aussichtsreicher Großmeister, inzwischen ist er einer der besten Trainer des Landes. Vor fünf Jahren gehörte er zum Team von Karjakin, der in New York zwischenzeitlich sogar in Führung lag, ehe ihn Carlsen noch einholte. Nun leitet Potkin das Team des aktuellen Herausforderers. Wenn man ihn am Telefon erreicht, gibt er sich zwar ausgesprochen freundlich und lobt Nepomnjaschtschis Form und Motivation. Aber bei detaillierteren Fragen ist er zugleich so verschlossen, als erkundige man sich nach dem Code, mit dem der Moskauer Kreml die Waffen scharfschalten könnte.

Carlsen versucht es mit psychologischer Kriegsführung wie einst Fischer

Wer alles zum Sekundanten-Team des Herausforderers gehört, das im Schach traditionell eine wichtige Rolle spielt, will Potkin nicht sagen. Auch nicht, wie viele Personen genau zum Team gehören, und nicht einmal, wie Nepomnjaschtschi die letzten Tage vor dem Kampf verbracht hat. Und aus Karjakins Auftritt habe er natürlich viele Schlussfolgerungen gezogen, aber die behalte er für sich. Die Geheimniskrämerei gehört dazu zu den großen Duellen der Schachwelt - erst recht, wenn sich zwei Spieler gegenüberstehen, die sich seit Kindertagen Schach-Duelle liefern und einander freundschaftlich verbunden sind. Bei Carlsens erstem WM-Kampf 2013 zählte Nepomnjaschtschi sogar zu seinen Sekundanten.

Ein WM-Match ist eine herrliche Komposition. Für vier, fünf, sechs Stunden sitzen sich die beiden Kontrahenten gegenüber, denken, grübeln, sinnieren, aber tatsächlich ist es weit mehr als nur ein Duell der Superhirne in einem Raum in Dubai. Schon Monate vorher investieren die Spieler und ihre Teams viel Arbeit in die Frage, wie sie ihre Partien anlegen sollen. Da wollen sie durch ewiges Analysieren am Computer noch kleine Varianten und Neuerungen entdecken, mit denen der Gegner am Brett nicht rechnet.

Auch die physische Verfassung ist wichtig. Carlsen gilt ohnehin als Sportfreak, Nepomnjaschtschi weilte im Sommer in München, um sich von dem Athletiktrainer der FC-Bayern-Basketballer ein Programm ausarbeiten zu lassen. Und schließlich: die psychologische Komponente. Der Amerikaner Bobby Fischer (Weltmeister 1972 - 1975) war der große Meister dieser Disziplin, aber auch die aktuellen Rivalen beherrschen sie. In Nepomnjaschtschis Lager verweisen sie stolz darauf, dass zur Unterstützung ein spezieller Rechner aus Skolkowo eingesetzt wurde, einem Innovationszentrum nahe Moskau, das mal zum russischen Silicon Valley hochgejazzt wurde. Und Carlsen hielt es knapp, als ihn norwegische Journalisten nach seinen Aussichten auf den WM-Kampf fragten: "Mein größter Vorteil ist, dass ich besser Schach spiele."

Schon zwei Jahrzehnte lang Rivalen: Jan Nepomnjaschtschi (rechts) und Magnus Carlsen (Zweiter von rechts) bei der U12-WM auf Kreta im Jahr 2002. (Foto: George Mastrokoukos/dpa)

Carlsen ist formal tatsächlich der bessere. Sein Elo-Wert, der die Spielstärke von Großmeistern anzeigt, war vor zwei Jahren zwar schon mal höher. Aber mit 2855 Punkten liegt er immer noch weit vor allen anderen. Von den 37 Partien, die er in diesem Jahr bestritt, verlor er eine einzige. Doch zugleich spricht auch manches für den Herausforderer.

Nepomnjaschtschi gehört zu den wenigen Schachspielern, die eine positive Bilanz gegen Carlsen haben (vier Siege, eine Niederlage, sechs Remis), wenngleich die vornehmlich aus Jugendtagen rührt. Zudem hat er - anders als Carlsens bisherige Gegner - keine Nachteile beim Modus. Steht es nach 14 Partien mit regulärer Bedenkzeit Mitte Dezember remis, fällt die Entscheidung im Schnellschach. Carlsen liebt dies, die Zweikämpfe gegen Karjakin (2016) und Fabiano Caruana (2018) entschied er erst in der Verlängerung für sich. Aber Nepomnjaschtschi beherrscht die schnelle Disziplin ebenfalls gut.

Und schließlich ist da noch ein interessanter Aspekt: Die Corona-Zeit hat dem Schachsport nicht nur einen ungeheuren Popularitätsschub beschert, sondern auch die Herangehensweise vieler Profis verändert. Auch sie haben viele Online-Events gespielt, zuvorderst Carlsen, der bis zuletzt ausdauernd bei digitalen Schnell- und Blitzschachturnieren im Einsatz war. Carlsens Lager tut so, als sei das doch alles ganz normal, doch ganz offenkundig macht sich die gegnerische Seite Hoffnungen, dass sich das auswirkt: Alle Schachspieler hätten viel online gespielt, aber man habe versucht, dass Nepomnjaschtschi möglichst oft mit den echten Spielfiguren in Berührung komme, so sein Trainer Potkin.

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