Schach-WM der Frauen:Die Dame ist nur auf dem Brett die stärkste Figur

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Duellieren sich gerade in China um den Titel der Schach-Weltmeisterin: Ju Wenjun (links), die seit 2018 den Titel innehat, und Lei Tingjie. (Foto: Stev Bonhage/Fide)

Die Schachwelt ist noch weit davon entfernt, Männer und Frauen gleich zu behandeln. Zwar gibt es Verbesserungen, doch die Spielerinnen fühlen sich vom Weltverband Fide im Stich gelassen.

Von David Kulessa

Länger als ein paar Sekunden ließ sich der Schein nicht wahren. Dann verfielen Ju Wenjun, 32, und Lei Tingjie, 26, in herzhaftes Lachen. Zwar sind die beiden Chinesinnen aktuell Gegnerinnen im Kampf um den Titel der Schach-Weltmeisterin, den Ju seit 2018 innehat. Aber sie sind eben auch Freundinnen und langjährige Weggefährtinnen, wie die Herausforderin Lei auf der Pressekonferenz vor dem WM-Beginn erklärte: "Ich habe von Ju sehr viel über Schach gelernt." Da fällt das obligatorische Anstarren im Stile zweier Preisboxer für die Kameras eben schwer.

Es ist freilich kein Zufall, dass sich zwei Chinesinnen im WM-Finale treffen: Seit 1991 kam die Weltmeisterin in 23 von 32 Jahren aus dem Land. Ein wichtiger Grund für diese Dominanz ist das in den 1970er-Jahren initiierte Staatsprojekt "Big Dragon", das China an die Spitze des Weltschachs führen sollte. Das System ist umstritten, weil im Talente-Pool oft gnadenlos ausgesiebt wird. Doch gerade bei den Frauen ist es auch deshalb so erfolgreich, weil die Konkurrenz international viel kleiner ist als bei den Männern, wo es für die Weltspitze eine Elozahl von knapp 2800 braucht - das ist die Wertungszahl, welche die Spielstärke beschreibt. Bei den Frauen hingegen liegt nur die Weltranglistenerste You Hifan, ebenfalls eine Chinesin, bei etwas mehr als 2600. Das sind Welten.

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Immer wieder beschäftigt diese Diskrepanz die Schachwelt, zuletzt setzten sich auch Feuilletons intensiv damit auseinander. Die Ressentiments wurzeln tief. Jahrzehntelang mussten sich Frauen anhören, dass sie "furchtbare Schachspieler" und "einfach nicht sehr klug" seien (Bobby Fischer, 1963) oder dass man doch bitte unterscheiden solle zwischen "echtem Schach und Frauenschach" (Garri Kasparow, 1989). Es sind Ansichten, die die Jahrtausendwende problemlos überstanden haben. Nigel Short, ehemals WM-Finalist und heute Vizepräsident des Schachweltverbands Fide, forderte 2015, endlich zu akzeptieren, dass Männer und Frauen eben "anders verdrahtet sind", statt sich über Ungleichheit zu ärgern.

Die Dame ist nur auf dem Brett die stärkste Figur - bis heute liegt der Anteil der Frauen im Schach bei nur rund 15 Prozent. Doch zumindest gibt es inzwischen ein Problembewusstsein dafür. Auch bei der Fide, die das vergangene Jahr zum "Jahr der Frauen im Schach" erklärte.

Der Weltverband präsentierte ausgerechnet Saudi-Arabien als Partner im Kampf für Gleichberechtigung

Nicht so geschickt war dann, dass der Weltverband zunächst Saudi-Arabien kurzzeitig als Partner im Kampf für Gleichberechtigung präsentierte - und dann die iranische Schiedsrichterin Shohreh Bayat für ihre öffentliche Solidarität mit der Frauenrechtsbewegung in ihrer Heimat bestrafte. Doch zumindest in sportlicher Hinsicht gab es zuletzt tatsächlich ein paar positive Entwicklungen.

Die Sichtbarkeit für Spielerinnen ist erhöht worden, etwa bei dem erfolgreichen Debüt der Global Chess League, einem Mannschaftswettbewerb, der online viele Zuschauer anlockte. Mindestens zwei der sechs Teammitglieder mussten weiblich sein. Vorgaben wie diese gibt es nun immer häufiger. Und auch der Modus des gerade stattfindenden WM-Matches ist letztlich das Ergebnis eines Kampfes für die Gleichberechtigung von Frauen im Schach.

Lange wurde die Weltmeisterin in einem K.-o.-Turnier ermittelt. Erst als sich Hou Yifan 2017 endgültig weigerte, ihren Titel zu verteidigen, weil die Frauen immer noch keinen echten WM-Ablauf hatten, änderte sich nachhaltig etwas. 2019 gab es erstmals ein Kandidat innenturnier, und die Weltmeisterin wird gerade zum zweiten Mal nach 2020 in bis zu zwölf Runden klassischen Schachs ermittelt.

Solche Schritte seien "definitiv positiv" zu bewerten, findet die deutsche Nationalspielerin Josefine Heinemann, 25. Sie sagt im Gespräch mit der SZ aber auch: "Es wird vor allem sehr viel über das Thema geredet, oft habe ich den Eindruck, dass nicht wirklich auch etwas getan wird." Und wenn, dann halbherzig - wie bei der Grand-Prix-Turnierserie der Frauen, die zu dem neuen WM-Ablauf gehört und deren Organisation kritisiert wurde: "Man hat gemerkt, das Event hat einfach eine sehr niedrige Priorität bei der Fide", so Heinemann.

Wegen der Bedingungen in Neu Delhi wird eine Absage des Turniers gefordert

Ein besonders schlechtes Bild gab der Weltverband im März ab, als die Serie in Neu Delhi Station machte und sich letztlich zwei Spielerinnen von dem Turnier zurückzogen. "Bei den Männern wäre so etwas nicht passiert", glaubt Heinemann. Der Konflikt entzündete sich, als die kasachische Spielerin Zhansaya Abdumalik mitten in der Nacht am Flughafen ankam, dort aber nicht wie angekündigt abgeholt wurde. Auch das Hotel sei auf ihre Ankunft nicht vorbereitet gewesen und man habe ihr empfohlen, stets im Gebäude zu bleiben, weil es auf der Straße zu gefährlich für sie sei. Also reiste Abdumalik wieder ab. "Wir verdienen gute Bedingungen", sagte sie.

Andere Teilnehmerinnen solidarisierten sich und forderten eine Absage des Turniers. "Einiges im Frauenschach ist in der Vergangenheit sehr unglücklich gelaufen", schrieben sie in einer E-Mail an Fide-Präsident Arkadij Dworkowitsch. Man wolle ein Zeichen setzen. Sinnbildlich: Vertreter des Weltverbandes waren in Indiens Hauptstadt keine vor Ort.

Der Grand Prix fand statt, doch auch Deutschlands beste Schachspielerin Elisabeth Pähtz, Initiatorin des Briefes an Dworkowitsch, trat nicht an. Der Fide-Präsident entschuldigte sich später öffentlich, schob die Schuld aber den indischen Veranstaltern zu. Echte Verantwortung übernahm er nicht. "Das Entschuldigungsschreiben kann man in die Tonne kloppen", teilt Pähtz, 38, auf Anfrage mit. Sprechen möchte sie nicht. Sie sei das Thema leid, "es wird sich sowieso nichts ändern".

Vor dem aktuellen WM-Kampf, anfangs in Shanghai, jetzt in Chongqing, hat sich die Fide kaum um Aufmerksamkeit für das Match bemüht, lässt nun in China aber keine Gelegenheit aus, die chinesische Regierung für ihre "systematische Förderung" des Schachsports zu loben. Die Landsfrauen Ju Wenjun und Lei Tingjie duellieren sich unterdessen auf Weltklasseniveau. In einem engen Zweikampf hat Titelverteidigerin Ju in der achten Runde zum 4:4 ausgeglichen. Josefine Heinemann sagt: "Zu Beginn wirkte Lei ein wenig motivierter, es ist immerhin ihre erste Chance, Weltmeisterin zu werden. Aber die letzten beiden Partien sprechen eher für Ju."

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