Ende des Streits zwischen Niemann und Carlsen:"Hallo Schachwelt, habt ihr mich vermisst?"

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Hans Niemann, mittlerweile mit Kurzhaarfrisur, hat seinen Rechtsstreit mit Magnus Carlsen und der Plattform chess.com beendet. (Foto: Tim Vizer/AFP)

Der prominente Streit zwischen Magnus Carlsen, der Plattform chess.com und Hans Niemann ist vorbei, alle Parteien einigen sich außergerichtlich. Niemann bestreitet weiterhin, betrogen zu haben, Carlsen kündigt an, wieder gegen ihn zu spielen.

Von David Kulessa

Ein bisschen mehr hatte Hans Niemann, 20, dann doch zu sagen. Nachdem er in einer Mitteilung der Schachplattform chess.com am Montag mit nur zwei Sätzen zitiert wurde, meldete er sich tags darauf mit einer Videobotschaft bei X, ehemals Twitter: "Hallo Schachwelt, habt ihr mich vermisst?" Mit neuer Kurzhaarfrisur sprach er eine gute Minute lang in seine Handykamera, um klarzustellen: "Ich bleibe bei meiner Meinung, dass ich den Bericht von chess.com gegen mich für diffamierend halte und die Anschuldigungen bestreite." Nur eben nicht mehr vor Gericht. Denn Niemann, Magnus Carlsen und chess.com haben ihren Rechtsstreit beigelegt.

Was vor ziemlich genau einem Jahr mit einem Duell beim Sinquefield Cup und anschließenden Betrugsvorwürfen begann, endet nun also mit einer außergerichtlichen Einigung. Zur Erinnerung: Anfang September letzten Jahres hatte der damals 19-jährige Niemann überraschend den Weltranglistenersten Carlsen geschlagen, der ihn daraufhin der Schummelei bezichtigte. Die Chefs von chess.com, geschäftlich mit Carlsen verbandelt, bekräftigten dessen Vorwürfe kurz darauf und veröffentlichten einen Bericht, in dem sie Niemann angeblich hundertfachen Betrug auf ihrer Plattform nachwiesen.

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All das mündete Ende Oktober in einer 100-Millionen-Dollar Klage des US-Amerikaners, dessen Botschaft sich so zusammenfassen ließ: Der eitle Superstar Carlsen kann nicht damit umgehen, dass ihn das unbekannte Wunderkind Niemann vor aller Welt gedemütigt hat und lässt nun das Schachimperium inklusive Online-Marktführer chess.com auf den armen Jungen los. Als die Klage vor zwei Monaten teilweise abgewiesen wurde, kündigten Niemanns Anwälte zunächst an, erneut vor Gericht zu ziehen. Das dürfte sich nun erledigt haben.

Niemann darf wieder auf der Plattform spielen - und nahm bereits an einem Turnier teil

Seit Juni sei verhandelt worden, so chess.com am Montag, "um es der Schachwelt zu ermöglichen, ohne weitere Rechtsstreitigkeiten weiterzumachen." Dies sei gelungen: "Wir freuen uns, mitteilen zu können, dass alle Seiten eine Einigung erzielt haben." Diese Einigung sieht in erster Linie vor, dass Hans Niemann auf die Plattform zurückkehren darf und seine Sperre von Anfang Oktober aufgehoben wird. Am Dienstag nahm er bereits wieder am Titled Tuesday, einem wöchentlichen Online-Turnier, teil.

Uneinigkeit, die man aber wohl bereit ist, auszuhalten, herrscht weiterhin über den Bericht von Anfang Oktober, in dem chess.com Niemann hundertfachen Online-Betrug vorwirft. Während Niemann das in seiner Videobotschaft erneut als Teil einer Verleumdungskampagne gegen ihn wertete, betont chess.com, man stehe zu den Ergebnissen. Details der Einigung, etwa über einen finanziellen Vergleich der Parteien, sind bislang nicht bekannt. Auf eine SZ-Anfrage schrieb chess.com: "Jeder verdient eine zweite Chance." Zu eventuellen Zahlungen gab die Plattform keine Auskunft, Hans Niemann antwortete nicht auf eine Anfrage.

Auch Magnus Carlsen reagierte bis zuletzt nicht auf E-Mails, äußert sich aber in der Mitteilung von chess.com: "Ich bin bereit, bei zukünftigen Veranstaltungen gegen Niemann zu spielen", heißt es dort. Zur Kenntnis nehme er außerdem, dass chess.com keinen eindeutigen Beweis für Betrug beim Sinquefield Cup gefunden habe.

War es das also? Ist das Schachdrama nach einem Jahr tatsächlich zu seinem Schlussakt gelangt?

Happy End? Der Weltverband könnte nochmal dazwischen grätschen

Nun, eine Figur gäbe es schon noch, die das scheinbare Happy End verhindern könnte: den Schachweltverband Fide. Der hatte bereits vor dem Erscheinen des chess.com-Berichts eigene Untersuchungen zu dem Fall angekündigt und dafür eine dreiköpfige Ethikkommission eingesetzt. Seit Februar ist deren Bericht fertig - und liegt genau so lang schon in der Schublade. Als Begründung für das Nicht-Veröffentlichen hatte die zuständige Fair Play Kommission stets den laufenden Zivilrechtsprozess angegeben. Entsprechend müsste jetzt die Zeit gekommen sein, den Bericht endlich zu veröffentlichen.

Andererseits ist es nur schwer vorstellbar, dass ausgerechnet der konfliktscheue Weltverband den Burgfrieden wirklich stören möchte. Unter Präsident Arkady Dvorkovich werden Debatten für gewöhnlich einfach ausgesessen. Zudem hatte der Mathematiker Ken Regan der SZ bereits im Juni bestätigt, dass er "keine Hinweise" auf einen betrügenden Niemann gefunden habe. Regan hat ein Statistikmodell entwickelt, das die Fide zur Betrugserkennung verwendet.

Es scheint also, als ob sich Hans Niemann wieder ganz seiner Schachkarriere zuwenden kann. "Diese schwierige Zeit", sagt er am Ende seiner Videobotschaft, "haben nur meine Entschlossenheit und meinen Charakter gestärkt, um die Spitze des Schachs zu erreichen. Es wird der Tag kommen, an dem ich der beste Spieler der Welt sein werde." Ein großes Ziel, für das er sich steigern müssen wird. Bei seiner Rückkehr zum Titled Tuesday belegte er den 57. Platz. Magnus Carlsen nahm nicht teil.

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